Sand im Dekolleté. Micha Krämer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Sand im Dekolleté - Micha Krämer страница 6
Frau Heckholz starrte die Kollegin mit offenem Mund an.
„Aber, ich habe mich doch nur verteidigt. Dieser Nackte wollte mich umbringen.“
„Nein, das wollte er nicht. Herr von Schlechtinger hat lediglich versucht, bei dem mittlerweile verstorbenen Opfer Erste Hilfe zu leisten, als Sie ihn attackiert haben“, schimpfte Lotta, legte der total perplexen rosa Dame Handschellen an und kettete sie damit an den Griff des Strandkorbes.
„Hast du schon den Arzt und die Kripo verständigt?“, erkundigte sich Lotta nun bei ihm und zog ihn ein Stück abseits. Onno war beeindruckt, wie sachlich und professionell die kleine Kollegin vorging, während die dingfest gemachte Frau Heckholz Gift und Galle spie.
„Nein, ich hatte ja noch kein Bild von der Lage“, gab er zu und setzte sich in Bewegung, um dies nachzuholen. Auf dem Weg zu der toten Frau klärte Lotta ihn über das Wenige, was sie wusste, auf. Während Onno dann die Kripo verständigte, rief Lotta bei Doktor Jan Martin Bechersheim an. Ein Arzt konnte wahrlich nicht schaden. Sowohl bei den Überlebenden als auch bei der Toten. Wobei er bei der Verstorbenen außer einen Totenschein auszustellen nichts mehr machen könnte. Aber auch das war wichtig.
„Und was machen wir jetzt mit Frau Heckholz?“, erkundigte er sich anschließend bei der Kollegin.
Lotta zuckte mit den Schultern.
„Um die kümmern wir uns später … wenn sie sich beruhigt hat.“
„Und wat is mit mir und dem Lumpi“, mischte Martin sich ein. Onno fand, dass der Freund irgendwie arg angeschlagen schien.
„Du setzt dich jetzt mal besser da vorne hin und wartest, bis der Doktor dich untersucht hat. So lass ich dich nicht gehen, mein Lieber. Mit Stromschlägen ist nicht zu spaßen“, belehrte er den Freund.
Zu seiner Verwunderung nickte Martin und schlurfte durch den Sand in Richtung des Holzbohlenwegs, wo er sich hinsetzte und seine Pfeife aus der Latzhose kramte. Heieiei … den guten Martin hatte es tatsächlich heftig aus der Bahn geworfen. Doch zum Glück lebte er noch. So manch einem hatten diese Teufelsdinger auch schon das Leben gekostet.
*
Annemarie Hansen saß frisch geduscht am Frühstückstisch und blickte auf die Wanduhr über der Küchentüre. Wo Martin bloß blieb? Normalerweise ging sie jeden Morgen zum Joggen an den Strand. Heute war allerdings nicht normal. Nein, sie musste zugeben, dass sie es letzte Nacht mit dem Alkohol doch ein wenig übertrieben hatte. Eigentlich trank sie nur selten und dann auch nur ein oder zwei Gläschen. Doch gestern am Abend hatte sie sich von den Besuchern aus dem Westerwald irgendwie mitreißen lassen. Diese Leute waren aber auch so etwas von gesellig und trinkfest – das kannte sie so in dieser Form gar nicht.
Heute Morgen, als der Wecker ging, war sie wie immer mit Martin aufgestanden und in ihren Sportdress geschlüpft, hatte die Laufrunde aber dann doch sehr verkürzt, da ihr einfach die Kraft und der Wille gefehlt hatten. Anstatt am Strand durch den Sand, war sie heute nur über die Straße bis zum Inselflugplatz und wieder zurück gelaufen. Besser als nichts.
Sie erhob sich, ging zur Terrassentür und sah zum Schuppen, neben dem Martin sein Rad für gewöhnlich abstellte. Es war nicht da. Annemarie konnte es nicht gut vertragen, wenn sie nicht wusste, wo Martin steckte. Es lag nicht daran, dass sie ihm nicht traute oder dachte, er könne sie betrügen. Nein, das war es nicht. Martin war auch so gar nicht der Typ Mann für Weibergeschichten. Er war rundum eine treue Seele. Nein, was sie beinahe um den Verstand brachte, war die Panik, ihn zu verlieren. Dass ihm irgendetwas zustoßen könnte. Sie wusste, wie gerne er morgens in der Nordsee baden ging. Dennoch war ihr nie wohl dabei. Sie hatte schon einmal einen Mann an die See verloren. Heiner Hansen, ihr erster Mann, war vor beinahe zwanzig Jahren vor ihren Augen bei einem Sturm von seinem Krabbenkutter in die Fluten gestürzt und ertrunken. Auch Martin hatte ihr schon einmal Kummer bereitet und war einfach so mit einem Herzinfarkt umgefallen. Zum Glück nicht ins Wasser, sondern beim Bier holen vor dem Getränkemarkt. Aber egal. Auf alle Fälle war es daher nicht verwunderlich, dass Annemarie Angst um ihn hatte. Sie trat in den Garten und sog die frische Brise ein, die der Wind von der See herantrieb. Sie vernahm mit einem Mal ein Geräusch, das sie gut kannte, das aber so gar nicht zu einem schönen Morgen passen wollte. Das Brummen eines Helikopters. Sie suchte den Horizont ab. Der Hubschrauber überflog die Insel vom Festland her kommend, drehte eine Runde über dem Strand und setzte dann zur Landung an. Annemarie erkannte, dass es der blau-weiße Hubschrauber der Polizei war. Aber was tat die Polizei vom Festland hier auf der Insel? Hastig rannte sie zurück ins Haus, überlegte kurz und entschied sich dann, bei Lotta anzurufen. Dummerweise ging sie nicht ran. Es bei Martin direkt zu versuchen, war sinnlos, da sein Gerät, wie zumeist morgens, auf dem Küchentisch lag. Als Nächstes versuchte sie es bei Onno.
„Polizeihauptmeister Onno Federsen, Polizeidienststelle Langeoog“, meldete der sich wie immer äußerst korrekt.
„Hallo, Onno, hier ist Annemarie … sag mal, hast du Martin gesehen?“, kam sie sofort zur Sache.
„Du, Annemarie … ja, hab ich … aber das ist jetzt ganz schlecht. Die Kollegen von der Kripo landen gerade mit dem Heli“, versuchte er sie sofort abzuwimmeln.
„Die Kripo ist da? Ist was mit Martin?“, erschrak sie.
„Nein, nein, Annemarie, mit Martin ist alles in Ordnung. Doktor Bechersheim kümmert sich um ihn. Du … ich muss jetzt aber Schluss machen“, erklärte er und legte dann einfach auf.
Annemarie starrte auf das Telefon. Sie zitterte. Hatte sie das gerade richtig verstanden? Martin wurde medizinisch versorgt? Hastig rannte sie in den Flur, schlüpfte in ihre Sneakers und saß nur Sekunden später auf ihrem Fahrrad, um an den Strand zu radeln. Sie konnte doch jetzt nicht einfach ins Büro fahren, um zu arbeiten. Die Ferienhausvermietung würde eben heute einmal ohne ihre Chefin auskommen müssen. Zum Glück hatte ihre Angestellte, Gina Marie, einen Schlüssel und konnte den Laden mittlerweile auch mal ganz gut ohne sie schmeißen.
*
Ein Tohuwabohu war das heute Morgen hier am Strand. Martin saß auf dem Holzbohlenpfad am Übergang zur „Düne 13“ und betrachtete das Schauspiel.
„Hui, dat is aber kalt, dein Dingens da“, fand er, als sein Schwiegersohn Doktor Jan Martin Bechersheim ihm das metallene Stethoskop auf die Brust drückte.
„Ja, ja … das sagt einer, der im September noch morgens in der Nordsee badet“, meinte dieser nur und lächelte. Martin atmete mehrmals tief ein und aus, wie er das schon als Kind von seinem Hausarzt gelernt hatte.
„Mensch, Schwiegerpapa, nicht atmen … wie soll ich denn so dein Herz hören?“, schimpfte der jetzt.
„Wenn ich nit atmen tu, dann sterb ich aber“, versuchte Martin jetzt erst einmal einen Scherz, hielt aber dann doch die Luft an.
„Hm … hört sich alles ganz normal an. Trotzdem wäre es mir lieber, wir würden noch ein EKG machen“, fand der Arzt.
„Papperlapapp, meiner Pumpe fehlt nix. Gib mir lieber wat gegen die Koppweh“, wies er den Jungen an.
„Hm … die Kopfschmerzen könnten natürlich auch eine Folge des Stromschlages sein“, überlegte Jan