Elbflucht. Klaus E. Spieldenner
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„Sandra, echt, deine Kollegen rufen nach dir. Tut mir leid, es ist nicht meine Schuld!“
Das schien tatsächlich kein Traum zu sein. Sandra blinzelte mit den Augen. Im Schlafzimmer des Paares war etwas Licht und der Funkwecker zeigte verschwommen kurz vor vier Uhr am Morgen an.
„Spinn ich?“, brüllte sie und richtete sich auf. Caro saß splitternackt vor ihr auf dem Bett und zuckte erschrocken mit den Schultern.
„Hatte ich denn nicht alle Handys ...?“
„Sie haben Sturm geklingelt. Ein Uniformierter. Er lässt sich nicht abweisen!“
Inzwischen hatte sich Sandras Kreislauf stabilisiert und sie schaute auf Caros gut gebauten Körper.
„Hast du dem Typen so die Tür aufgemacht?“
Wieder zuckte der ehemalige Kriminalbeamte mit den Schultern. Nur sein Grinsen war etwas breiter geworden.
„Klar, dass er sich nicht hat abwimmeln lassen!“ Sandra war aufgesprungen und hatte das Laken vom Bett gerissen und sich umgewickelt. Kopfschüttelnd und gähnend verschwand sie aus dem Schlafzimmer. Caro hörte draußen ein Murmeln, dann ein paar Worte von Sandra und dazu eine männliche Stimme – sicher der Polizeibeamte. Kurze Zeit später stand Sandra wieder vor dem Bett.
„So ein Blöd...“, ihr herzzerreißendes Gähnen ließ die Endung des letzten Wortes offen. Caro überlegte kurz, ob sie Blödmann oder Blödsinn sagen wollte. Sandra zog schnell ihre Unterhose an, ein T-Shirt über den Kopf, dann ihre Jeans über und drückte ihrem Lebensgefährten einen Kuss auf die Nase. „Bin schnell wieder da!“, prognostizierte sie, und Caro glaubte zu hören, wie sie ihre geliebte Lederjacke von der Garderobe riss und dabei etwas anderes auf den Boden plumpste. Dann fiel die Wohnungstür ins Schloss. Caro Lutteroth schaltete das Licht aus und ließ sich rücklings auf der Matratze nieder.
„Sandra, ich muss mich entschuldigen. Und ich weiß auch, dass du gestern Abend erst aus Frankreich zurückgekehrt bist!“
Die Stimme aus dem Funkgerät des Streifenwagens klang leicht verzerrt, doch der Kommissarin war bewusst, beim Sprecher handelte es sich um ihren Vorgesetzten Kriminalrat Rolf Jensen. Erneut bereute sie es, ihm vor zwei Wochen bei einer kleinen Feier im Dezernats 41 erlaubt zu haben, sie zu duzen. Vielleicht hätte es Jensen sich dann überlegt, seine Mitarbeiterin aus dem Bett zu holen. Ganz sicher war sie sich bei dem Gedanken aber nicht.
„Sandra, man hat heute auf dem Sportgelände der Haftanstalt Fuhlsbüttel zwei Leichen entdeckt. Und da ich mir sicher bin, dass die Presse in wenigen Stunden schon Fragen über Fragen stellt, wollte ich dich an meiner Seite haben. Also bis gleich!“
Die Kommissarin lehnte sich auf dem Rücksitz zurück und schaute zum Fahrer. Der blickte streng nach vorne und schien nicht an einer Konversation interessiert zu sein. Das passte ihr ganz gut. Das Blaulicht auf dem Dach des Wagens spiegelte sich in den Scheiben der Geschäfte der Langen Reihe wider, bevor sie nach wenigen Hundert Metern das Ufer der Außenelbe erreichten.
Wie lange war sie inzwischen in Hamburg bei der Mordkommission? Das Rechnen fiel ihr so früh am Morgen noch nicht leicht, aber sie kam auf fast sieben Jahre. War das noch der Beruf, den sie sich ausgesucht hatte, der sie forderte und dem sie sich bedingungslos unterwarf? Sie musste das innerlich verneinen, dachte plötzlich an den getöteten Kollegen Alexander Schweiss, an ihr tolles Team und an die Beziehung mit Caro Lutteroth. Sicher gab es immer etwas Besseres. Im Beruf, im Privatleben. Aber musste sie nicht zufrieden sein? Sie war noch keine sechsunddreißig Jahre alt. Schon Hauptkommissarin und in Hamburg so etwas wie eine Legende. Sandra musste lächeln bei dieser Idee. Das mit der Legende war vielleicht etwas übertrieben. Obwohl sie schon so manche Schlacht für die Hansestadt geschlagen hatte. Vierundzwanzig Jahre trennten sie von der Pensionierung. Eine lange Strecke, doch anderen Arbeitnehmern ging es schlechter. Sie mussten bis siebenundsechzig Jahre und länger arbeiten. Die vielen Überlegungen brachten ihre seit Wochen andauernden Bauchschmerzen zurück. Die Kommissarin änderte die Haltung, aber die Schmerzen blieben. Lange hatte sie den unangenehmen Druck in der Magengegend, aber auch das Aufstoßen, verbunden mit Schmerzen in der Speiseröhre, ausgehalten und verdrängt. Doch langsam zehrte es an ihr. Sie musste sich endlich mal einen Termin beim Arzt geben lassen oder gleich eine Magenspiegelung eintüten. Der Gedanke an einen dicken Schlauch, der sich den Weg durch ihren Mund hinab in den Magen bahnte, ließ sie leicht würgen. Der Uniformierte am Steuer schaute durch den Rückspiegel zu ihr. Sandra versuchte ein Lächeln, doch es misslang.
So lehnte sie sich zurück, bemüht, aus dem Blickfeld des Rückspiegels zu gelangen. Fröstelnd zog sie den Reißverschluss der Lederjacke bis unter ihr Kinn. Sicher hätte sie den Fahrer bitten können, die Heizung einzuschalten. Aber diese Ruhe im Wagen wollte sie auf keinen Fall durchbrechen.
Wo sah sie sich in einigen Jahren? Als Mutter weiterer Kinder? Der Vater, ihr Lebensgefährte Caro? Oder als Leiterin eines Sonderkommandos der Hamburger Polizei? Beim letzten Gedanken merkte sie, wie ihr Herzschlag anzog. Polizeieinsatz war eher etwas für sie als die Mutterrolle. Und ein Kind genügte, auch wenn das inzwischen fünfjährige Töchterchen Lara Sophie beim Vater in Italien aufwuchs. Aber Caro nervte, wollte sie endlich ehelichen, und sogar ihre Schwiegermutter sprach von Nachwuchs, bevor es zu spät sei. Aber wann war es zu spät? Sie fühlte sich weder reif für eine erneute Ehe, noch reif für eine weitere Verantwortung als Mutter. Eher war sie dem Auszug aus der kleinen Wohnung in der Langen Reihe näher als einem Eheversprechen. Sicher wäre das auch für ihren Lebensgefährten besser. Er würde wieder eine Partnerin finden. Vielleicht eine Krankenschwester aus dem UKE, die ihm noch drei und mehr Kinder gebären würde. Mist, warum war das Leben nur so schwer? Wenn man doch in die Zukunft schauen könnte! Nur ein wenig. Die Magensäure schoss im Schwall in Richtung Kehle und riss die Kommissarin aus ihren Überlegungen.
Keine halbe Stunde später bog der Wagen auf das Gelände der Hamburger Strafanstalt Fuhlsbüttel ab. Sandra hatte die letzten Minuten der Fahrt durch die fast leere Hansestadt genossen. Vorbei am Mundsburg Center, am Arbeitsgericht, seitlich des Stadtparks so nah an der Stadtpark Open-Air-Bühne auf den Ring 2, fast die gesamte Sengelmannstraße entlang, und nur wenige Fahrzeuge kamen ihnen entgegen, bis sie in den Suhrenkamp abbogen. Eine geschenkte, nächtliche Stadtrundfahrt.
„Nicht mein erster Aufenthalt hier, aber sicher der früheste!“, murmelte sie, als sich in der JVA Fuhlsbüttel dem Streifenwagen das riesige Stahltor wie von Zauberhand öffnete. Seitlich auf der Parkfläche hatten sich schon diverse Fernseh-Übertragungswagen aufgebaut und Sandra frohlockte: Auch NDR und RTL waren wohl schon auf den Beinen. Hinter ihnen schloss sich das schwere Metalltor wieder und Sandra fühlte sich schon etwas privilegiert. Aber vor allem war sie dankbar, so früh nicht noch Fragen irgendwelcher Sensationsjournalisten beantworten zu müssen. Der Wagen hielt, und da der Fahrer den Motor abstellte, öffnete Sandra die Wagentür.
Mit leicht wackeligen Beinen betrat sie die erste Schleuse. Es roch leicht muffig und sie erinnerte sich, erst am gestrigen Abend das letzte gegessen zu haben. Missmut schlug ihr vonseiten der beiden Strafvollzugsbeamten entgegen. Sie spürte das sofort. Sonst, wenn sie hier in Santa Fu einen Termin hatte, wurde sie stets freudig begrüßt. Dann folgte ein kurzes Gespräch über das Wetter oder über Neues in der Stadt, während sie ihre Waffe ablegte und sich legitimierte. Doch heute erfolgte nur ein „Die Waffe hier hineinlegen!“ vom diensthabenden Beamten. Dazu schaute er sie genervt an.
Ihre Waffe befand sich noch immer im Tresor des Polizeipräsidiums. Das erklärte sie dem älteren Beamten und der entriegelte schulterzuckend – mit dem