Witterung – Lauf so schnell du kannst. Heike Ulrich

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Witterung – Lauf so schnell du kannst - Heike Ulrich

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unbedingt.“

      „Bitte, Berti, tu deinem alten Freund den Gefallen!“Heribert seufzte. „Wo bist du denn?“

      „Ich habe in meinem Leipziger Geschäft nach dem Rechten gesehen und komme gerade wieder in Kassel an.“

      „Und ich befinde mich auf dem Rückweg von meiner Reha nach Leipzig und bin nicht so weit weg von Kassel. „Bist du im Geschäft?“

      „Nein, zu Hause.“

      „Okay, bin gleich da.“

      In Bothos Stimme war die Erleichterung deutlich zu hören.

      „Danke!“

      Es waren fast immer dieselben Erinnerungen, die aufblitzten. Hier war er geboren und aufgewachsen.

      Später, nach dem Gymnasium und seiner Zeit in Frankfurt, war er wieder hierher zur Kripo nach Kassel versetzt worden – für zwei Jahre.

      Heribert blickte in den Rückspiegel – ein Porsche fuhr ihm dicht auf, drängelte eine Weile und hupte dann. Früher hätte es ihn geärgert, doch er blieb ruhig, setzte den Blinker und bog ab, auf die Wilhelmshöher Allee.

      Sofort eröffnete sich der weite Blick auf Kassels Wahrzeichen, den Herkules und die dazugehörigen künstlichen, treppenartig angelegten Kaskaden, die Heribert aus dieser Entfernung nur erahnen konnte und die sich nach unten vor dem Schloss Wilhelmshöhe in ein großes Auffangbecken stürzten. Die kupferne Skulptur, die den griechischen Halbgott Herakles darstellte und über und über mit Grünspan überzogen war, stand auf einer Pyramide, die wiederum auf einem Oktogon stand.

      Das gesamte Bauwerk ragte über siebzig Meter in die Höhe. Es war beeindruckend – immer wieder –, besonders bei Sonnenschein, wenn das Bauwerk sich aus dem üppigen Grün des Parks erhob, so wie jetzt. Doch wenn die Figur des Herakles – dunkel wie ein Schatten – durch leichte Nebelschwaden waberte, fühlte sich Heribert in die Welt griechischer Mythen versetzt, die von Helden und Göttern flüsterte. Wieder bog er ab, auf das Königstor, jetzt musste er noch einmal nach rechts, dann war sein Ziel erreicht.

      Während er nach einem Parkplatz Ausschau hielt, dachte er plötzlich an Anne, mit der er fast sieben Jahre liiert gewesen war. Einmal, noch in ihrer Kennenlernzeit, waren sie, nachdem alle Kneipen bereits dichtgemacht hatten, die Herkuleskaskaden hinaufgelaufen – sexuell aufgeladen und ziemlich betrunken. Der Sonnenaufgang hatte das Schloss Wilhelmshöhe in oranges Licht getauft. Kein Verkehr hatte sich unten auf den Straßen geregt. Alles war still und friedlich gewesen, eben ein anbrechender Tag. Anne hatte ihn von hinten umarmt und eine ganze Weile mit ihm auf die schlafende Stadt geblickt – da hatte er sie „gefragt“. Etwas später waren sie zusammengezogen. Doch das alles schien eine Ewigkeit her zu sein. Heribert war nach Dresden versetzt worden, und Anne hatte nicht mitgewollt.

      Er stellte den Motor ab und blickte sich zufrieden um. Sein Wagen stand direkt vor der Altbauvilla seines Freundes Botho Lange – Glück musste man haben, bei der Knappheit von Parkplätzen.

      Der Türöffner summte. Ayumi stand oben am Treppenaufgang. Sie sah blass aus und deutete höflich eine Verbeugung an. Dann machte sie eine einladende Geste, dass er ihr folgen sollte. „Danke, dass du gekommen bist.“ Sie drehte sich nach ihm um und lächelte knapp.

      Während Heribert ihr folgte, bewunderte er heimlich ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt. Sie trug ein kurzärmeliges T-Shirt und eine weite, lange Leinenhose – alles in Schwarz, so wie immer. Es betonte ihren blassen, feinen Teint.

      Vor ein paar Jahren hatten sein Freund und Ayumi Jónsdóttir sich während der „dokumenta 14“, gleich am ersten Tag bei der Eröffnung, kennengelernt. Diese Veranstaltung war die weltweit berühmteste Kunstausstellung für zeitgenössische Kunst, die alle fünf Jahre in Kassel stattfand und ganze hundert Tage dauerte.

      Botho hatte Heribert erzählt, dass Ayumi Isländerin, ihre Mutter allerdings Japanerin war. Er schwärmte von ihrer Intelligenz, von ihrer Zurückhaltung – einer Zurückhaltung, die seinen Jagdtrieb beflügelt hatte. Ihre Eigenwilligkeit und Selbstbestimmtheit reizten und forderten ihn immer wieder aufs Neue heraus.

      Heribert hatte es nicht glauben können. Sein Schulfreund war doch ein bequemer Typ, ein fauler Sack und vor seinem Zusammentreffen mit Ayumi ausschließlich mit Frauen zusammen gewesen, die sich anzupassen pflegten. Nie musste er sich bemühen. Schließlich war der Tisch reichlich gedeckt – Frauen machten es ihm leicht, diesem charmanten und verwöhnten, dabei nie ganz erwachsen gewordenen Einzelkind reicher Eltern.

      Okay, Ayumi war also besonders, wenn nicht gar speziell, und dieser Umstand übte auch auf Heribert einen gewissen Reiz aus.

      Wenn sie sprach – gepflegt mit nordischem Akzent –, gestikulierte sie lebhaft mit den Händen. Dann bekamen ihre grünen Augen so einen Schimmer und ruhten konzentriert auf ihrem Gegenüber, wenn sie zuhörte.

      Das Einzige, das Ayumis asiatische Wurzeln offenbarte, waren ihre hohen Wangenknochen und ihr glattes rabenschwarzes Haar, das sie kurz trug – und natürlich ihr Vorname und die Angewohnheit, niemandem die Hand zu geben. Stattdessen deutete sie zur Begrüßung oder beim Abschied traditionell japanisch lediglich eine höfliche Verbeugung an.

      Heribert unterdrückte sein Faible für sie – schließlich war sie die Frau seines Freundes.

      Unter dem Pseudonym „Fin Wala“ veröffentlichte Ayumi Krimis, die in Island spielten, inzwischen sogar übersetzt wurden und sich auch in Deutschland gut verkauften. Ziemlich harte und verstörende Brocken, wie Heribert fand. Wie konnte so ein zartes Wesen derartige Schreckensszenarien entwerfen? Sie hatte über Heriberts konsternierten Gesichtsausdruck gelacht.

      „So zart bin ich gar nicht, und sag mir jetzt bitte nicht, dass du noch nie Gewaltfantasien hattest – gerade in deinem Job.“

      „Schon“, hatte Heribert eingeräumt, „besonders von Menschen, die es verdient hätten. Doch wenn man dich anschaut, traut man dir solche Fantasien einfach nicht zu.“

      Sie hatte mokant gelächelt und sich Tee nachgeschenkt.

      „Glaub mir, es ist für mich ein reines Vergnügen, diese Tasse Tee zu genießen, während ich“, sie hatte eine ausladende Geste gemacht, „inspiriert durch meine Umgebung, hier oben“, sie hatte auf ihren Kopf gedeutet, „meine Geschichte für den nächsten Roman weiterspinne und dabei nach Belieben Morde begehe. Es macht Spaß, probier‘s aus.“ Genüsslich hatte sie einen Schluck von ihrem Tee genommen und ihn vielsagend angeschaut.

      Heribert hatte höflich gelächelt und ihr seine Eindrücke aus der Gerichtsmedizin erspart – all die Körper von Menschen, die aufgrund von massiver Gewalteinwirkung und Brutalität zu Tode gekommen waren, von den Geruchserlebnissen ganz zu schweigen. Ihm drehte sich bereits der Magen um, wenn er nur daran dachte.

      Er musste plötzlich grinsen, während er Ayumi folgte. Ausgerechnet Botho, der Kunstbanause, hatte sich diesen besonderen „Leckerbissen“ an einem Ort geangelt, wo ihn normalerweise keine zehn Pferde hinbekamen. Hundert Tage „dokumenta“ und noch mal weitere hundert Tage, und die beiden hatten in Reykjavik Ringe getauscht. Tja, Liebe auf den ersten Blick, das schien es tatsächlich zu geben.

      Irritiert registrierte Heribert das leicht aufsteigende Gefühl von Neid und unterdrückte es sofort, während er sich schämte und plötzlich die Stimme von seinem Schulfreund aus dessen Arbeitszimmer hörte. Botho beendete offensichtlich gerade ein Telefonat. Die Tür wurde geöffnet.

      „Da

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