Sand im Dekolleté. Micha Krämer
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„So lange dieser verdammte Wasserhahn tropft, kann ich mich nicht in Ruhe entspannen. Ich verlange, dass Sie das sofort beheben lassen. Dieses Getropfe macht einen ja schier wahnsinnig“, schimpfte der dicke Mann mit der Halbglatze, der dem Dialekt nach eindeutig aus dem Süden der Republik stammte.
„Natürlich, Herr Huber, unser Klempnermeister Herr von Schlechtinger wird sich Ihrem Wasserhahn zeitnah annehmen“, versicherte sie wie immer freundlich und obwohl es ihr ziemlich egal war, ob der Wasserhahn im Bad des Ferienhauses tropfte oder nicht. Draußen schien die Sonne. Konnte der Mann nicht einfach an den Strand gehen und sich entspannen wie andere?
Gina Marie notierte die Beschwerde und legte sie unter den Stapel mit den andern Aufträgen in Martins Fach. Der würde diese von oben nach unten nach und nach abarbeiten. Und das „zeitnah“. Sie mochte dieses Wort und gebrauchte es im Büro gefühlt bei jedem Gespräch mindestens einmal. Es sagte so herrlich wenig aus, suggerierte dem anderen aber, dass es vermutlich nicht mehr lang dauern würde, bis man sich um dessen Anliegen kümmerte. Mit Aussagen wie „gleich“, „in einer Stunde“ oder „morgen“ konnte man sich hingegen schnell mal eine Falle stellen. Nein … dann doch lieber zeitnah.
Wo Martin und Annemarie heute wohl steckten? Ihre Chefin und ihr Papa waren sonst immer die Ersten morgens in der Firma. Das sah ihnen gar nicht ähnlich, sich zu verspäten.
Nachdem Gina Marie auch die Beschwerde des zweiten Gastes aufgenommen hatte – die Matratze seiner Frau sei viel zu weich – machte sie sich daran, Kaffee zu kochen und Wasser für Tee aufzusetzen.
Da Annemarie und Martin auch noch nicht aufgetaucht waren, als der Kaffee bereits durchgelaufen war, begann sie langsam, sich Sorgen zu machen. Entschlossen griff sie zum Telefon, wählte bereits Martins Nummer, um nachzufragen, ob alles in Ordnung sei, als die Eingangstüre aufschwang und ein Herr mittleren Alters mit einem Rucksack auf dem Rücken das Büro betrat.
„Einen wunderschönen guten Morgen, gnädige Frau“, trällerte er so gut gelaunt, dass Gina sofort hellhörig wurde. Natürlich hatte sie nichts gegen Menschen, die bereits am Morgen Frohsinn versprühten, doch irgendetwas an dem Kerl erschien ihr seltsam. Das Ganze wirkte so aufgesetzt.
„Moin moin, Herr …?“, erwiderte sie friesisch echt und wartete, dass der Mann sich vorstellte.
„Friedhelm von Gerau, gnädige Frau“, meinte der immer noch sehr schmalzig lächelnd und hielt ihr die Hand hin.
Gina Marie ignorierte die Geste. Sie hatte es noch nie gemocht, Wildfremden die Hand zu geben, da man nie wusste, wo diese Hand vorher alles so gewesen war. Nein, bei so etwas war sie stur. Außerdem musste sie gerade jetzt in der Schwangerschaft besonders auf sich und ihre Gesundheit achten. Ihr Mann Jan Martin sah dies als Arzt ähnlich. Der schüttelte auch nicht mehr jedem die Pfote.
„Was kann ich denn für Sie tun, Herr von Gerau?“, erkundigte sie sich derweil freundlich.
„Sie könnten mir für die nächsten zwei Wochen ein Apartment vermieten, Frau Hansen“, kam er direkt auf den Punkt.
Jetzt musste Gina ebenfalls lächeln.
„Sorry, Herr von Gerau. Erstens bin ich nicht die Frau Hansen und zweitens sind wir leider vollkommen ausgebucht“, behauptete sie jetzt einfach mal ohne nachzusehen.
Sofort wich das Grinsen aus dem Gesicht des Mannes.
„Und wenn Sie noch mal genau nachschauen … es würde mir auch nichts ausmachen, wenn ich das Apartment zwischendurch mal wechseln müsste“, ließ er nicht locker.
Gina Marie schüttelte den Kopf.
„Nein, sorry. Da muss ich nicht nachschauen. Wir haben noch immer Saison. Es ist alles belegt“, log sie nun nicht wirklich. Klar, sie hätte schon noch etwas drehen können. Es gab bei der Menge an Objekten, die sie betreuten, tatsächlich immer das eine oder andere, was gerade leer stand, weil Urlauber später anreisten oder früher nach Hause mussten. Allerdings mussten die Wohnungen dann ja auch immer wieder nach jedem Wechsel gereinigt werden. Ein Mordsaufwand für nur ein oder zwei Tage. Und für länger hatten sie garantiert nichts frei. Da brauchte sie gar nicht nachzuschauen. Noch dazu, wo ihr Bauch ihr sagte, dass mit dem Typen irgendetwas nicht ganz koscher war.
„Sie wollen nicht. Habe ich Ihnen was getan? Gefällt Ihnen meine Nase nicht?“, war der plötzlich nun auch gar nicht mehr so freundlich.
„Nein, Herr von Gerau. Mit Ihrer Nase hat das nichts zu tun. Es ist eben nun mal nichts frei. Die meisten unserer Gäste buchen bereits ein Jahr im Voraus. Urlaub auf den deutschen Inseln ist derzeit sehr beliebt“, erklärte sie ihm ganz ruhig.
„Das können Sie Ihrem Großvater erzählen, Sie … Sie Walross, Sie fettes“, rastete der nun total aus.
Gina spürte ebenfalls, wie sich ihr Puls beschleunigte. Gespielt ruhig öffnete sie die oberste Schublade ihres Schreibtisches, in der sich die kleine Dose Pfefferspray befand, die sie schon seit Jahren besaß aber noch nie benutzt hatte.
„Was ist jetzt? Schauen Sie nach oder muss ich mich über Sie beschweren“, schrie der Psychopath nun sogar.
„Nein, dat Mariechen tut nit nachschauen tun und du Vogel … du tust am besten den Abgang machen tun, bevor ich mich vergessen tun“, ertönte zum Glück mit einem Mal die Stimme ihres Papas von der Eingangstür her. Gina Marie legte die Spraydose zurück und schob die Schublade zu.
„Und wer sind Sie, dass Sie meinen, mir etwas befehlen zu dürfen“, fragte von Gerau nun auch noch frech und baute sich vor Martin auf. Gina Marie konnte sich nicht erinnern, ihren Vater einmal richtig böse erlebt zu haben. Martin war eine Seele von Mensch. Doch gerade war da ein Gesichtsausdruck an ihm, der ihr vollkommen fremd war.
„Martin, lass es bitte“, mischte sich nun Annemarie ein, die gerade ebenfalls mit Lumpi an der Leine das Office betrat.
„Und Sie gehen besser, bevor ich die Polizei rufe“, sagte sie an Herrn von Gerau gewandt und ging dann an ihm vorbei zu ihrem Schreibtisch, wo sie der knurrenden Lumpi befahl, Platz zu machen. Von Gerau war über die lässige Art der Chefin wohl so erstaunt, dass er sich nach einem Moment des Schweigens auf dem Absatz umdrehte und dann beinahe fluchtartig das Büro verließ.
„Das werden Sie noch bereuen, Sie …“, waren die letzten Worte, die Gina Marie noch verstehen konnte, bevor die Türe krachend ins Schloss fiel. Leute gab das – unfassbar.
*
Die Hände in den Jackentaschen versenkt, stand Kriminalhauptkommissar Willi Bogner am Strand und beobachtete jeden Handgriff von Doktor Jan Martin Bechersheim. Der junge Arzt machte das, was er tat, gründlich und gewissenhaft. Es war nicht das erste Mal, dass er mit ihm zusammenarbeiten und sich auf seine Kompetenz verlassen musste.
„Ich würde sagen, der Tod ist irgendwann zwischen ein und zwei Uhr morgens eingetreten“, meinte Bechersheim und betrachtete noch einmal die Würgemale am Hals.
„Und Sie, Sie sind meiner Meinung, dass sie erdrosselt wurde?“, fragte Willi noch einmal nach.
„Ja, auf den ersten Blick würde ich dies ohne zu zögern bestätigen“, erwiderte der Arzt und erhob sich.
„Und auf