Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant Gesammelte Werke bei Null Papier

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fin­det al­les, was man will.«

      Sie lä­chel­te mit lie­bens­wür­di­ger Gleich­gül­tig­keit und sag­te dann ernst:

      »Herr Wal­ter hat sich viel Mühe ge­ge­ben, eine sol­che Zei­tung zu schaf­fen. Sie ent­spricht dem jet­zi­gen mo­der­nen Be­dürf­nis.«

      Sie be­gan­nen zu plau­dern. Er sprach leicht und ober­fläch­lich mit ei­ner reiz­vol­len Stim­me. Auch hat­te er viel An­mut im Blick und einen un­wi­der­steh­lich be­ste­chen­den Schnurr­bart. Er wir­bel­te sich kraus und al­ler­liebst auf der Lip­pe, dun­kel­blond, mit ei­nem Stich ins Röt­li­che, wäh­rend die Haar­spit­zen et­was hel­ler schim­mer­ten.

      Sie un­ter­hiel­ten sich über Pa­ris und sei­ne Um­ge­bung, über die Ufer der Sei­ne, über die Ba­de­or­te, Som­mer­fri­schen und alle die­se Din­ge, über die man ohne jeg­li­che geis­ti­ge An­stren­gung end­los plau­dern kann.

      Dann trat Nor­bert de Va­ren­ne mit ei­nem Li­kör­glas in der Hand her­an, und Du­roy zog sich dis­kret zu­rück.

      Ma­da­me de Ma­rel­le, die sich eben mit Ma­da­me Fo­res­tier un­ter­hielt, rief ihn her­an: »Also, Sie wol­len es mit dem Jour­na­lis­mus ver­su­chen?« frag­te sie et­was schroff.

      Da sprach er mit un­be­stimm­ten Wor­ten über sei­ne Plä­ne und be­gann dann mit ihr ge­nau die­sel­be Un­ter­hal­tung, die er vor­her mit Frau Wal­ter ge­führt hat­te. Jetzt, wo er den Ge­gen­stand bes­ser be­herrsch­te, zeig­te er sich et­was ge­wand­ter und wie­der­hol­te, wie aus sich her­aus, das, was er ge­ra­de ge­hört hat­te. Da­bei blick­te er sei­ner Dame fort­wäh­rend in die Au­gen, wie um sei­nen Wor­ten einen tiefe­ren Sinn zu ge­ben.

      Sie er­zähl­te ihm ih­rer­seits Ge­schich­ten mit dem leb­haf­ten Ton ei­ner Frau, die weiß, dass sie geist­reich und wit­zig ist, und die im­mer lus­tig wir­ken kann. Dann wur­de sie ver­trau­lich, leg­te die Hand auf sei­nen Arm, senk­te die Stim­me, um Nich­tig­kei­ten zu sa­gen, die da­durch das Ge­prä­ge ei­ner Ver­trau­lich­keit er­hiel­ten.

      Er war in­ner­lich ent­zückt, der jun­gen Frau, die sich ihm so eif­rig wid­me­te, auch kör­per­lich nahe zu sein. Am liebs­ten hät­te er um ih­ret­wil­len so­fort ir­gend­ei­ne große Tat voll­führt und ihr ge­stan­den, dass er sie schät­ze und nur des­we­gen manch­mal ver­stum­me, weil er ganz von ihr ein­ge­nom­men sei.

      Aber plötz­lich rief Ma­da­me de Ma­rel­le ohne jede Ver­an­las­sung: »Lau­ri­ne!« Das klei­ne Mäd­chen kam. »Setz’ dich hier­her, mein Kind, du er­käl­test dich am Fens­ter!«

      Und Du­roy emp­fand ein tol­les Ver­lan­gen, das Kind zu küs­sen, als soll­te auch die Mut­ter von die­sem Kus­se et­was ver­spü­ren. Er frag­te in ei­nem ga­lan­ten, vä­ter­li­chen Ton:

      »Darf ich Sie küs­sen, klei­nes Fräu­lein?«

      Das Kind sah ihn er­staunt an. Ma­da­me de Ma­rel­le sag­te la­chend: »Ant­wor­te: heu­te möch­te ich es schon, denn im­mer geht das nicht.«

      Du­roy setz­te sich so­fort hin, zog Lau­ri­ne auf sein Knie und streif­te die zar­ten, wol­li­gen Haa­re des Kin­des mit den Lip­pen.

      Die Mut­ter war er­staunt: »Wie, sie ist nicht da­von­ge­lau­fen? Das ist ja son­der­bar. Sonst lässt sie sich nur von Frau­en küs­sen. Sie müs­sen un­wi­der­steh­lich sein, Herr Du­roy.«

      Er wur­de rot, ant­wor­te­te nichts und schau­kel­te mit ei­ner leich­ten Be­we­gung das klei­ne Mäd­chen auf den Kni­en.

      Ma­da­me Fo­res­tier trat zu ihm und stieß einen Ruf des Er­stau­nens aus: »Schau, ein Wun­der, Lau­ri­ne ist ge­zähmt.«

      Jaques Ri­val trat mit der Zi­gar­re im Mun­de her­an und Du­roy ver­ab­schie­de­te sich, um durch ir­gend­ein un­ge­schick­tes Wort den gu­ten Ein­druck, den er ge­macht hat­te, nicht wie­der zu zer­stö­ren und das be­gon­ne­ne Erobe­rungs­werk in Fra­ge zu stel­len.

      Er ver­beug­te sich, drück­te leicht die klei­nen Frau­en­hän­de, die sich ihm ent­ge­gen­streck­ten, und schüt­tel­te kräf­tig den Her­ren die Hand. Es fiel ihm da­bei auf, dass Jaques Ri­vals Hand heiß und tro­cken war und sei­nen Druck herz­lich er­wi­der­te, wäh­rend die Hand Nor­bert de Va­ren­nes feucht und kalt war und sich kaum fas­sen ließ. Va­ter Wal­ters Hand war kühl und weich, ohne Ener­gie und Aus­druck, die Fo­res­tiers fett und warm. Sein Freund flüs­ter­te ihm zu:

      »Mor­gen um drei. Ver­giss nicht!«

      »O nein, sei un­be­sorgt!«

      Als er sich wie­der auf der Trep­pe be­fand, war sei­ne Freu­de so groß, dass er am liebs­ten hin­ab­ge­lau­fen wäre. Er nahm im­mer zwei Stu­fen auf ein­mal.

      Plötz­lich er­blick­te er in dem großen Spie­gel des zwei­ten Stockes einen über­ei­li­gen Herrn, der auf ihn zu­ge­sprun­gen kam. Be­schämt blieb er ste­hen, als hät­te man ihn auf ei­ner Dumm­heit er­tappt. Dann be­trach­te­te er sich lan­ge Zeit aufs höchs­te ver­wun­dert, dass er wirk­lich ein so hüb­scher Kerl war. Freund­lich lä­chel­te er sich zu und ver­ab­schie­de­te sich dann von sei­nem Eben­bild mit ei­nem tie­fen, fei­er­li­chen Gruß, wie man eine hoch­ge­stell­te Per­sön­lich­keit grüßt.

      III.

      Ge­or­ges Du­roy be­fand sich wie­der auf der Stra­ße und über­leg­te, was er tun soll­te. Er hat­te Lust zu lau­fen, zu träu­men, im­mer­fort zu ge­hen, an sei­ne Zu­kunft zu den­ken und die mil­de Nacht­luft ein­zuat­men; doch der Ge­dan­ke an die Ar­ti­kel­se­rie, die Va­ter Wal­ter be­stellt hat­te, gab ihm kei­ne Ruhe, und er be­schloss, so­fort nach Hau­se zu ge­hen und sich an die Ar­beit zu set­zen. Mit ei­li­gen Schrit­ten ging er wei­ter, er­reich­te den äu­ße­ren Bou­le­vard und ge­lang­te end­lich in die Rue Boursault, wo er wohn­te. Sei­ne Woh­nung be­fand sich in ei­nem sechs­stö­cki­gen Haus, das von etwa zwan­zig Ar­bei­ter- und Klein­bür­ger­fa­mi­li­en be­völ­kert war. Er stieg die Trep­pe hin­auf und be­leuch­te­te mit Wachss­treich­höl­zern die schmut­zi­gen Stu­fen, auf de­nen Pa­pier­fet­zen, Zi­gar­ren­stum­mel und Kü­chen­ab­fäl­le her­um­la­gen. Er emp­fand ein wi­der­wär­ti­ges Ge­fühl und einen Drang, so rasch als mög­lich von hier fort­zu­kom­men und so zu woh­nen, wie es die rei­chen Leu­te tun, in sau­be­ren Woh­nun­gen mit schö­nen Tep­pi­chen. Ein schwe­rer Ge­ruch von Spei­se­res­ten, Un­rat und un­sau­be­rer Men­sch­lich­keit, ein sta­gnie­ren­der Duft von Fett und Mau­ern, den kein fri­scher Luft­zug ver­trei­ben konn­te, er­füll­te das Haus von oben bis un­ten.

      Das Zim­mer des jun­gen Man­nes lag im fünf­ten Stock und ging wie auf einen tie­fen Ab­grund, auf den wei­ten Ein­schnitt der West­bahn, ge­ra­de ober­halb der Tun­ne­lein­fahrt, vor dem Bahn­hof Ba­ti­gnol­les, hin­aus. Du­roy öff­ne­te das Fens­ter und lehn­te sich auf das ver­ros­te­te, ei­ser­ne Fens­ter­brett.

      Un­ter ihm glüh­ten in

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