Kraniche über Otterndorf. Hedi Hummel

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Kraniche über Otterndorf - Hedi Hummel

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kleinlauter wurde sie allerdings, als sie in ihrem Zimmer in der Hotelbroschüre las, dass sich Restaurant und Frühstücksraum im 6. Stockwerk befanden. Da hatte sie sich ja zielsicher eine echte Herausforderung ausgesucht. Sie kämpfte das ungute Gefühl nieder, das sich sofort einstellte. Auch bezwang sie den Impuls, auf der Stelle auszuchecken. Nein, sie wollte sich konfrontieren. Morgen konnte sie sich ja immer noch ein anderes Hotel suchen. Zumindest sollte sie schon einmal das Frühstück stornieren, sie würde sich irgendwo in einem Café am Deich einen Kaffee mit Croissant bestellen. Sie wollte jetzt gar nicht länger über ihre Schwächen nachdenken, hier half nur Ablenkung. Und sie holte die Unterlagen des neuen Mordfalles aus ihrer Tasche und breitete sie auf dem Bett aus.

      *

      Als Robert Alsfeldt auf sein Motorrad stieg, lag noch immer jenes eigentümliche Lächeln auf seinem Gesicht, das sich nur bei ihm einstellte, wenn er bis ins Innerste berührt war. Diese junge Frau meinte es wirklich ernst mit ihrem Ballett, und sie war so sehr bei der Sache, dass ihre Wangen glühten vor Eifer. Die meisten Menschen fand er oberflächlich, er wusste, dass er hier hart urteilte, aber man musste doch überlegen, wofür man seine Zeit opferte. Und für sie würde er das gerne tun, er hatte sogar vor, sich anzupassen, so gut es eben ging. Einfach damit die Verständigung zwischen ihnen besser funktionierte. Die anderen Mitspieler fand er nichtssagend, bis auf diesen Pieter vielleicht, der war ihm richtig unangenehm. Er kam ihm sogar irgendwoher bekannt vor, er durchforstete seine Erinnerung, fand aber kein Bild, das er mit ihm in Verbindung bringen konnte.

      Es war ihm nicht leichtgefallen, nach so vielen Jahren wieder in das Haus zurückzukehren, das Haus im Lande Hadeln, in dem er seine Kindheit verbracht hatte und das mittlerweile schon ziemlich baufällig war. Alles war ihm fremd und doch immer noch schrecklich vertraut. Und Bilder überfluteten ihn von früher, von seiner Jugend, von Einsamkeit und Unverstandensein, von den Gewaltexzessen seines Vaters … und dann als Rob 16 Jahre alt war und sein Vater plötzlich verschwand. Rob war lange krank gewesen damals, und wer weiß, was aus ihm geworden wäre, wenn sich nicht eine Verwandte der Mutter seiner erbarmt hätte. Das war seine Rettung. So hatte er lange Zeit bei ihr in Göttingen gelebt und dort auch studiert. Und nun war er vor ein paar Monaten doch heimgekehrt, hatte zunächst einmal das Gröbste renoviert und ein, zwei Räume wieder wohnlich gemacht. Und sofort war er abermals zum Eigenbrötler geworden. Er konnte sehr gut allein sein, hatte an niemanden Erwartungen, und darin lag seine Stärke. Menschen waren für ihn austauschbar. Ihre Bestrebungen und Sehnsüchte waren so leicht vorauszusehen und blieben ihm fremd. Wenn er an einem seiner Projekte arbeitete – dem Buch und der elektronischen Konstruktion –, vergaß er sich und die übrige Welt. Einsamkeit und höchste Konzentration waren Voraussetzung für diese Arbeit und eine gewisse Unschuld, die jedoch nur spürbar war, wenn er es fertigbrachte, selbst hinter die Sache zurückzutreten und einfach nur ihr Werkzeug zu sein.

      Doch es gab auch jene Tage, an denen er es nicht aushielt und etwas in ihm nach Teilnahme schrie, selbst wenn es ein noch so banales Miteinander wäre, das nur einen winzigen Abglanz von Gemeinsamkeit in sich trüge. Ja, es gab diese Tage … für die er sich verachtete. Aber heute war mit einem Mal die Sonne hinter den Wolken hervorgebrochen, und nichts in ihm protestierte dagegen oder machte sich lustig.

      Er fuhr über Land, genoss die abendliche Brise, die schon nach Herbst roch und dabei seine Haare angenehm durcheinanderwirbelte. Und plötzlich fühlte er sich frei und lebendig. Den Wind im Haar, wurde er immer mutiger und verspürte fast so etwas wie Glück. Sollte es möglich sein, dass es auch für ihn … Leichtigkeit und Freude geben könnte? Die Bäume, Felder, Häuser flogen an ihm vorbei, und alles, alles fand er schön und genau richtig so, wie es war. Warum nur war er immer so zynisch und abschätzig anderen gegenüber? Wie hatte er so lange blind sein können für all die Schönheit? Er berührte seine Lippen, strich beinahe zärtlich mit zwei Fingern darüber, als wolle er erkunden, wie sich sein lächelnder Mund anfühlte, so ungewohnt war ihm dieser Zustand. Und für einen Moment sah er diese Frau von den Ballettproben vor sich – Britta –, wie sie ihm einladend zuwinkte, nach vorne zu kommen, und er … er hatte nicht länger gezögert, sich nicht mehr mit Fragen gemartert, sondern war einfach zu ihr gegangen. Beinahe war er stolz auf sich.

      Von Weitem sah er die kleine Waldschneise, den Weg, der zu seinem Gehöft führte, und seine Stimmung wurde verhaltener. Wenn er Gedanken an seinen Vater zuließ, legte sich sogleich ein dunkler Schleier über dessen Haus. Als er in den Hof einbog und das Motorrad abstellte, war die Freude fast vergangen. Selbst als Cara auf ihn zuflog, begrüßte er sie heute nur flüchtig, er wollte sich nur noch verkriechen. Sein Schritt beschleunigte sich, als er den Brunnen passierte und ins Haus huschte. Wenn man hereinkam, stand man gleich in einer großen Wohnküche mit Herd und Ofen und Holzmöbeln. Obwohl die Tür hoch genug war, duckte er sich wie aus alter Gewohnheit … Er hatte unten bis auf die Küche alles so gelassen, wie es sein Vater eingerichtet hatte. Schnell durchquerte er den Flur und stieg die Treppe hinauf in sein Refugium. Er ging über die knarrenden Bodenpaneelen zu der Tür am Ende des Flurs, schloss sie auf und verschwand dahinter.

      *

      Es landete direkt auf seinem Tisch. Die Spurensicherung hatte ihre Arbeit beendet. Kommissar Frank öffnete den Plastikbeutel und holte behutsam den Origami-Kranich heraus. Warum hatte der Mörder ausgerechnet die Farbe Gelb gewählt, ob das eine Bedeutung hatte? Er betrachtete das kleine Kunstwerk von allen Seiten und faltete es dann auseinander, strich den Papierbogen mit seinen Händen glatt und legte ihn vor sich auf die Schreibtischplatte.

      Dabei fühlte er eine Unebenheit des Papiers und besah es sich noch einmal ganz genau. Die Linie einer Zeichnung hatte sich durchgedrückt, die offenbar jemand auf dem Blatt darüber ausgeführt hatte. Sofort war Hartmut hellwach. Sein Herz begann schneller zu schlagen. Alles um ihn herum versank ins Unwesentliche, nur der Schreibtisch existierte, nur dieses Stück Papier. Immer wieder befühlte er es, hielt es gegen das Licht, dann schraffierte er mit einem Bleistift den Mittelbereich des Origamiblattes, und es schälte sich eine geschwungene Linie heraus. Sie sagte ihm erst einmal gar nichts. Enttäuscht schob er das Blatt beiseite. Doch sie musste eine Bedeutung haben, auch wenn er die zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht erkannte. Heute würde er hier nicht weiterkommen.

      Amelung streckte den Kopf zur Tür herein: „Hartmut, hast du gerade Zeit?“

      Erleichtert atmete Hartmut auf, das kam ja wirklich im rechten Augenblick: „Klar, worum geht’s?“

      „Ich fahre zu Maria Marquardt, der Falknerin, hast du Lust mitzukommen?“

      „Klar komm ich mit.“ Hartmut griff sich seine Jacke.

      Maria Marquardt arbeitete im Zoo des Cuxhavener Kurparks, wohnte auch ganz in der Nähe in Döse, und offenbar teilte sie mit Amelung die Leidenschaft für gutes Essen, denn sie hatten sich im Gasthaus Behrens verabredet, das leicht vom Ort aus zu erreichen war, aber auch Spaziergängern eine angenehme Rast bot, denn es lag direkt am Deich mit Blick auf Strand und Nordsee. Hartmut war ewig nicht dort gewesen, und er genoss die Behaglichkeit, die ihnen entgegenschlug, als sie das Lokal betraten, die gut bestückte Bar passierten und sich im großen Gastraum an einem Fenstertisch niederließen.

      „Kannst du mir vielleicht zwei Takte über Frau Marquardt sagen, damit ich ein Bild habe?“

      Eine schlanke, kurzhaarige Frau kam durch die Tür, offenbar von der Toilette, umarmte Amelung von hinten und küsste ihn vernehmlich auf die Wange, was dieser sich nur zu gern gefallen ließ, dabei grinste sie den Kommissar an: „Die paar Takte übernehme ich doch lieber selbst. Was wollen Sie denn wissen?“

      „Oh“, lachte Hartmut, „ertappt. Alles!“

      „Ich arbeite im Zoo im Kurpark, nun schon im sechsten Jahr. Das ist zwar nur ein relativ kleiner mit ungefähr 250 Tieren, aber es gibt dort viele verschiedene Vogelarten, Pinguine, Uhus, Störche, Watvögel, Basstölpel. Und Vögel

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