Witterung – Lauf so schnell du kannst. Heike Ulrich
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Der Kriminaltechniker verschloss den Beutel, in der sich die Finger- und Fußnägel befanden, die der Täter seinem Opfer während der Folterung herausgerissen hatte.
Er wartete, bis Kriminalhauptkommissar Witzbold das Telefonat beendete, das über den Festanschluss des Getöteten gerade hereingekommen war.
Witzbold machte sich eine Notiz und blickte dann sein Gegenüber fragend an.
„Wir sind hier fertig und schaffen den Mann jetzt in die Gerichtsmedizin. Den abgeschnittenen Zeigefinger haben wir allerdings nirgends finden können. Vielleicht hat ihn der Täter als Trophäe mitgenommen.“
Witzbold nickte nachdenklich und betrat die Terrasse. Die beiden Kriminaltechniker hoben die Leiche des etwa Sechzigjährigen, der immer noch im Garten neben seinem Swimmingpool lag, auf die Bahre.
Witzbold wendete sich ab und marschierte zum Ausgang – auch für ihn gab es hier zunächst nichts mehr zu tun.
„Herr Witzbold, können Sie schon Näheres sagen?“
Die junge Reporterin der hiesigen Lokalzeitung versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken, als der Kripobeamte, der gerade dabei war, in seinen Wagen einzusteigen, sich ihr zuwandte. Auch ihr Kollege war am Feixen.
Witzbold war längst an die Wirkung gewöhnt, die sein Name auf andere ausübte. Schon in der Schule hatte man gelacht, wenn sein Name, Olav Witzbold, bei der Anwesenheitsfeststellung aufgerufen wurde. Er hatte sich angewöhnt mitzulachen – jeden Morgen –, so lange, bis sich seine Mitschüler an seinen ungewöhnlichen Namen gewöhnt und dieser seine Attraktion verloren hatte. Doch es gab Schlimmeres – zum Beispiel, wenn man Annegret Schweinebraten hieß. Die schöne Kollegin war ihm vor zwei Jahren über den Weg gelaufen. Inzwischen waren sie seit über einem Jahr verheiratet. Alle möglichen Kombinationen ihrer Namen waren sie durchgegangen: Schweinebraten-Witzbold, Witzbold-Schweinebraten oder doch nur Witzbold oder Schweinebraten?
Olav Schweinebraten – damit hatte er sich überhaupt nicht anfreunden können. Gott sei Dank war seine Angetraute unkompliziert und hieß nun ebenfalls Witzbold.
Er musterte die Reporterin einen Moment, bevor er antwortete.
„Zu den laufenden Ermittlungen kann ich Ihnen derzeit nichts sagen. Wir müssen noch die gerichtsmedizinischen Untersuchungen und Auswertungen abwarten.“
„Verstehe. Können Sie uns denn wenigstens den Namen des Getöteten nennen, und gibt es bereits einen Verdacht hinsichtlich eines Täters?“
Olav antwortete zögernd: „Bei dem Getöteten handelt es sich um den sechzigjährigen, alleinstehenden Walter Zeller, der hier aus Wolfhagen stammt und vermutlich auch hier in seinem Haus getötet wurde.“
Er nickte dem Reporterduo knapp zu und bestieg seinen Wagen.
8
Heribert Falk öffnete langsam die Augen und reckte sich. Das Fiepen in seinen Ohren war leise – noch. Eine Hand legte sich auf seinen Bauch.
Anita lächelte verschlafen, drängte sich an ihn und nuschelte, während ihre Hand unter die Bettdecke glitt: „Herr Kommissar, ich glaube, ich muss von Ihnen noch mal ganz genau durchsucht werden.“
Er grinste. „Hauptkommissar, wenn ich bitten darf.“
Sie lachte und gab ihm einen Kuss. „Na gut, Herr Hauptkommissar.“
Die dunklen Locken hingen ihr zerzaust ins Gesicht. Anitas ganze Erscheinung, wie sie lächelte, wie sie ihren Kopf beim Lachen nach hinten warf und dabei ihre großen Zähne entblößte, die Grübchen in ihren Wangen – das alles übte einen ungemeinen Reiz auf ihn aus.
Er zog sie an sich. „Aber zuerst muss ich dich verhaften.“
„Au ja – und verhören und anschließend bestrafen.“ Sie kicherte.
Er spürte ihre Rundungen und ihre geschickten Hände, die zaubern konnten. Es war ihr letzter gemeinsamer Tag. Sein Verlangen war unbezwingbar, als sein Smartphone summte.
Verdammt, wer zum Teufel musste ausgerechnet jetzt stören? Das heiße Pochen in seinen Lenden war fast schmerzhaft. Doch es war gar nicht sein Handy, das summte. Er sah, wie Anita nach etwas tastete, das kurz darauf im Sektkübel neben dem Bett landete. Er hörte noch das leise Platschen, und augenblicklich verstummte das Summen.
Am nächsten Tag verstaute Heribert seine Reisetaschen im Kofferraum seines CLK’s. Die Zeit hier war wie im Flug vergangen. Das mit Anita war, was es gewesen war – Sex. Sie hatten sich wie zwei gute Freunde verabschiedet – Anita war glücklich verheiratet.
Den ärztlichen Befund verstaute er in der Ablage. Und los! Heribert startete seinen Wagen und freute sich auf sein Zuhause in Markkleeberg bei Leipzig. Er war inzwischen ein Wossi, ein Wessi, der sich vor fast zehn Jahren für den Osten Deutschlands entschieden hatte – für Leipzig. Das heißt, zunächst war er zum Landeskriminalamt nach Dresden versetzt worden. Er hätte sich zwar dagegen wehren können, doch er hatte dieses Angebot begrüßt. Allerdings war ihm Dresden unwirklich, irgendwie tot vorgekommen, und er hatte sich nicht einleben können. Wann immer es die Zeit erlaubt hatte, war er seinem Einzimmerappartement entflohen und nach Leipzig gefahren. Leipzig, die lang unterschätzte Stadt, die immer schöner wurde. Heribert liebte die vielen kleinen Cafés und Pâtisserien – manche mit eigener Kaffeerösterei, und gelegentlich versackte er am Wochenende in einer der gemütlichen Kneipen auf der „Karli“, der Karl-Liebknecht-Straße – eine der Amüsiermeilen Leipzigs. Heribert grinste in sich hinein: Sachsen, wo die hübschen Mädchen auf den Bäumen wachsen – das wusste doch jeder.
Später hatte er direkt in Leipzig gearbeitet. Man hatte ihn versetzt, auf eigenen Wunsch. Er bewohnte ein gemütliches Historiendenkmal aus der Kaiserzeit – eine sanierte Dreizimmeraltbauwohnung in Markkleeberg, mit Seeblick von der Terrasse. Alles noch günstig erworben – damals, doch diese Zeiten waren vorbei. Markkleeberg gehörte genau genommen nicht zu Leipzig und wehrte sich bis heute entschieden gegen die Eingemeindungsbestrebungen. Heribert war es egal, er fühlte sich dort sauwohl – eingemeindet oder nicht, für ihn war Markkleeberg Leipzig, doch das behielt er für sich.
Sein Smartphone summte.
„Na endlich“, meldete sich eine männliche Stimme, „Mensch, Berti, ich versuche dich schon seit drei Tagen zu erreichen.“
„Botho! Was gibt’s denn so Dringendes?“
„Ich brauche deine Hilfe. Etwas sehr Unangenehmes.“
„Aha?“
„Ja, vor drei Tagen ist mein Steuerberater bei sich zu Hause ermordet aufgefunden worden. Ich war mit ihm in meinem Kasseler Geschäft verabredet gewesen. Als er nicht kam und ich ihn auch auf dem Handy nicht erreichen konnte, habe ich bei ihm zu Hause auf dem Festnetz angerufen. Da hatte ich plötzlich einen Kripobeamten am Telefon!“
„Botho, ich bin nicht mehr im Dienst, das weißt du doch.“
„Ja, ich weiß. Ich will dich als Privatschnüffler engagieren – vielleicht auch zu meinem Schutz.“
„Schutz – was, wieso Schutz?“