Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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»Ich dächte, wir machten es auch so,« sagte die Gräfin. Man stimmte ihr bei, und sie packte die Lebensmittel für die beiden anderen Familien aus. Es kam eines jener langen Gefässe zum Vorschein, auf deren Porzellandeckel ein Hase abgebildet ist zum Zeichen, dass sich eine Hasen-Pastete darunter befindet, ein leckeres Gericht, wo weiße Fettstreifen die braunen, mit feingehacktem anderen Fleisch vermischten Stücke des Wildprets durchziehen. Dann kam noch ein hübsches Stück Schweizerkäse, in ein Journal eingewickelt, von dem die Überschrift »Vermischtes« an der feuchten Kruste haften geblieben war.
Die beiden Schwestern packten ein Stück Schlackwurst aus, das stark nach Knoblauch roch. Cornudet, der mit beiden Händen gleichzeitig in seine Rocktaschen langte, zog aus der einen vier harte Eier und aus der anderen ein Stück Brot hervor. Er löste die Schale, warf sie vor seinen Füssen ins Stroh und biss währenddem in ein Ei, wobei gelbe Krümchen in seinen großen Bart fielen und dort wie Sterne haften blieben.
Fett-Kloss hatte bei der Hast, mit der sie ihr Frühstück verzehrt hatte, an nichts denken können. Vor Zorn keuchend, betrachtete sie jetzt alle die Menschen, die so behaglich assen. Anfangs ergriff sie ein wütender Ärger und sie öffnete schon den Mund, um ihnen unter einem Strom von Schmähungen ihre Gemeinheit vorzuwerfen, aber der Zorn erstickte sie, sodass sie nicht sprechen konnte.
Niemand sah sie an, niemand kümmerte sich um sie. Sie sah sich mit Verachtung von diesen ehrbaren Toren behandelt, die sie erst geopfert hatten und sie nun wie etwas unsauberes unnütziges bei Seite warfen. Sie dachte an ihren großen Korb mit Leckerbissen, die sie alle haufenweise verschlungen hatten, an ihre beiden geleeglänzenden Hühner, an ihre Pasteten, ihre Birnen, ihre vier Flaschen Bordeaux. Endlich riss ihr der Geduldsfaden und sie fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen kamen. Sie machte furchtbare Anstrengungen, gebrauchte ihr Schnupftuch, schluckte wie Kinder die Tränen herunter; aber sie kamen immer wieder, füllten ihre Augen, und bald rollten zwei große Tropfen über ihre Wangen. Immer weitere folgten und rannen wie Wassertropfen, die durch das Gestein sickern, auf die hochgewölbte Brust herab. Sie blieb mit starrem Blick, bleichen Antlitzes gerade sitzen, in der Hoffnung, dass man sie nicht anschauen würde.
Aber die Gräfin hatte es bemerkt, und machte ihrem Manne ein Zeichen. Er zuckte die Achseln, als wenn er sagen wollte: »Was willst Du; ich kann nichts dafür. Madame Loiseau hatte ein stilles triumphierendes Lächeln.
»Sie weint über ihre Schande,« murmelte sie.
Die beiden Schwestern hatten ihr Gebet wieder aufgenommen, nachdem sie den Rest der Schlackwurst wieder eingewickelt hatten.
Cornudet, der seine Eier verdaute, streckte seine langen Beine bis unter die Bank auf der anderen Seite, legte sich zurück, kreuzte die Arme, lächelte wie jemand, dem plötzlich ein guter Witz einfällt und summte die »Marseillaise« vor sich hin.
Alle Gesichter verfinsterten sich. Dieses Volkslied gefiel seinen Nachbarn entschieden nicht. Sie wurden nervös, reizbar und sahen aus, als ob sie heulen wollten wie die Hunde bei den Tönen eines Leierkastens. Er bemerkte es; aber nun hörte er erst recht nicht auf. Zuweilen ließ er ganz laut die Worte erklingen:
Heilige Liebe des Vaterlandes
Führe, stütze unsern Rächerarm,
Freiheit, teure Freiheit,
Kämpf mit Deiner Streiter Schwarm!
Da der Schnee hart geworden war, fuhr man viel schneller. Bis Dieppe, während der langen trüben Fahrt, zwischen den Stössen des Wagens, beim Anbruch des Abends bis in der tiefsten Finsternis, setzte er sein einförmiges Rachelied in wildem Eigensinne fort. Er zwang sie förmlich, mit ihrem müden Geiste seinem Gesange von Anfang bis zu Ende zu folgen, sich jedes einzelne der bis zum Überdruss gehörten Worte einzuprägen.
Fett-Kloss weinte immer weiter. Zuweilen ertönte zwischen den einzelnen Strophen in der Finsternis ein lautes Aufschluchzen, das sie nicht hatte zurückhalten können.
*
Zwei Freunde
Das belagerte, ausgehungerte Paris lag in den letzten Zügen. Die Sperlinge auf den Dächern waren selten geworden und die Kloaken entvölkert. Man ass, was nur immer zu haben war.
Herr Morrisot seines Zeichens Uhrmacher und seiner augenblicklichen Beschäftigung nach Staatsbummler wanderte an einem hellen Januar-Morgen, die Hände in den Hosentaschen seiner Uniform mit leerem Magen in trübseliger Stimmung auf dem äusseren Boulevard umher. Plötzlich blieb er vor einem Waffengenossen stehen, in dem er einen alten Freund wiedererkannte. Es war Herr Sauvage, den er einst am Ufer der Seine kennen gelernt hatte.
Vor dem Kriege wandelte Herr Morissot jeden Sonntag mit dem Frührot, eine Angelrute in der Hand und ein Gefäss aus Weißblech auf dem Rücken zum Hause hinaus. Er benutzte die Eisenbahn nach Argenteuil, stieg in Colombes aus und begab sich zu Fuss nach der Insel Marante. Kaum an diesem Zielpunkt seiner Träume angelangt, begann er zu fischen und fischte bis zum Abend.
Jeden Sonntag traf er dort einen wohlgenährten, kleinen, jovialen Mann, Herrn Sauvage, einen Krämer aus der Strasse Notre Dame de Lorette, der wie er ein leidenschaftlicher Angler war. Sie brachten zuweilen halbe Tage nebeneinander zu, die Angelrute in der Hand, die Füsse über dem Wasser baumelnd, und fühlten sich allmählich von herzlicher Freundschaft zueinander hingezogen.
Zuweilen sprachen sie kaum ein Wort miteinander; dann plauderten sie wieder stundenlang. Aber auch, wenn sie nicht miteinander sprachen, verstanden sie sich wunderbar; denn sie hatten denselben Geschmack und dieselben Empfindungen.
Im Frühling, morgens so gegen zehn Uhr, wenn die neubelebte Sonne ihre Strahlen auf den Fluss warf, dessen Fluten dieselben fortzutragen schienen, und zugleich im Rücken der beiden leidenschaftlichen Angler eine angenehme Wärme zu entwickeln pflegte, sagte Morissot hin und wieder zu seinem Nachbar: »Eine milde Luft, wie?« und Herr Sauvage entgegnete: »Ich kenne nichts angenehmeres.« Hiermit war ihr Gespräch