Witterung – Lauf so schnell du kannst. Heike Ulrich
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„Die Kripo Korbach kocht eben ihren eigenen Kaffee – schmeckt auch besser als die Plörre aus den Automaten“, erwiderte Botho und gähnte ebenfalls.
Eine hübsche, brünette Polizistin ging mit einem Pott Kaffee bestückt den Flur entlang.
Heribert schloss die Augen. „Riechst du das?“
Botho grinste und blickte der Frau sehnsüchtig hinterher. „Mhm.“
„Herr Lange?“
Ein schlanker Mittdreißiger blickte sie fragend an. Botho stand auf.
Der Mann reichte ihm die Hand. „Ich bin Kriminalhauptkommissar Witzbold, kommen Sie bitte mit.“
Als Heribert Anstalten machte, ebenfalls mitzukommen, ging Witzbolds Blick irritiert zwischen den Männern hin und her.
„Das ist mein Freund Heribert Falk, den ich zu meiner Unterstützung mitgebracht habe“, erklärte Botho, „ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.“
„Natürlich nicht. Allerdings verstehe ich nicht, warum Sie glauben, Unterstützung zu brauchen. Ich vernehme Sie nur als jemanden, der Herrn Zeller gut gekannt hat und uns bei den Ermittlungen mit sachdienlichen Hinweisen behilflich sein kann.“
Er reichte Heribert die Hand. „Ich vermute, Sie sind Anwalt?“
„Nein, Kriminalhauptkommissar wie Sie, allerdings außer Dienst.“
Dass er Fallanalytiker war, behielt er lieber erst mal für sich.
„Aha, wie das?“ Witzbold blickte ihn neugierig an.
Einen Moment zögerte Heribert, bevor er antwortete.„Der Wunsch nach Veränderung.“
Er mochte nichts zu den weiteren Umständen seines Ausscheidens bei der Kripo sagen und hielt sich auch später, nach der Vernehmung Bothos – beim Small Talk – eher bedeckt, hörte zu, während er den von Witzbold servierten Kaffee dankbar trank.
Tatsächlich konnte Botho keine nennenswerten Hinweise zu dem Ermordeten geben und musste erstaunt feststellen, dass er Walter Zeller nicht wirklich gut gekannt hatte. Er lebte allein in einem Einfamilienhaus in Wolfhagen, das wusste er, und dass Zeller kinderlos geschieden war.
Ob Zeller noch andere Klienten in Steuerangelegenheiten beraten hätte, wollte Witzbold wissen. Botho gab an, dass er auch darüber keine Kenntnis habe. Auch die Fragen zu seinem Umfeld – ob Zeller eine Beziehung gehabt hätte – konnte er nicht beantworten. Sein Kontakt mit Zeller habe sich ausschließlich auf das Geschäftliche beschränkt, abgesehen von ein paar Arbeitsessen, erklärte er abschließend.
Heribert und Botho tranken ihren Kaffee aus, und Witzbold bedankte sich. Er begleitete beide nach draußen.
Jemand war damit beschäftigt, an der Flurwand ein Plakat zu befestigen. Heribert blieb stehen und drehte um. Er war schon fast an der Fahndungswand vorbei gewesen. Nachdem er den Text auf dem Plakat gelesen und dabei zunehmend schockiert ausgesehen hatte, wendete er sich Witzbold zu.
„Abraxas Lemm konnte aus dem Gefängnis entkommen?“
Witzbold nickte.
„Vor etwa einer Woche. Er saß in der Justizvollzugsanstalt in Butzbach ein, mit anschließender Sicherungsverwahrung. Sie sind mit dem Fall vertraut?“
„Ob ich mit dem Fall vertraut bin? Und ob ich das bin! Ich habe den Hurensohn hinter Gitter gebracht!!“
„Ach, Sie waren das?“
Witzbold warf ihm einen Blick zu, der sowohl Erstaunen als auch Anerkennung zum Ausdruck brachte. Für einen Moment herrschte Schweigen.
„Aber wie konnte dies passieren?“, wollte Heribert wissen.
Witzbold zögerte und blickte zu Botho.
Heribert verstand. „Botho, nur einen Moment, ich komme gleich.“
Der Kripobeamte schloss die Tür und wendete sich Heribert zu, der ihn erwartungsvoll anblickte.
„Lemm musste ins Krankenhaus und hat dort seinen Bewacher niedergeschlagen.“
„Was?“
„Ja. Vermutlich eine Verknüpfung unglücklicher Umstände.“
„Wie bitte?“
„Lemm schien krank – in wirklich schlechter Verfassung – zu sein, als er in die Klinik kam. Als man ihm eine Infusion anlegte und ihm deshalb kurz die Handschellen entfernte, tja, da musste ausgerechnet einer der zwei Sicherheitsbeamten dringend auf Toilette. Lemm hat die Gelegenheit genutzt und konnte entkommen.“
„Nicht zu fassen!“
Heribert konnte sich nur schlecht beherrschen.
„Das ist doch keine Verknüpfung unglücklicher Umstände! Die Wachleute haben sich schlicht und ergreifend nicht an die Vorschriften gehalten!“
„Und haben die Situation und die Gefährlichkeit von Lemm unterschätzt. Das ist grobe Fahrlässigkeit. Ich sehe es wie Sie, Herr Falk. Ein Disziplinarverfahren ist auch bereits eingeleitet.“
Tausend Gedanken schossen Heribert gleichzeitig durch den Kopf. Wie war es Lemm anschließend gelungen unterzutauchen? Hatte er einen Komplizen gehabt? Vermutlich. Wenn dem so war, dann hatte er den Ausbruch wohl geplant. Und warum hatten seine Kollegen – stopp, seine Exkollegen – ihn nicht über Lemms Flucht informiert? Schließlich war Lemm ein gefährlicher Psychopath und alles andere als gut auf Heribert zu sprechen.
„Warum zum Teufel wurde in den Medien nicht darüber berichtet? Die Leute müssen doch informiert werden, wenn ein gefährlicher Serienkiller auf freiem Fuß ist.“
Er gab sich selbst die Antwort.
„Vermutlich will keiner für derartige Schlampereien Verantwortung übernehmen – alles nur Politik! Und wenn niemand etwas erfährt, ist es auch nicht passiert.“
Er rief sich zur Ordnung und beruhigte sich. Dann fiel ihm Witzbolds Blick auf, mit dem der ihn merkwürdig fixierte. Er hatte etwas Unentschlossenes.
Der Kripobeamte gab sich einen Ruck.
„Ich darf Ihnen, wie Sie ja wissen, zu den Ermittlungen eigentlich nichts sagen, und ich bitte Sie inständig, das, was ich Ihnen jetzt sage, für sich zu behalten. Versprechen Sie mir das?“
Heribert nickte und spitzte die Ohren. Was mochte jetzt kommen?
„Die Leiche von Walter Zeller wurde ‚zugerichtet‘. Und ich meine zugerichtet.“
Heribert stutzte. „Zugerichtet!“
Er dachte einen Moment nach, dann fiel der Groschen.
„Sie meinen – es gibt Ähnlichkeiten zwischen den früheren Mordopfern von Abraxas Lemm und Zeller?“
Witzbold