Die Begine und der Siechenmeister. Silvia Stolzenburg

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Die Begine und der Siechenmeister - Silvia Stolzenburg

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      »Nein. Das Kind hat sie bei sich zu Hause zur Welt gebracht.«

      »Hat man damals nach einem Priester geschickt?«, fragte Anna.

      »Ihr Gemahl hat alle aus dem Haus gescheucht«, war die Antwort. »Ich weiß nicht, was aus dem Kind geworden ist. Ein paar Wochen später waren der Patrizier und seine Frau verschwunden. Vielleicht wollte er nicht, dass jemand die Missbildung sieht.«

      Anna runzelte die Stirn. War es nicht gefährlich für ein Neugeborenes, wenn man es nicht von dem Dämon befreite, der in ihm wohnte? Was, wenn sich der böse Geist seiner Seele bemächtigte? Dann war sein Leben verloren, bevor es richtig begonnen hatte. Sie sah auf den winzigen Knaben hinab, der anfing zu weinen. Vermutlich wollte er gesäugt werden, doch die Mutter schien so viel Angst zu haben, dass sie einer Ohnmacht nahe war.

      »Soll ich die Amme holen?«, fragte die Hebmagd, die im Raum geblieben war. Sie beäugte das Kind voller Misstrauen.

      Die Hebamme schüttelte den Kopf. »Erst muss es vom Bösen befreit werden.«

      Da Anna nichts weiter tun konnte, kniete sie sich neben das Bett, griff nach der Hand der Mutter und fing an, ein tröstendes Gebet zu sprechen. Die Frau tat ihr leid. Sie war schon vorher eine Ausgestoßene gewesen, sonst wäre sie nicht im Spital gelandet. Nach der Geburt eines missgestalteten Kindes würden die Ulmer einen noch größeren Bogen um sie machen.

      Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sich endlich Schritte näherten. Wenig später ging die Tür auf und die Hebmagd betrat den Raum.

      Hinter ihr erschien Bruder Lazarus.

      Kapitel 7

      Anna hatte Mühe, eine ausdruckslose Miene zu wahren, als ihr Blick auf Lazarus fiel. Auch er schien nicht erwartet zu haben, sie in der Stube der Wöchnerinnen anzutreffen, da alle Farbe aus seinem Gesicht wich. Nachdem er sie einige Augenblicke lang angestarrt hatte, riss er sich zusammen und wandte sich an die Hebamme. »Ein besessenes Kind?«

      Die Frau nickte und hielt ihm den Jungen entgegen.

      Lazarus warf einen Blick auf sein Gesicht, griff nach seinem Kruzifix und legte es dem Säugling auf den Bauch.

      Das Kind schrie.

      »Vade retro, Satana!«, murmelte er, nahm das Kind an sich und griff in einen kleinen Tiegel, den er bei sich trug. Darin schien sich Öl oder Weihwasser zu befinden, mit dem er ein Kreuz auf die Stirn des weinenden Knaben malte. »Der Dämon muss ausgetrieben werden«, stellte er schließlich fest. »Das Kind muss in geweihtem Wasser gebadet werden. Außerdem wird eine Messe gelesen.« Er bedeutete einer der Hebmägde, ihm das Kind abzunehmen.

      Die Frau wich zurück.

      »Keine Angst, der Dämon kann nicht in dich fahren«, beruhigte Lazarus sie.

      »Warum nicht?«

      »Weil er sich in diesem Unschuldigen festgesetzt hat. Nimm ihn mir ab!«

      Die Hebmagd rührte sich nicht von der Stelle.

      »Ich kann nicht gleichzeitig das Wasser weihen und ihn halten«, bekräftigte Lazarus ungeduldig.

      »Ich nehme ihn.« Bevor Anna wusste, was sie tat, trat sie hinter dem Lager der Wöchnerin hervor und nahm Lazarus den Säugling aus dem Arm.

      »Aber, du …«, hob Lazarus an, verstummte jedoch, als die beiden Hebmägde eiligst den Raum verließen.

      »Sieh nicht mich an«, sagte die Hebamme. »Ich werde hier gebraucht.« Sie beugte sich über die junge Mutter, die Lazarus und das Kind mit furchtgeweiteten Augen anstarrte.

      »Ich habe nichts Böses getan«, hauchte sie. »Es ist nicht meine Schuld.«

      »Keiner von uns ist ohne Schuld«, tadelte Lazarus sie.

      Die Frau senkte beschämt den Blick. Vermutlich war sie eine der vielen Mittellosen, die in die Stadt gekommen waren in der Hoffnung, hier ihr Glück zu finden. Für die meisten der jungen Dinger endete diese Suche nach einem besseren Leben auf eine von drei Arten: Sie wurden entweder von irgendeinem dahergelaufenen Strolch geschwängert, landeten in einem Hurenhaus oder tot in einem Straßengraben.

      »Wir müssen ihn so schnell wie möglich vom Bösen reinigen«, sagte Lazarus an Anna gewandt. Dabei bemühte er sich, ihr nicht in die Augen zu blicken.

      »Dann komm mit in die Badestube«, erwiderte sie. Ohne auf seine Antwort zu warten, verließ sie die Stube der Wöchnerinnen und trug das immer lauter weinende Kind die Treppen hinab in den Hof, von wo aus es nicht weit war bis zur Badestube.

      »Lass ein Bad bereiten, dann schick nach mir, bevor du ihn hineinlegst«, bat Lazarus. Bevor Anna antworten konnte, floh er in Richtung Hauptgebäude.

      Anna wusste nicht, was sie denken sollte. Sein Verhalten war verletzend, doch sie machte ihm keinen Vorwurf. Sie hatte keine Ahnung, was ihm in Rom wiederfahren war, wie hart seine Bestrafung gewesen war. Vielleicht drohten ihm immer noch die Exkommunikation oder Kerkerhaft und es stand ihr nicht zu, sein Leben oder seine Freiheit erneut in Gefahr zu bringen. Er war ein Mann Gottes und ihr Verlangen nach ihm töricht. Vermutlich war seine Rückkehr eine Prüfung oder die Strafe dafür, dass sie nicht die gehorsame Begine war, die sie sein sollte.

      »Nicht weinen«, flüsterte sie und strich dem Kind sanft über das feuchte Haar. Das missgestaltete Gesichtchen war vor Wut verzogen, krebsrot und faltig. Der gespaltene Gaumen sah aus, als ob er dem Kind furchtbare Schmerzen bereiten würde. Anna wusste, dass solche Kinder kaum länger als ein paar Tage am Leben blieben, da sie nur schwer Nahrung aufnehmen konnten. Sie hatte schon oft von Hasenscharten oder Wolfsrachen gehört, gesehen hatte sie eine solche Missbildung bislang jedoch nicht. Sie trug einer Magd auf, Wasser aus dem Ziehbrunnen zu holen und zu erwärmen, ehe sie es in einen Zuber in der Badestube goss. Sobald dieser halb voll war, schickte Anna nach Lazarus.

      Als er die Badestube betrat, ging er direkt zu dem Zuber, holte mehrere Lederbeutel und ein Fläschchen aus seinen Taschen und fing an, ein Segensgebet zu sprechen. Dann streute er Asche, Salz und einige Kräuter in das Wasser und gab einige Spritzer Weihwasser hinzu. »Du kannst ihn jetzt baden«, sagte er, als er fertig war.

      Anna kniete sich neben den Zuber und tauchte das schreiende Kind ins Wasser. Einen Moment lang verstummten die Schreie, doch das Gebrüll setzte schnell wieder ein. Gleichzeitig strampelte der Junge wie verrückt und versuchte, sich aus Annas Armen zu befreien.

      »Es scheint ein starker Dämon zu sein«, stellte Lazarus fest. »Tauch ihn ganz unter!«

      Anna befolgte die Anweisung und hielt das Kind so lange unter Wasser, bis sich das Strampeln abschwächte.

      »Das sollte genügen.« Lazarus bedeutete ihr, den Knaben aus dem Zuber zu holen und in eines der Leinentücher zu wickeln, die daneben lagen. »Der Dämon scheint aus ihm gewichen zu sein.« Er legte dem Kind erneut sein Kruzifix auf die Brust und dieses Mal protestierte es nicht. »Du kannst es zurück zu seiner Mutter bringen.«

      »Lazarus, warte!«, bat Anna, als er sich zum Gehen wandte.

      Er erstarrte mitten in der Bewegung.

      »Wie ist es dir in Rom ergangen?«, fragte sie leise. »Was …?«

      »Meine

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