Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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»Es ist schlimmer wie bei den Tieren,« entgegnete Herr Sauvage.
»Und zu denken, dass das so weiter gehen wird, solange als es Regierungen gibt!« rief Herr Morissot aus, der gerade einen Weißfisch gefangen hatte. »Die Republik würde den Krieg nicht erklärt haben …« meinte Herr Sauvage.
»Bei den Königen,« unterbrach ihn Herr Morissot, »spielt der Krieg auswärts; bei der Republik hat man ihn im eigenen Lande.«
Und nun begannen sie eine gemütliche Unterhaltung über die schwierigsten politischen Streitfragen mit jenem gesundem Urteil, welches einfache ruhige Leute so oft zeigen, die sich darüber einig sind, dass man niemals wirklich frei ist. Der Mont-Valerien donnerte dazu ohne Unterlass, verwüstete französische Häuser, vernichtete Menschenleben, rottete zahllose Geschöpfe Gottes aus, zerstörte so manchen schönen Traum, so manche ersehnte Freude, und erweckte in den Herzen zahlloser Frauen, Mütter und Mädchen drüben in anderen Ländern endloses Herzeleid.
»Das ist das Leben,« sagte Herr Sauvage.
»Sagen Sie lieber: Der Tod,« entgegnete lachend Herr Morissot.
Aber plötzlich zuckten sie erschreckt zusammen, als sie hinter sich Fusstritte vernahmen. Sich umwendend, gewahrten sie dicht neben ihnen vier Männer, vier bewaffnete, große, bärtige Männer, in eine Art Livree wie Diener gekleidet und mit flachen Mützen bedeckt, welche, das Gewehr im Anschlag, sie beobachteten.
Die Angelruten entsanken ihren Händen und trieben den Fluss hinab.
In einem Augenblick waren sie ergriffen, gebunden, fortgeführt, in einen Kahn geworfen und nach der Insel überführt. Hinter dem Hause, welches sie für leerstehend gehalten hatten, bemerkten sie jetzt einige zwanzig deutsche Soldaten.
Eine Art zottiger Riese, der auf einem Stuhle reitend seine große Porzellanpfeife rauchte, fragte sie in gutem Französisch: »Nun meine Herren, sind Sie mit ihrem Fischfang zufrieden?«
Ein Soldat legte das mit Fischen gefüllte Netz, welches er sorglich mitgebracht hatte, zu Füssen des Offiziers.
»Ah!« machte der Preusse »es ist gut gegangen, wie ich sehe. Aber nun von etwas anderem. Hören Sie mich ruhig an.«
»In meinen Augen sind Sie zwei Spione, die zu meiner Beobachtung ausgesandt wurden. Ich habe Sie aufgegriffen und werde Sie erschiessen lassen. Sie haben sich fischend gestellt, um ihre eigentliche Absicht zu verheimlichen. Nun sind Sie in meiner Gewalt. Umso schlimmer für Sie. Das ist nun mal im Kriege nicht anders.«
»Aber, da Sie über die Vorposten hinausgekommen sind, haben Sie für die Rückkehr sicher ein Losungswort. Geben Sie mir dasselbe, und ich lasse Gnade vor Recht ergehen.«
Die beiden Freunde standen bleich nebeneinander; ein leichtes nervöses Zittern bewegte ihre Hände. Aber sie schwiegen.
»Niemand wird etwas davon erfahren«; nahm der Offizier wieder das Wort. »Sie werden unbehelligt nach Hause zurückkehren. Das Geheimnis wird mit Ihnen wieder verschwinden. Wenn Sie sich aber weigern, so ist das Ihr Tod, und zwar sofort. Also wählen Sie.«
Sie blieben regungslos ohne den Mund zu öffnen.
»Bedenken Sie,« sagte der Offizier ruhig, mit der Hand nach dem Flusse deutend, »dass Sie in fünf Minuten auf dem Grunde des Wassers liegen werden. In fünf Minuten. Denken Sie an Ihre Angehörigen.«
Der Mont-Valerien donnerte weiter.
Die beiden Angler standen schweigend da. Der Deutsche erteilte in seiner Sprache einige Befehle. Dann schob er seinen Stuhl weiter zurück, um nicht zu nahe bei den Gefangenen zu sein. Zwölf Mann stellten sich, Gewehr bei Fuss, zwanzig Schritt vor ihnen auf.
»lch gebe Ihnen eine Minute Zeit; keine Sekunde länger.« begann der Offizier wieder.
Dann erhob er sich plötzlich, näherte sich den beiden Franzosen, nahm Morissot beim Arm, führte ihn etwas fort, und sagte ihm leise:
»Schnell das Losungswort. Ihr Kamerad wird nichts davon erfahren. Ich werde tuen, als hätte ich mich anders besonnen.
Morissot antwortete nichts.
Der Preusse wandte sich nun an Herrn Sauvage und stellte ihm dieselbe Frage.
Herr Sauvage antwortete nichts.
Nun standen beide wieder nebeneinander.
Der Offizier kommandierte; die Soldaten legten an.
Da fiel der Blick Morissot’s zufällig auf das Netz mit Fischen, welches einige Schritte vor ihnen im Grase liegen geblieben war.
Ein Sonnenstrahl ließ den Fischhaufen erglänzen, in dem sich noch Leben rührte. Morissot fühlte eine Anwandlung von Schwäche. Seine Augen füllten sich trotz aller Anstrengung mit Tränen.
»Adieu Herr Sauvage.« murmelte er.
»Adieu Herr Morissot,« antwortete dieser.
Sie drückten sich die Hände, während ein unüberwindbares Zittern ihren ganzen Körper durchlief. »Feuer!« kommandierte der Offizier.
Wie auf einen Schuss knallten die zwölf Gewehre.
Herr Sauvage fiel wie ein Klumpen vornüber. Morissot, der etwas grösser war, zuckte heftig, drehte sich um sich selbst und fiel quer über seinen Kameraden, das Gesicht zum Himmel gewandt, während das Blut aus seiner auf der Brust durchlöcherten Blouse rieselte.
Der Deutsche erteilte neue Befehle.
Seine Leute verschwanden und kamen bald darauf mit einigen Stricken und Steinen zurück, welch letztere sie an die Füsse der beiden Toten banden. Dann schleppten sie dieselben an’s Ufer.
Der Mont-Valerien hörte nicht auf zu grollen; er war jetzt wie ein Vulkan anzusehen.