Die Begine und der Siechenmeister. Silvia Stolzenburg

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Die Begine und der Siechenmeister - Silvia Stolzenburg

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der Magister Hospitalis giftig bemerkt, bevor er Lazarus widerwillig die Hand gereicht hatte.

      Das Schlucken fiel Lazarus schwer, als er sah, wie Anna zögernd die Hand sinken ließ und ihn mit einem verlorenen Ausdruck auf dem Gesicht ansah. Einen Moment lang wirkte es, als ob sie nach ihm rufen wolle, doch sie schien sich eines Besseren zu besinnen. Lazarus sah sich verstohlen um. Der Hof war immer noch bevölkert von Insassen und Bediensteten, weshalb ihm nichts anderes übrig blieb, als sich schweren Herzens abzuwenden und in das Gebäude zu gehen, in dem sich die Zellen der Mönche befanden. Er durfte sich Anna gegenüber nicht mehr freundlicher zeigen, als er es den anderen gegenüber tat. Wenn er zuließ, dass sie ihm wieder so nahekam wie vor seiner Abreise, würde er erneut sein Gelübde brechen, dessen war er sich sicher. Sie war unerreichbar für ihn, wenn er ihr Herz nicht freigab, stürzte er sie womöglich ins Unglück. Sie war eine wunderschöne junge Frau und sicher würde sie nicht ewig eine Begine bleiben. Früher oder später verliebte sie sich gewiss in einen respektablen Patriziersohn und gründete eine Familie. Er, Lazarus, durfte ihr dabei nicht im Weg stehen. Deshalb beschloss er, ihr so kühl wie möglich zu begegnen, ohne sie dabei vor den Kopf zu stoßen.

      Kapitel 6

      Anna starrte fassungslos auf die Stelle, an der Lazarus eben noch gestanden hatte. Was passiert war, kam ihr unwirklich vor, wie ein böser Traum. Hatte er sie nicht erkannt? Warum war er nicht zu ihr gekommen oder hatte wenigstens ihr Winken erwidert? Was war ihm in Rom widerfahren? Der abweisende Ausdruck auf seinem Gesicht war schlimmer als alles, was sie sich ausgemalt hatte. Lange Zeit, nachdem er im Hauptgebäude verschwunden war, verharrte sie wie festgewachsen auf der Stelle und rührte sich erst, als sich eine Magd mit einem Eimer näherte. Wie betäubt trat sie beiseite, um die Frau Wasser schöpfen zu lassen, während die Gedanken in ihrem Kopf wild durcheinanderwirbelten. Gab Lazarus ihr die Schuld an dem, was passiert war? Wem denn sonst?, dachte sie, wütend über sich selbst. Wer hatte ihn denn dazu überredet, mit in die Gräth zu gehen, um einer Sache auf den Grund zu gehen, die sie fast das Leben gekostet hätte?

      Sie schob die Erinnerungen, die dieser Gedanke mit sich brachte, mit einem ärgerlichen Blinzeln beiseite, und kehrte dem Brunnen den Rücken. Es hatte keinen Sinn, sich den Kopf zu zermartern. Wenn Lazarus bereit war, mit ihr zu reden, würde er es sie wissen lassen. Bis dahin blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Arbeit zu verrichten, als wäre nichts geschehen. Alle anderen Gedanken waren zu schmerzlich. Sie beschloss, sich auf den Weg zu den Pfründnern zu machen, um sich von all dem abzulenken, was der Tag bisher gebracht hatte. Der Tod des Jungen und die Qualen des Mannes, dessen Beine der Wundarzt amputiert hatte, lasteten auf ihrer Seele. Immer öfter schlichen sich an manchen Tagen Zweifel ein, ob sie für das Leben einer Begine wirklich geeignet war. Vielleicht hatte ihr Bruder Jakob Recht gehabt, als er sie dazu gedrängt hatte, einen Mann aus angesehenem Haus zu ehelichen. Wäre seine Wahl nicht ausgerechnet auf den Sohn des zweiten Bürgermeisters gefallen …

      Sie schüttelte mit einem Seufzen den Kopf. Warum war sie so undankbar? Im Gegensatz zu den Armen und Bedürftigen, um die sie sich jeden Tag kümmerte, war sie in Überfluss und Sorglosigkeit aufgewachsen. Bis zu ihrem siebten Lebensjahr hatte sie nichts gekannt als das Spiel. Erst dann hatte ihre Mutter ihr Aufgaben im Haushalt übertragen. Das Gebäude, in dem sie aufgewachsen war, war ein Fachwerkhaus mit mehreren Giebeln. Ein großes Doppeltor führte in eine Halle, in der sich stets Waren aus aller Herren Länder stapelten. Ihr Vater war, genau wie ihr Bruder, ein einflussreicher Kaufmann, der kostbare Stoffe, Gewürze und allerlei andere Spezereien aus dem Morgenland einführte. An den meisten Tagen standen die reichen Ulmer und Ulmerinnen Schlange, um Edelsteine, bunt gefärbte Seide oder ausgefallene Federn für einen Kopfputz zu erstehen. Anna hatte sich nie besonders für diese Art Tand begeistern können, doch möglicherweise war es Zeit, zu diesem Leben zurückzukehren.

      Während ihr all die Erinnerungen durch den Kopf gingen, begab sie sich zum Wohngebäude der Pfründner, um sich um deren zahlreiche Zipperlein zu kümmern. Im Anschluss daran ging sie in die Stube der Wöchnerinnen, wo eine junge Frau unter ohrenbetäubendem Schreien ein Kind gebar. Sie war kaum älter als Anna, ihr Gesicht hochrot und schmerzverzerrt. Zwei Hebmägde knieten neben ihr, während die Hebamme zwischen ihren Beinen hantierte. Das Laken, auf dem die Frau lag, war durchweicht von Fruchtwasser und Blut und der Kopf des Kindes war bereits sichtbar.

      »Bald ist es vorbei«, ermutigte die Hebamme die Gebärende. »Du musst nur noch ein paar Mal kräftig pressen.«

      »Ich kann nicht mehr«, keuchte die Schwangere.

      »Du musst.«

      Die junge Frau umklammerte die Korallenkette, die eine der Hebmägde ihr um den Hals gelegt hatte, um sie vor Schaden bei der Geburt zu bewahren.

      »Ich gebe ihr etwas Nieswurz«, sagte Anna und holte eine kleine Flasche hervor, in der sich das Pulver befand. Dieses rieb sie der Frau unter die Nase, woraufhin die Wöchnerin sofort anfing, kräftig zu niesen.

      »Es kommt!« Die Hebamme fasste fester zu und zog an dem Säugling.

      Anna, die schon oft bei Geburten zugegen gewesen war, warf einen Blick auf den mit Schleim bedeckten Kopf des Kindes, der irgendwie anders aussah, als er sollte. Sie sah genauer hin und erschrak, als sie erkannte, dass dort, wo seine Oberlippe sein sollte, eine große Scharte klaffte. Etwas schien im Leib der Frau passiert zu sein, das zu dieser Fehlbildung geführt hatte. Anna wusste, dass im ersten Monat einer Schwangerschaft das Blut des Kindes gereinigt wurde. Im nächsten Monat wurde der Körper gebildet, dann wuchsen dem Embryo Nägel und Haare. Im vierten Monat fing das Kind an, sich zu bewegen, weshalb Schwangere oft an Übelkeit litten. In den nächsten Wochen nahm das Kind das Aussehen des Vaters oder der Mutter an, danach wurden die Nerven gebildet. Im siebten Monat schließlich härteten sich die Knochen, danach wurde alles andere vervollständigt, bis das Kind im neunten Monat schließlich das Licht der Welt erblickte. Irgendwann in diesem Prozess musste etwas geschehen sein, das für die Missbildung des Säuglings verantwortlich war.

      »Heilige Muttergottes!«, hörte Anna eine der Hebmägde sagen. Offenbar hatte auch sie den Wolfsrachen bemerkt. Sie bekreuzigte sich mehrmals. »Sie ist besessen!«

      »Lauf und hol einen der Brüder!«, trug die Hebamme der zweiten Magd auf. Sie hatte das Kind inzwischen befreit und drückte ihm mehrmals auf die Ohren. Dann drehte sie es um, versetzte ihm einen Klaps und verknotete die Nabelschnur drei Finger vom Bauchnabel entfernt. Schließlich säuberte sie es mit einem Tuch und legte es der erschöpften Mutter in die Arme.

      Die junge Frau erschrak, als sie einen Blick auf das Gesicht ihres Kindes warf. »Barmherziger!« Sie stieß den Jungen von sich. Hätte die Hebamme ihn nicht festgehalten, wäre er auf den Boden gefallen. »Nimm ihn weg!«, wimmerte die Wöchnerin. »Bitte!«

      »Er ist dein Sohn«, mahnte die Hebamme.

      »Aber er ist …« Die junge Frau schloss die Augen und fing an, leise zu beten.

      »Er ist missgebildet«, beendete die Hebamme ihren Satz. »Aber dennoch ist er ein Kind Gottes.«

      »Er ist vom Bösen besessen«, flüsterte die Hebmagd, die das Kind anstarrte, als fürchte sie, ihm könnten Hörner wachsen.

      »Eine Missbildung ist eine Strafe Gottes«, entgegnete die Hebamme, die sich die Hände in einer Schüssel Wasser wusch. »Die Brüder werden wissen, was mit ihm zu tun ist.« Sie griff nach einem Handtuch und trocknete sich ab. »So etwas gab es schon mal«, sagte sie an Anna gewandt, nachdem sie sich einige Schritte vom Bett der Wöchnerin entfernt hatten. »Vor einigen Jahren.«

      »Was ist mit dem Kind passiert?«, wollte Anna wissen.

      Die Hebamme zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Die Frau, die es zur Welt gebracht

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