Kraniche über Otterndorf. Hedi Hummel

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Kraniche über Otterndorf - Hedi Hummel

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machte große Augen und lachte dann: „Das ist kein Bastelknäuel – sondern eine Origami-Figur. Meine Nichte hat da solche Bögen zu Hause mit Faltanleitung.“

      Auf Hartmuts fragenden Blick erläuterte sie: „Japanische Faltkunst eben, und das scheint mir ein Kranich zu sein!“

      *

      Britta hatte es sich auf ihrem Sofa im Wohnzimmer gemütlich gemacht und träumte sich zurück zu dem Abend vor ein paar Wochen, als sie mit ihrer Tante Beatrice in Hamburg im Ballett gewesen war.

      „Ach herrje, wo hast du mich denn hingeschleppt?“, beschwerte sich Beatrice Peters. Sie saßen im Minerva-­Theater – natürlich auf den besten Plätzen, denn Tante Bea hatte ihren großzügigen Tag gehabt, als ihre Nichte sie bat, doch einmal wieder mit ihr in die Oper oder ins Ballett zu gehen. Aber weiter hatte sie sich um nichts gekümmert, lediglich bezahlt, eine ihrer leichtesten Übungen.

      „Das ist Kunst, Bea“, erklärte Britta nachsichtig.

      „Das ist verstaubter Kram aus der Mottenkiste“, war ihr sarkastischer Kommentar.

      Britta prustete los, sollte sie jemals etwas Künstlerisches zuwege bringen, so würde sie es ihrer Tante zur Begutachtung vorlegen, denn was unter ihren Augen Gnade fand, das musste schon etwas Besonderes sein.

      Sie saßen in Tschaikowskis Ballett „Schwanensee“, Britta hatte Lust gehabt auf etwas Konventionelles, aber dass es so bieder inszeniert sein würde, dass hatte auch sie nicht geahnt. Die Musik war natürlich traumhaft, und sie merkte, dass sie den Tänzern auf der Bühne in ihrer Fantasie die rüschigen Kleider auszog und sie mit gewagten Kostümen ausstaffierte und dass sie ihre Bewegungen, ihre Tanzschritte, ihre Gebärden umwandelte in ein viel aufregenderes Ballett. Und da war es geschehen, in ihren Gedanken gingen die Tänze auf der Bühne eine atemberaubende Liaison ein mit der Ausschreibung der Otterndorfer Kranichhaus-Gesellschaft, die originelle Beiträge zu ihrem ehrwürdigen Barockhaus suchte. Und sie sah Kraniche vor sich, sich umtanzen, miteinander streiten, sich umwerben und verlieben.

      „Bea, du bist einfach toll!“, teilte sie der Tante mit, als sie in der Pause auf den Barhockern im Foyer saßen und mit einem Sekt anstießen.

      „Wie komm ich denn zu der Ehre?“, fragte Bea ehrlich interessiert, denn sie war eine Frau, bei der man mit Komplimenten gar nichts erreichte und die allem auf den Grund gehen musste.

      „Deine Kritik hat mich zu einer ganz anderen Choreografie-Idee verleitet“, sie prostete ihr zu, „und die werde ich versuchen, in Otterndorf mit Laiendarstellern umzusetzen.“

      „Da hast du dir ja was vorgenommen“, spottete sie, „wie willst du denn ausgerechnet in Otterndorf grazile Balletteusen finden … ich hätte nie gedacht, dass ich mich heute noch amüsieren würde. Es hat schon seinen Grund, warum ich aus dem Dorf weggezogen bin.“

      Britta schlug scherzhaft mit dem Programmheft nach ihrer Tante: „Schlange!“

      Sofort verfinsterte sich Beas Gesicht, und Britta merkte zu spät, was sie gemacht hatte.

      „Tut mir leid“, sie guckte betreten auf ihr Glas, „ich wollte dich nicht an Erika erinnern.“ Beas große Liebe, die sie für die Urlauberin Rita Sieversen verlassen hatte und mit ihr nach Berlin gezogen war.

      „Schon gut“, versuchte Beatrice die Vorstellung wegzuschieben, „es sagte eben niemand so liebevoll ‚Schlange‘ zu mir wie Erika. Aber na ja, was vorbei ist, ist vorbei. Wie sagst du immer so schön, auf zu neuen Ufern – aber es gibt hier wahrlich mehr neue Ufer als Flüsse, doch überall schmeckt das Wasser schal und banal.“

      „Also, Tante Beatrice“, Britta betonte das Wort Tante, „bitte keine Details! Es wird schon wieder eine kommen, die dir das Herz stiehlt.“

      *

      Hartmut Frank lieferte das erbeutete Stück Papier bei der Spurensicherung ab und konnte endlich Feierabend machen. Für alle Fälle hatte er in seinem Handy ein Foto davon gespeichert.

      Endlich zu Hause, parkte er seinen Wagen in der Garage. Er wohnte in einem der schönen, zurückgesetzten Häuser der Nordheimstraße in Sahlenburg mit kleinem Garten und Sitzecke im Hof. Schon seine Eltern hatten hier gelebt, und nach ihrem Tod war er hierher zurückgekehrt. Wie so oft war er den Weg des geringsten Widerstandes gegangen und hatte sich quasi ins gemachte Nest gesetzt. Zwar war die Straße nicht eben die attraktivste, entsprechend den früheren Reihendörfern zog sie sich beinahe kerzengerade bis fast hinunter zum Strand, aber auf der gegenüberliegenden Seite gab es überall Durchgänge zum Wernerwald. Es war befreiend, abends noch einmal ein Stück in den Wald hinein zu schlendern und einfach abzuschalten oder, wenn es sich nicht vermeiden ließ, den jeweiligen Fall noch einmal neu zu überdenken.

      Heute aber zog es ihn zu seinem Sessel im Erker, denn er fühlte sich schon wieder erschöpft. Hoffentlich bekam er keine Erkältung. Was hatte ihn nur so geschwächt auf Libušes Party? Es konnte nicht nur der Alkohol gewesen sein, er hatte den ganzen Abend über lediglich zwei, drei Gläser Wein getrunken und mindestens doppelt so viel Wasser. Irgendetwas am Tatort hatte ihn irritiert, er schloss die Augen, bekam es aber nicht zu fassen. Auf jeden Fall hatte es mit dem Kranich zu tun oben auf dem Kranichhaus, wie durchbohrt war er sich vorgekommen von seinen Blicken.

      Plötzlich ertappte er sich dabei, dass er vor sich hinlächelte. Sie war ganz schön schneidig, die neue Mitarbeiterin, fiel ihm unpassenderweise an dieser Stelle ein. Sie wusste genau, was sie wollte, irgendwie gefiel ihm das. Er stand ja eigentlich mehr auf den sanften Typ Frau, aber diese Liz, die hatte was. Und sexy fand er sie auch. Auf der Party war es ein lockeres Umkreisen gewesen, diese Leichtigkeit war jetzt natürlich passé. Nun musste man sich erst mal beim Arbeiten zusammenraufen, aber – schon wieder lächelte er – sie flirtet da einfach weiter. Seine Stirn legte sich in Falten, ob ich ihr überhaupt gewachsen bin? Früher wäre er solchen Frauen aus dem Weg gegangen, aber jetzt … was hatte er zu verlieren? Ihm fiel eine Chanson-Zeile ein: „Lass sie fallen, die Bilder von dir und mir“, das wär’s doch: jemandem zu begegnen, bei dem man so sein konnte, wie man wirklich war.

      Aber dass man ihnen einfach eine Profilerin zugeteilt hatte, war schon ein starkes Stück. Klang das nicht ein bisschen so, als glaube man, sie würden es alleine nicht schaffen? Um sich abzulenken, kramte Hartmut sein Handy aus dem Jackett und schaute sich noch einmal das Foto der Origami-Figur an. Und es erfasste ihn dieses rauschhafte Gefühl, als sei er auf eine heiße Spur gestoßen. An was erinnerte ihn nur dieses eckige Papierknäuel, und wo hatte er etwas Ähnliches schon einmal gesehen? Ein kantig gefaltetes Tier als Signatur eines Mordes? Richtig, jetzt fiel es ihm ein, es war kein anderer Fall, der ihm im Gedächtnis geblieben war, es war …

      Hartmut sprang auf und suchte aus seinem Regal eine bestimmte DVD heraus, legte sie in den Player ein und spulte vor. Stopp, da war die Szene: Der beauftragte Killer hinterließ am Tatort des Mordes eine Origami-Figur, aber im Film war es kein Kranich, sondern ein Einhorn.

      „Donnerwetter“, er war ganz aufgeregt, „da kopiert jemand ,Blade Runner‘“, einen seiner Lieblings-Sci­ence-Fiction-Filme!

      *

      Sie wusste gar nicht, was sie zuerst machen sollte, es gab so viel zu erledigen. Ihr praktischer Sinn siegte. Sie griff zum Telefon und wählte ihre Tante an: „Beaaa“, sie zog ihren Namen bittend in die Länge, sodass ihre Tante schon insgeheim den Geldbeutel zückte.

      „Ja, bitte“, fragte sie „was kann ich für dich tun?“

      Britta grinste: „Möchtest du nicht einen kleinen Obolus

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