Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Sobald sich die beiden Freunde wiedererkannt hatten, schüttelten sie sich heftig die Hände; beide waren tief bewegt, sich unter so ganz anderen Umständen wiederzufinden. »Ein trauriges Wiedersehen,« murmelte Herr Sauvage mit einem tiefen Seufzer. »Und welch ein Wetter!« entgegnete Herr Morissot gedrückt. Es ist heute der erste schöne Tag im neuen Jahre.«
Der Himmel war in der Tat ganz blau und strahlte im schönsten Sonnenlichte.
Traurig und träumerisch gingen sie nebeneinander.
»Und der Fischfang, wie?« nahm Morissot das Gespräch wieder auf. »Welch schöne Erinnerung!«
»Wann werden wir wieder damit beginnen?« fragte Herr Sauvage.
Sie traten zusammen in ein Café ein und tranken einen Absynth; dann nahmen sie ihren Spaziergang auf dem Trottoir wieder auf.
Morissot blieb plötzlich stehen. »Noch ein Gläschen, wie?« Herr Sauvage war einverstanden. »Wie Sie denken.« Und sie traten in ein anderes Wein-Lokal.
Sie waren sehr angeregt, als sie das Lokal verliessen, wie Leute, die noch nicht gefrühstückt haben, aber schon voll Alkohol sind. Die Luft war verhältnismässig mild und ein schmeichelndes Lüftchen umkoste ihre Stirn.
»Wie wär’s wenn wir hingingen?« sagte plötzlich Herr Sauvage, der in der freien Luft sich erst recht benebelt fühlte.
»Wohin?«
»Zum Angeln, meine ich.«
»Aber wo?«
»Auf unserer Insel natürlich. Die französischen Vorposten stehen nahe bei Colombes. Ich kenne den Oberst Dumoulin; man wird uns ohne Schwierigkeiten durchlassen.«
Morissot zitterte vor Begierde.
»Abgemacht,« sagte er »ich bin dabei.« Und sie trennten sich um ihr Angelzeug zu holen.
Eine Stunde später befanden sich beide bereits unterwegs. Sie erreichten alsbald die Villa, die der Colonel bewohnte. Er lächelte über ihre Passion und willigte in ihr Begehren. Mit einem Durchlass-Schein versehen gingen sie weiter.
Bald hatten sie die Vorposten hinter sich, durchschritten das verlassene Colombes und befanden sich schliesslich am Rande der kleinen Weinberge, welche sich am Hange der Seine zu, befinden. Es war ungefähr elf Uhr. Das Dorf Orgenteuil gegenüber schien wie ausgestorben. Die Höhen von Argemont und Sannois beherrschten die ganze Umgegend. Die große Ebene, die sich mit ihren kahlen Kirschbäumen und ihren grauen Feldern bis Nanterre erstreckt, war leer, ganz leer.
»Da oben sind die Preussen« sagte Herr Sauvage mit dem Finger auf die Hügel weisend. Diese menschenleere Gegend erfüllte die beiden Freunde mit einem unwillkürlichen Grauen.
»Die Preussen!« Sie hatten noch niemals welche gesehen. Aber sie spürten genug von ihnen seit Monaten, wie sie raubten, mordeten und plünderten, sie aushungerten und sich unsichtbar wie sie waren, dennoch als allmächtige Herren bewiesen. Und eine Art abergläubischer Furcht gesellte sich zu dem Hasse, den sie gegen dieses unbekannte siegreiche Volk empfanden.
»Wenn uns einige begegnen, was dann?« stammelte Morissot.
»So bieten wir ihnen ein Gericht Fische an.« antwortete Herr Sauvage mit jenem echten Pariser Humor, der selbst in den schwierigsten Lagen die Oberhand behält.
Aber es war Ihnen doch nicht so recht wohl zu Mute, sich ins freie Feld zu begeben; dieses weit und breit lastende Schweigen flösste ihnen Besorgnis ein.
»Gehen wir, vorwärts!« entschied endlich Herr Sauvage, »aber vorsichtig!« Und sie kletterten einen Weinberg hinab, mit vorgebeugtem Oberkörper, schleichend, jedes Gesträuch als Deckung benutzend, unruhig umherschauend und ängstlich auf jedes Geräusch lauschend.
Noch hatten sie einen Erdhaufen zu überklettern, um an das Ufer des Flusses zu gelangen. Sie begannen zu laufen und sobald sie am Ufer angekommen waren, versteckten sie sich in dem abgestandenen Röhricht.
Morissot legte das Gesicht an die Erde, um zu lauschen, ob man Marschtritte in der Umgegend vernehmen könnte. Nichts rührte sich indessen. Sie waren allein, ganz allein.
So beruhigt verlegten sie sich nun eifrig aufs Fischen.
Die Insel Marante ihnen gegenüber, welche ebenfalls wie abgestorben dalag, verbarg sie vor dem jenseitigen Ufer. Das kleine Restaurationsgebäude auf derselben war geschlossen, als wenn es seit Jahren nicht mehr benutzt gewesen wäre.
Herr Sauvage fing den ersten Gründling und gleich darauf Herr Morissot den zweiten. Alle Augenblicke zog einer von ihnen die Angelschnur heraus, an der ein silberglänzender Fisch zappelte. Sie machten in der Tat einen glänzenden Fang.
Vorsichtig legten sie ihre Beute in einen engmaschigen Netzbeutel zu ihren Füssen. Eine lebhafte Freude erfüllte sie; jene Freude, die man empfindet, wenn man sich einem langentbehrten Vergnügen zum ersten Male wieder hingibt.
Die Sonne schien warm auf ihre Schultern. Sie hörten nichts und dachten an nichts mehr. Die Welt ringsum war für sie vergessen. Sie widmeten sich ganz ihrem Fischfang.
Plötzlich erzitterte der Boden, wie von einem unterirdischen Geräusche. Es war der Donner von Geschützen.
Morissot wandte den Kopf und gewahrte jenseits des Ufers unten links die gewaltigen Umrisse des Mont-Valerien, vor dessen Front eine weiße Wolke schwebte: Der Pulverdampf, den er auspie.
Alsbald folgte vom Gipfel der Feste ein zweiter Rauchausbruch, und nach einigen Augenblicken hörte man abermals Geschützdonner.
Dann folgten weitere Schläge und in regelmässigen Zwischenräumen stiess der Berg seinen tötlichen Atem aus, und