Elbflucht. Klaus E. Spieldenner
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„Und Sie sind?“ Sandra ging auf die Unbekannte zu und stützte sich mit beiden Handflächen auf die kühle Tischplatte.
„Dr. Wilhelmine Vogelschau, Justizsenatorin!“, antwortete die Frau mittleren Alters und warf – zur Unterstützung ihrer Aussage – ihre lange, brünette Mähne wieder in Ausgangslage.
Sandra lief ein eiskalter Schauer über den Rücken und sie bemerkte, wie ihre Hände leicht zu zittern begannen. Auch die Justizsenatorin schien es bemerkt zu haben und war aufgestanden. Langsam legte sich bei Sandra die Anspannung. Als Hamburger Kriminalbeamtin hätte sie die Politikerin unbedingt kennen müssen. Die Justizsenatorin war zwar erst wenige Wochen im Amt, versuchte sich Sandra innerlich zu entschuldigen, während sie sich vom Tisch aufrichtete und Frau Vogelschau entgegentrat.
„Natürlich, die Frau Senatorin. Ich wollte Sie schon immer mal kennenlernen.“ Sandra versuchte Land gutzumachen.
„Dafür kenne ich Sie umso besser, Frau Holz. Setzen Sie sich zu uns!“
Nach einem festen Händedruck wies sie Sandra einen Platz zu und diese ließ sich auf einem alten Lehnstuhl nieder.
„Das ist eine schlimme Sache, Frau Holz!“, übernahm die Senatorin sofort das Wort. Sandra war klar, dass sie selbst nun das kleinere Glied in der Kette geworden war, und überlegte sich eine neue Strategie.
„Wir müssen versuchen, das Ganze – ohne Schaden für die Justiz zu verursachen – über die nächsten Tage zu bringen.“
Die Kommissarin nickte ernst.
„Ich schlage vor, Sie spielen den Leichenfund herunter. Wir erklären etwas von internen Untersuchungen, und wenn Sie dann noch einen anderen Mordfall aus dem Hut zaubern, Frau Holz, hat die Presse den Vorfall schon wieder vergessen.“
Sandra sog die Luft tief ein, sie hatte vor Schreck das Atmen vergessen.
Die Senatorin erhob sich von ihrem Stuhl und drehte auf den hohen Absätzen in Richtung Ausgang. Die Anstaltsleiterin rannte hinterher und hielt ihr die Tür auf. Ohne ein Wort des Abschieds war das Klappern der Absätze noch einige Sekunden zu hören.
Sandra schüttelte den Kopf. „Was war das denn?“
Frau Lönderer hatte hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen und zuckte mit den Schultern. „Sie ist schon etwas, wie soll ich es ausdrücken, speziell!“
Die Kommissarin kam nicht darüber hinweg und spürte noch immer, wie ihr Herzmuskel raste und ihre Lunge – aufgrund der Aufregung – übermäßig Sauerstoff einforderte.
„Gut, wie dem auch sei, Frau Lönderer ...“, die Kommissarin musste tief einatmen, „... wir werden unsere Arbeit machen, so wie immer. Was haben Sie die letzten Stunden herausbekommen? Gibt es etwas, was uns weiterbringt?“
„Ich muss Ihnen gestehen, Frau Kommissarin, ich kann Ihnen da wenig weiterhelfen. Ich habe den Posten Anfang des Jahres übernommen und bin eigentlich noch dabei, mich einzuarbeiten, und jetzt so etwas. Ich kann anbieten, Ihnen die Schichtpläne der letzten Jahre zukommen zu lassen. Weitere Einsicht in Akten des Strafvollzugs in Santa Fu müssen Sie über die Staatsanwaltschaft veranlassen. Ich hänge mich mit den Schichtplänen schon weit aus dem Fenster. Das bleibt natürlich erst einmal unter uns.“
Sandra war aufgestanden und hatte sich auf den Stuhl gegenüber gesetzt. „Das klingt gut!“ Sie griff in die Tasche der Lederjacke und hielt der Frau wenig später ihre Visitenkarte hin. „Senden Sie bitte alles an diese Mail. Damit komme ich ein Stück weiter. Finde ich in der Datei auch die Namen aller Beamten?“
„Natürlich, aber ansonsten nur die Arbeitszeiten.“
Sandra nickte verständnisvoll und erhob sich mit den Worten: „Danke, Frau Lönderer!“
„Eines noch, Frau Kommissarin. Ich habe mal in den alten Bauunterlagen nachgeschaut, die Sprunggrube wurde 2008 auf Drängen der Häftlinge gebaut.“
Das Wetter war klamm und Sandra fühlte sich in Shirt und Lederjacke underdressed, als sie die U-Bahn an der Station Eppendorfer Baum verlassen hatte. Sie wollte noch spazieren gehen und die wilden Gedanken der letzten Stunden aus ihrem Kopf vertreiben. Doch es misslang. Zu viel Menschenverkehr in der Bahn und auf den Bahnhöfen, dazu jede Menge auffälliger Personen, denen sie begegnete. Das bedurfte ihrer gesamten Aufmerksamkeit auf dem Weg zum Butenfeld. Sandra war froh, endlich das Gebäude der Rechtsmedizin erreicht zu haben. Auf ihr Klingeln an der Pforte öffnete man sofort und teilte ihr freundlich mit, Dr. Pellin erwarte die Kommissarin.
„Danke, Uwe, dass du Zeit für mich hast!“ Sandra wusste, dass es unüblich war, hier ohne Anmeldung vorstellig zu werden. Alles hatte seinen bürokratischen Gang und der hieß: Warten, bis der Bericht der Rechtsmedizin im Landeskriminalamt 41 eintraf.
Pellin zuckte mit den Schultern. Sie vermisste sein Lächeln. Als er die Kommissarin in sein Büro führte, kam sie nicht mehr umhin, ihn darauf anzusprechen.
„Was ist los, Uwe, irgendetwas bedrückt dich doch?“
Mit blitzenden Augen schaute der Mann sie an. Dann wurden seine Augen etwas sanfter, und endlich grinste er und legte Sandra seinen Arm um die Schultern.
„Nicht nur du hast es schwer, Sandy!“
Sandy! Wer hatte sie zuletzt mit Sandy angesprochen. Sandra mochte diesen Kosenamen nicht. Ihr Vater hatte sie bis zu seinem Tode Sandy gerufen. Danach hatte sie sich mit aller Macht und Erfolg dagegen gewehrt, so gerufen zu werden. Gut, dem Kollegen Sokolowski entfuhr manchmal dieser Name, aber Soko war eh nicht ernst zu nehmen. Sie entwand sich geschickt dem Arm des Rechtsmediziners und setzte sich geschwind auf den Stuhl gegenüber seines Schreibtischs.
„Dann erzähl mir, um was es geht!“
Pellin hatte die Position noch einige Sekunden gehalten und hatte sich dann auf seinen Bürostuhl gesetzt.
„Traudel Kensbock kommt zurück!“
Diese vier Worte reichten, um Sandra die Tränen in die Augen und den Kreislauf etwas in die Höhe zu treiben.
„Was sagst du?“
„Ja, es ist kein Scherz, Sandra. Sie wird für ein Jahr die Leitung der Rechtsmedizin übernehmen.“
Sandra war zunächst noch immer sprachlos. Dann hatte sie sich gefangen.
„Und du?“
„Was du nicht weißt, ist, ich war zunächst Kinderarzt, bevor ich mich der Pathologie gewidmet habe. In den letzten Jahren habe ich viel nachgedacht, ob mich das Sezieren von Leichen genauso zufriedenstellt wie zuvor die Kindermedizin.“
Sandra wartete gespannt auf die gesamte Erklärung des Arztes.
„Nun kam ich durch Glück zu einer Gastprofessur in den Vereinigten Staaten. Ich werde ab kommende