Sand im Dekolleté. Micha Krämer

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Sand im Dekolleté - Micha Krämer

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ordentliches Kölsch in den Kneipen“, musste er jetzt wieder einmal feststellen. Der Verzicht auf gezapftes Kölsch war das einzige Manko an einem Leben hier im Norden. An dieses etwas obergärige norddeutsche Bier würde Martin sich niemals gewöhnen können.

      Der Arzt lächelte, kramte in seinem Koffer und reichte Martin dann einen Streifen mit Tabletten.

      „Bitte schön, aber nicht alle auf einmal nehmen“, empfahl er, schloss seinen Koffer und klopfte Martin auf die Schulter.

      „Kann ich jetzt nach Heim? Dat Frau Annemarie wartet bestimmt schon auf mich“, wollte Martin noch wissen.

      „Klar, von mir aus kannst du jetzt gehen“, entließ ihn der Arzt und schlurfte dann durch den Sand in Richtung der rosa Frau, die, immer noch angekettet an einen Strandkorb, schimpfte wie ein Rohrspatz. Ausdauer hatte sie, das musste man ihr ja lassen.

      *

      Annemarie war wirklich sehr erleichtert, als Martin ihr auf Höhe des Restaurants Seekrug entgegenkam. Sein Blick war zu Boden gerichtet. Er schien in Gedanken versunken, während er sein Fahrrad schob. Lumpi war heute – anders als sonst – wie es sich gehörte angeleint und lief schwanzwedelnd neben ihm her.

      „Ja, Gott sei Dank, da bist du ja“, musste sie erst einmal loswerden, als sie mit einer Vollbremsung nur Zentimeter vor ihm zum Stehen kam.

      „Ach, Annemarie … grad wollte ich nach Heim kommen“, erwiderte er und schien über ihr Aufkreuzen doch sehr erstaunt oder gar erschrocken.

      „Sag mal … was ist denn los mit dir? Onno hat gesagt, Jan würde nach dir sehen … ist wieder was mit deinem Herz?“, wollte sie jetzt unbedingt zuerst einmal wissen.

      „Nä, Annemariechen … mir is gut. Alles bestens. Der Jan Maddin wollte nur auf Nummer sicher gehen wegen dem Stromschlag. Dat hät aber auch gezubelt … mein lieber Scholi … Uiuiui … da wurd mir aber ganz anders. Aber Unkraut vergeht ja nit“, winkte er ab.

      „Wie … Stromschlag. Was ist denn passiert? Und was macht die Kripo auf der Insel“, verstand sie nun gar nichts mehr.

      „Die Kripo ist wegen der Frau Erna da. Die ist nämlich tot. Ich hab die gefunden und der rosa Elefant hat mich dann su doll elektritisiert, dat ich aus den Latschen gekippt bin. Aber dat Lumpi hat mich beschützt und den rosa Elefant bis auf den Strandkorb gejagt“, faselte er sehr offensichtlich wirres Zeug.

      „Martin … sag mal … hast du was getrunken?“, wollte sie wissen, obwohl sie schon vermutete, dass ihr Liebster bestimmt noch einiges an Restalkohol im Blut hatte.

      Martin lehnte sein Fahrrad an das Geländer, trat zu ihr und nahm sie in den Arm.

      „Nä, Annemariechen, ich bin wieder stocknüchtern. Aber wat hältst du davon, wenn mir jetzt nach Hause fahrn tun und ich dir dat Ganze beim Frühstück in Ruh erzählen tu“, schlug er vor.

      Annemarie nickte. Die Idee an sich war gut. Sie wusste nur nicht, ob sie es bis nach Hause aushalten könnte, ohne gleich vor Neugierde zu platzen. Außerdem war sie sich, nach dem Wenigen, was er bisher gesagt hatte, nicht sicher, ob Martin nicht doch noch ärztlichen Beistand benötigte. Hieß es nicht auch, dass, wenn Menschen rosa Elefanten sahen, es um deren Geisteszustand kritisch stand?

      „Martin … siehst du jetzt gerade immer noch einen rosa Elefanten?“, fragte sie vorsichtig.

      Martin blickte sich um.

      „Nä. Die Olle ist vermutlich noch am Strand und wird von Jan Maddin versorgt. Der Lumpi hätt wohl ein bisschen fest zugebissen … wat aber auch nix schaden tut. Die hatte dat ja verdient“, antwortete er nicht gerade beruhigend für sie.

      Kapitel 3

      Montag, 21. September 2020, 8:05 Uhr

      Hotel Klabautermann, Insel Langeoog

      Hans Peter Thiel musste zugeben, dass die Übernachtung in einem Hotel mit Frühstücksbüfett schon etwas für sich hatte. Es war ein Service, den er sonst eher selten genoss, da er und Inge für gewöhnlich nicht in Hotels nächtigten. Nein, ihnen beiden war es am liebsten, wenn sie mit ihren eigenen vier Wänden verreisten. Ein Luxus auf Rädern, der ihn allerdings auch ein Vermögen gekostet hatte. Halb Europa hatten er und Inge bisher mit ihrem Reisemobil erkundet. Dennoch empfand er es heute als sehr angenehm, dass es nicht an seiner Inge hängen blieb, das Frühstück zu bereiten. Wobei die es heute Morgen tatsächlich eh nicht fertiggebracht hätte, so elend wie es ihr ging.

      Obwohl er sich geschworen hatte, kein Mitleid mit ihr zu haben, tat sie ihm jetzt doch leid, wie sie da vorhin mit dem Mülleimer auf dem Schoß im Bad gesessen hatte. Ganz grün war sie im Gesicht gewesen. Sein Mitleid zeigen würde er ihr nicht. Er hatte sie mehrfach gewarnt, es doch langsamer anzugehen. Gerade dieser Vater Heins Birne war tückisch. Das Zeug schmeckte nämlich bei Weitem nicht so hochprozentig, wie es war. Keine Frage, der Stoff war wirklich gut. Hans Peter trank gelegentlich auch schon mal ein Gläschen davon. Der intensive Geschmack nach Frucht ließ die über 40 Prozent nur erahnen, und bevor man es sich versah, hatte man einen an der Lampe, wie er gerne zu sagen pflegte.

      Inge hatte nur gelacht, seine Warnung in den Wind geschlagen und einen Schnaps nach dem anderen in sich hineingekippt, als sei das Zeug nur Limonade. Jetzt musste sie eben die Konsequenzen tragen.

      „Moin, Hans Peter“, begrüßte sein alter Freund Heribert Wolf ihn.

      „Guten Morgen, Heri. Ich hoffe, du hattest eine gute Nacht“, erkundigte er sich.

      „Ja, alles gut. Nur ein bisschen kurz. Die erste Nacht im fremden Hotelbett ist eben immer ein wenig ungewohnt“, erwiderte der und deutete dann auf einen der drei freien Plätze an seinem Tisch.

      „Ist da schon besetzt?“

      „Nein, du hast noch freie Platzwahl. Inge kommt vermutlich erst später zum Frühstück … wenn überhaupt“, beschied er den ehemaligen Schulfreund.

      „Na, da scheint deine Frau heute Morgen nicht die Einzige zu sein. Die haben ja fast alle ein wenig über die Stränge geschlagen“, fand Heribert und sah sich grinsend um. Tatsächlich war noch kein einziges Mitglied der Reisegesellschaft anwesend. Außer natürlich ihr Reiseleiter Ulli Schneider vom Reisebüro Seezeit. Der war aber gestern am Abend bei dem Gelage in der Gaststätte auch nicht dabei gewesen, sondern war noch einmal brav das Programm für den heutigen Tag durchgegangen. Zumindest hatte er das so behauptet, als die Rumkugeln ihn ansprachen, ob er abends nicht mitkommen wolle.

      Hans Peter fand einen Reiseführer bei einer solchen Vereinsfahrt nicht schlecht. Einen, der, zumindest grob, sagte, wo es lang ging. So musste man selbst nicht schauen, was wann wo los war und lief auch nicht Gefahr, dass diese oberschlaue Oberrumkugel Hubert Bitterbach das Zepter übernahm. Hans Peter konnte Hubert nicht leiden. Wobei er, wenn er recht überlegte, eigentlich keinen aus der Truppe leiden konnte. Außer natürlich seine Inge und Heribert Wolf.

      Für den Nachmittag, das hatte Ulli ihm heute Morgen schon gesteckt, war eine Inselführung mit der Pferdekutsche geplant. Hans Peter mochte Stadtrundfahrten. Wenn er mit Inge in irgendeine der Metropolen Europas reiste, war es immer das Erste, was sie unternahmen. Letztens waren sie sogar in Trier mit einer solchen Tour mitgefahren. Im Omnibus mit einem Studenten als Führer. Sehr zu empfehlen. Diese Reiseführer wussten immer sehr interessante Dinge zu berichten, die man, wenn man auf eigene Faust loszog, gar nicht erfahren würde. In Trier war es hauptsächlich um das Wirken der alten Römer gegangen. Höchst interessant das

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