Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant Gesammelte Werke bei Null Papier

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Ab­we­sen­heit Herrn de Ca­dour’s, den eine po­li­ti­sche Mis­si­on nach In­di­en führ­te, er­lag sie sei­nem stür­mi­schen Drän­gen.

      Hät­te sie ihm wi­der­ste­hen, ihn zu­rück­wei­sen kön­nen? Hät­te sie die Kraft ge­habt, ihm nicht nach­zu­ge­ben, wo sie ihn gleich­falls lei­den­schaft­lich lieb­te? Nein, in der Tat nicht! Es wäre zu schmerz­lich ge­we­sen; sie hät­te zu sehr ge­lit­ten. Wie ist doch das Le­ben hart und grau­sam. Ge­wis­sen Schick­sals­fü­gun­gen kann man nicht ent­ge­hen, man kann sich ih­rer Be­stim­mung nicht ent­zie­hen. Kann eine al­lein­ste­hen­de Frau, de­ren Gat­te in der wei­ten Fer­ne weilt, die kei­ne Zärt­lich­keit ge­niesst, den Kin­der­se­gen ent­behrt, auf die Dau­er ei­ner Lei­den­schaft ent­flie­hen, die ihr gan­zes We­sen be­herrscht? Ge­wiss eben­so­we­nig wie man im­stan­de wäre, dem Lich­te der Son­ne zu ent­flie­hen, um bis zu sei­nem Tode in tiefs­ter Fins­ter­nis zu le­ben.

      Wie gut er­in­ner­te sie sich noch jetzt al­ler Ein­zeln­hei­ten, sei­ner Küs­se, sei­nes Lä­chelns, mit dem er an der Tür ste­hen blei­bend sie an­blick­te, ehe er bei ihr ein­trat. Wel­che Tage des Glückes und der Süs­sig­keit, die­se ein­zi­gen schö­nen, lei­der nur so schnell ver­gan­ge­nen Tage.

      Dann fühl­te sie, dass sie Mut­ter war. Wel­che Angst!

      Ach, die­se Rei­se nach dem Sü­den, die­se lan­ge Rei­se, die­se Lei­den, die­ser fort­wäh­ren­de Schre­cken, die­ses ver­bor­ge­ne Le­ben in dem klei­nen ein­sa­men Häu­schen an der Mit­tel­meer-Küs­te, im Hin­ter­grun­de ei­nes Gar­tens, den sie nicht zu be­tre­ten wag­te.

      Wie gut er­in­ner­te sie sich der lan­gen Tage, die sie un­ter ei­nem Oran­gen­baum lie­gend zu­brach­te, die Au­gen zu den run­den Früch­ten em­por­ge­wen­det, de­ren Rot sich von dem Grün des Blät­ter­werks ab­hob. Wie sie so gern aus­ge­gan­gen wäre bis ans Meer, des­sen fri­scher Hauch über die Mau­er her zu ihr hin­weh­te, des­sen kur­ze Schlä­ge an den Strand sie ver­nahm, von des­sen Ober­flä­che sie träum­te, wie sie bläu­lich im Lich­te der Son­ne er­glänz­te, wäh­rend wei­ße Wol­ken und ein Ge­bir­ge den Hin­ter­grund bil­de­ten. Aber sie wag­te nicht, aus dem Tore zu ge­hen. Wenn man sie er­kannt hät­te, so un­förm­lich, so un­fä­hig, bei ih­rer Fi­gur noch ihre Schan­de zu ver­ber­gen.

      Und dann die Tage der Er­war­tung, die letz­ten qual­vol­len Tage! Die dro­hen­den Lei­den, end­lich die schreck­li­che Nacht. Wie viel Elend hat­te sie doch aus­hal­ten müs­sen!

      War das eine Nacht! Wie hat­te sie ge­seufzt und ge­schri­en! Sie sah noch vor sich das blei­che Ant­litz ih­res Lieb­ha­bers, der ihr je­den Au­gen­blick die Hand küss­te, die be­hä­bi­ge Ge­stalt des Arz­tes, die wei­ße Müt­ze der Wär­te­rin.

      Und wel­chen Riss gab es ih­rem Her­zen, als sie die­ses schwa­che Wim­mern, die­ses Kla­gen des Kin­des, die­sen ers­ten An­satz ei­ner mensch­li­chen Stim­me ver­nahm.

      Und der nächs­te Tag! Ach ja, der nächs­te Tag, der ein­zi­ge ih­res Le­bens, wo sie ihr Kind se­hen und an ihr Herz drücken konn­te, denn nie­mals seit die­sem Tage hat­te sie auch nur eine Spur von ihm be­merkt. Welch öde lan­ge Zeit hat­te sie dann ver­bracht, wäh­rend die Ge­dan­ken an die­ses Kind ihr im­mer und im­mer wie­der vor die See­le tra­ten. Sie hat­te es nicht wie­der ge­se­hen, nicht ein ein­zi­ges Mal, die­ses klei­ne We­sen, dem sie das Le­ben ge­schenkt, ih­ren Sohn. Man hat­te ihn ihr ge­nom­men und ir­gend­wo an einen un­be­kann­ten Ort ge­bracht. Sie wuss­te nur, dass Bau­ers­leu­te in der Nor­man­die ihn auf­ge­zo­gen hat­ten, und dass er selbst ein Land­mann ge­wor­den war, dass er sich ver­hei­ra­tet und von sei­nem Va­ter, des­sen Na­men er nicht kann­te, eine reich­li­che Mit­gift er­hal­ten hat­te.

      Wie kam sie nur plötz­lich auf den Ge­dan­ken, zu ihm rei­sen zu wol­len, um ihn zu se­hen und an ihr Herz zu drücken? Sie ver­gass, dass er in­zwi­schen ein Mann ge­wor­den war. Sie sah nur im­mer die­ses klei­ne Men­schen­we­sen vor sich, dass sie einen Tag in ih­ren Ar­men ge­hal­ten und an ihr klop­fen­des Herz ge­legt hat­te.

      Wie oft hat­te sie spä­ter zu ih­rem Lieb­ha­ber ge­sagt:

      »Ich hal­te es nicht mehr aus, ich muss ihn se­hen; ich fah­re hin.«

      Stets hat­te er sie zu­rück­ge­hal­ten, sie ge­hin­dert; sie wis­se nicht sich zu be­herr­schen und an sich zu hal­ten, der an­de­re wür­de al­les ver­ra­ten und auf­de­cken. Dann sei sie ver­lo­ren.

      *

      »Wie sieht er denn aus?« frag­te sie d’A­gre­val.

      »Ich weiß es nicht; ich sah ihn nie­mals wie­der.«

      »Ist das mög­lich? Ei­nen Sohn ha­ben und ihn nicht ken­nen; Furcht vor ihm ha­ben, ihn von sich stos­sen, wie et­was Schänd­li­ches.«

      Das war schreck­lich.

      Und sie gin­gen un­ter den drücken­den Son­nen­strah­len stets die lan­ge Stras­se bergan wei­ter, die nach der Küs­te führ­te.

      »Ist es nicht wie ein Straf­ge­richt«, fuhr sie fort, dass ich nie­mals wie­der ein Kind ge­habt habe? Nein, ich konn­te nicht dem Ver­lan­gen wi­der­ste­hen, das mich nun seit vier­zig Jah­ren quält, ihn noch ein­mal zu se­hen. Ihr Män­ner ver­steht das nicht. Den­ken Sie, dass ich schon ein­mal am Tode lag. Und ich hät­te ihn dann nicht wie­der ge­se­hen … ist es mög­lich … ihn nicht wie­der­ge­se­hen? … Wie konn­te ich nur so lan­ge war­ten? Mein gan­zes Le­ben lang habe ich an ihn ge­dacht. Wie habe ich dar­un­ter lei­den müs­sen! Nie­mals bin ich er­wacht, nicht ein ein­zi­ges Mal, den­ken Sie, ohne dass mein ers­ter Ge­dan­ke nicht ihm, mei­nem Kin­de, ge­gol­ten hät­te. Wie mag es ihm nur ge­hen? Ach, wie schul­dig füh­le ich mich ihm ge­gen­über! Darf man denn in ei­nem sol­chen Fal­le Men­schen­furcht ha­ben? Ich hät­te al­les ver­las­sen müs­sen, um ihm zu fol­gen, ihn zu er­zie­hen, mit mei­ner Lie­be zu um­ge­ben. Ich wäre glück­li­cher da­bei ge­we­sen, wahr­haf­tig. Ich war fei­ge, ich wag­te es nicht. Wie habe ich ge­lit­ten! Ach, wie müs­sen die­se ar­men ver­las­se­nen We­sen ihre Müt­ter has­sen!«

      Sie blieb plötz­lich ste­hen, von Trä­nen über­strömt. Die gan­ze Ge­gend lag stumm und ein­sam un­ter der drücken­den Son­nen­hit­ze. Nur die Gril­len lies­sen fort­ge­setzt ihr ein­för­mi­ges Ge­zir­pe in dem dür­ren spär­li­chen Gra­se er­tö­nen, wel­ches die Stras­se zu bei­den Sei­ten ein­fass­te.

      »Set­zen Sie sich einen Au­gen­blick«, sag­te er. Sie ließ sich von ihm zum Ran­de des Gra­bens füh­ren und setz­te sich, das Ge­sicht in den Hän­den be­gra­bend. Ihre wei­ßen Haa­re, die in Lo­cken zu bei­den Sei­ten des Ge­sich­tes hin­gen, wi­ckel­ten sich auf, aber sie be­ach­te­te es nicht; sie wein­te wei­ter zum Herz­zer­bre­chen.

      Er blieb ihr ge­gen­über ste­hen, un­ru­hig bei dem Ge­dan­ken, was er ihr sa­gen

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