Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant Gesammelte Werke bei Null Papier

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um zu schrei­ben, be­merk­te er erst, dass er nur eine Schach­tel Brief­pa­pier hat­te.

      »Das ist kein Un­glück«; er half sich, in­dem er die Bo­gen aus­ein­an­der­fal­te­te und sie in ih­rer gan­zen Grö­ße be­nutz­te. Er tauch­te die Fe­der in die Tin­te und schrieb mit sei­ner schö­nen Hand­schrift auf den Kopf des ers­ten Bo­gens die Wor­te:

      »Erin­ne­run­gen ei­nes afri­ka­ni­schen Jä­gers.«

      Dann such­te er nach dem An­fang des ers­ten Sat­zes. Er saß, den Kopf auf die Hän­de ge­stützt, die Au­gen auf das wei­ße Pa­pier ge­rich­tet, das sich vor ihm aus­brei­te­te. Was soll­te er schrei­ben? Er fand ab­so­lut nichts von dem wie­der, was er kurz vor­her er­zählt hat­te, kei­ne An­ek­do­te, kei­ne ein­zi­ge Tat­sa­che, nichts. Plötz­lich fiel ihm ein: »Ich muss mit mei­ner Abrei­se aus der Hei­mat be­gin­nen.« Und er schrieb: »Es war un­ge­fähr am 15. Mai des Jah­res 1874, als das er­schöpf­te Frank­reich sich von den Schick­sals­schlä­gen der schreck­li­chen Kriegs­jah­re er­hol­te.«

      Dann stock­te er wie­der, er wuss­te nicht, wie er nun das Fol­gen­de schil­dern soll­te, sei­ne Ein­schif­fung, die Rei­se, sei­ne ers­ten Ein­drücke … Nach­dem er zehn Mi­nu­ten ge­grü­belt hat­te, be­schloss er, die­sen ein­lei­ten­den Teil auf den nächs­ten Mor­gen zu ver­schie­ben und einst­wei­len mit der Be­schrei­bung von Al­gier zu be­gin­nen.

      Und er schrieb auf sein Pa­pier:

      »Al­gier ist eine ganz wei­ße Stadt…«, da blieb er wie­der ste­cken. Er sah in Ge­dan­ken die hüb­sche, hel­le Stadt vor sich, die sich von der Höhe des Ge­bir­ges bis zum Meer hin­un­ter­zog, wie eine Kas­ka­de von nied­ri­gen Häu­sern mit fla­chen Dä­chern. Aber er fand kei­nen Aus­druck für das, was er ge­se­hen und emp­fun­den hat­te.

      Mit vie­ler Mühe und An­stren­gung schrieb er wei­ter: »Sie ist zum Teil von Ara­bern be­wohnt…« Dann warf er sei­ne Fe­der auf den Tisch und stand auf. Auf sei­nem schma­len, ei­ser­nen Bett, in das sein Kör­per ein Loch ein­ge­drückt hat­te, sah er sei­ne Werk­tags­klei­der her­um­lie­gen, schä­big, ab­ge­ris­sen, wie Lum­pen aus der Morgue. Auf dem Stroh­stuhl stand sein Sei­den­zy­lin­der, der ein­zi­ge Hut, den er be­saß, und schi­en hilfs­be­dürf­tig mit der Öff­nung nach oben um ein Al­mo­sen zu bit­ten.

      Die graue Ta­pe­te mit blau­en Blu­men­sträu­ßen hat­te eben­so viel Schmutz als Blu­men, alte, ver­däch­tig aus­se­hen­de Fle­cke un­be­stimm­ter Her­kunft, tot­ge­drück­te In­sek­ten und Öl­kleck­se, fet­ti­ge Fin­ger­ab­drücke und Sei­fen­schaum­spu­ren, die wäh­rend des Wa­schens an­ge­spritzt wa­ren. Das al­les roch nach dem nack­tes­ten Elend, nach dem Elend ei­nes mö­blier­ten Zim­mers. Und eine Er­bit­te­rung er­griff ihn ge­gen die Arm­se­lig­keit sei­nes bis­he­ri­gen Le­bens. Er sag­te sich, dass er so­fort schon mor­gen aus ihr hin­aus müss­te, um end­lich die­sem küm­mer­li­chen Da­sein ein Ende zu ma­chen.

      Plötz­lich über­kam ihn ein neu­er Ar­beitsei­fer, er setz­te sich wie­der an den Tisch und such­te wie­der nach Wor­ten, um den ei­gen­ar­ti­gen und reiz­vol­len Ein­druck von Al­gier zu schil­dern, die­ses Ein­gang­stor in das ge­heim­nis­vol­le und tie­fe Afri­ka, in das Land um­her­strei­fen­der Ara­ber und un­be­kann­ter Ne­ger­stäm­me, in das un­er­forsch­te und ver­lo­cken­de Afri­ka, des­sen un­wahr­schein­li­che Tier­welt uns bis­wei­len in den öf­fent­li­chen Gär­ten ge­zeigt wird; ganz merk­wür­di­ge Tie­re, wie aus dem Mär­chen­lan­de: Strau­ße, Rie­sen­hüh­ner, Ga­zel­len, präch­ti­ge Zie­gen, gro­tes­ke Gi­raf­fen, schwe­re, erns­te Ka­me­le, un­ge­heu­er­li­che Nil­pfer­de, plum­pe Rhi­no­ze­ros­se und Go­ril­las, die­se ab­scheu­li­chen Eben­bil­der der Men­schen.

      Un­be­stimm­te Ge­dan­ken schweif­ten in sei­nem Kopf; er hät­te sie viel­leicht er­zäh­len kön­nen, aber er ver­moch­te sie nicht in ge­schrie­be­ne Sät­ze zu fas­sen. Sei­ne Ohn­macht er­reg­te ihn fie­ber­haft, er sprang wie­der auf, sei­ne Hän­de schwitz­ten und das Blut häm­mer­te in den Schlä­fen.

      Sei­ne Bli­cke fie­len auf die Rech­nung der Wasch­frau, die der Con­cier­ge ihm her­auf­ge­bracht hat­te, und von Neu­em über­fiel ihn eine gren­zen­lo­se Verzweif­lung. Sei­ne Freu­de war im Au­gen­blick da­hin und mit ihr sein Selbst­ver­trau­en und die Hoff­nung auf sei­ne Zu­kunft. Es war aus — al­les aus; er wür­de es zu nichts brin­gen und wür­de nichts wer­den. Er fühl­te sich leer, un­fä­hig, un­nütz und ver­dammt. Er trat an das Fens­ter und blick­te hin­un­ter. Ein Zug kam mit to­sen­dem Lärm aus dem Tun­nel her­aus, um über Fel­der und Ebe­nen nach der Mee­res­küs­te zu fah­ren. Und Erin­ne­rung an sei­ne El­tern er­füll­te das Herz Du­roys.

      Die­ser Zug wür­de nur we­ni­ge Mei­len von ih­rem Hau­se vor­bei­fah­ren. Er sah es wie­der, die­ses klei­ne Häu­schen am Ein­gan­ge des Dor­fes Can­te­leu, oben auf dem Ab­hang, der Rou­en und das wei­te Tal der Sei­ne be­herrsch­te. Sein Va­ter und sei­ne Mut­ter hat­ten eine klei­ne Schen­ke, ein Wirts­haus, wo die Ein­woh­ner des klei­nen Vo­r­orts Sonn­tags zu früh­stücken pfleg­ten. Es hieß »Zur schö­nen Aus­sicht«. Sie hat­ten aus ih­rem Sohn einen »Herrn« ma­chen wol­len und schick­ten ihn aufs Gym­na­si­um. Nach Been­di­gung sei­ner Stu­di­en­zeit fiel er beim Ex­amen durch und hat­te sich zum Mi­li­tär­dienst ge­mel­det, in der Ab­sicht, Of­fi­zier, Oberst, Ge­ne­ral zu wer­den. Doch das Sol­da­ten­le­ben hat­te ihn nicht be­frie­digt, und so war er, ehe er sei­ne fünf Jah­re Dienst­zeit ab­sol­viert hat­te, nach Pa­ris ge­gan­gen, um dort sein Glück zu ma­chen.

      So war er hier­her­ge­kom­men trotz der Bit­ten sei­ner El­tern, die ihn, als sie den Fehl­schlag ih­rer Hoff­nun­gen ein­sa­hen, bei sich be­hal­ten woll­ten. Er sei­ner­seits hoff­te auf die Zu­kunft; der Er­folg muss­te kom­men, er wuss­te nur nicht wie, aber er wür­de Mit­tel und Wege fin­den, ihn an sich zu rei­ßen.

      Schon im Re­gi­ment hat­te er im­mer Glück bei Frau­en ge­habt und hat­te in bes­se­ren Krei­sen ein paar Aben­teu­er ge­habt. Er hat­te die Toch­ter des Steuer­ein­neh­mers ver­führt, die al­les im Stich las­sen woll­te, um ihm zu fol­gen, und dann die Frau ei­nes An­walts, die, als er sie ver­las­sen hat­te, sich aus Verzweif­lung zu er­trän­ken ver­such­te.

      Sei­ne Ka­me­ra­den nann­ten ihn einen Schlau­kopf, einen Ra­cker, der klug ge­nug sei, sich aus der Klem­me zu zie­hen, und er hat­te sich fest vor­ge­nom­men, die­ser Kri­tik Ehre zu ma­chen.

      Sein an­ge­bo­re­nes, nor­man­ni­sches Ge­wis­sen war durch die täg­li­che Pra­xis des Sol­da­ten­le­bens, durch die Bei­spie­le von Räu­be­rei­en in Afri­ka, von un­er­laub­tem Miss­brauch, von be­denk­li­chen Prel­le­rei­en ab­ge­stumpft und elas­tisch ge­wor­den; au­ßer­dem war er über­reizt von den in der Ar­mee gel­ten­den Ehr­be­grif­fen, von den qua­si he­ro­i­schen Ta­ten, von de­nen die Un­ter­of­fi­zie­re un­ter sich zu er­zäh­len wis­sen und von dem gan­zen Ruh­mes­glanz des Sol­da­ten­le­bens, so­dass sein Ge­wis­sen zu ei­ner Art Kis­te mit drei­fa­chem Bo­den wur­de, wo al­les mög­li­che zu fin­den war.

      Doch der Drang, Kar­rie­re zu ma­chen,

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