Kraniche über Otterndorf. Hedi Hummel
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Als Beatrice die Summe hörte, musste selbst sie erst einmal schlucken: „Du machst dich, Kleines … “, man hörte, wie sie sich am anderen Ende der Leitung etwas notierte, „ich überweise es dir – und Britta, gib nicht alles auf einmal aus.“
„Danke, Bea“, sagte Britta, aber ihre Tante hatte längst wieder aufgelegt, denn in ihrer Küche wartete eine entzückende Pizza-Lieferantin auf ihr Wechselgeld …
Die finanzielle Seite war ja jetzt gesichert, nun ging’s an Konzept. Sie musste die Szenen umschreiben … für drei weitere Tänzer. Sie war so aufgeregt. Wie die neuen Teilnehmer wohl sein würden? Ob sie Tanzerfahrung hatten? Ob sie sich gut in die Gruppe eingliederten?
*
Kommissar Frank und Jochen Dressler fuhren diesen Weg nun schon seit vielen Jahren, und nie, dachte Hartmut, nie konnte er dieses unangenehme Gefühl abstreifen, beinahe einen leichten Widerwillen, diese Schwelle zu überschreiten. Die Kühle der Räume, die auf eine andere Weise schauern machte, als wären sie in einen Eisregen geraten, die nüchterne Sprache, die dem Fall zwar zuträglich war, aber die doch einen Menschen betraf, der vor Kurzem noch lebte und Wünsche und Ängste hatte und nun reduziert wurde auf, na sagen wir mal, zwei bis drei Pfund Hirnmasse und einen perforierten Darm.
„Grübelst du wieder?“, fragte ihn sein Kollege Jochen.
Hartmut wandte ihm kurz sein Gesicht zu, konzentrierte sich aber sofort wieder auf die Straße. Wie gut sie sich kannten! „Ja“, sagte er mehr zu sich selbst.
„Immer hereinspaziert, die Herrschaften“, begrüßte sie Gerichtsmediziner Lohmeier, der Fuchs, wie er allgemein genannt wurde. Er hielt ihnen die Tür auf mit einer Geste, als lege er ihnen die Welt zu Füßen. „Achtung, Stolperfalle“, schon war man wieder in der Realität angekommen.
„Etwa gegen Mitternacht trat der Tod ein“, Fuchs Lohmeier kratzte sich hinterm Ohr: „Nun ja, ein Blutbad.“
Er lüftete das weiße Tuch, das über den Toten gebreitet war. Der gesamte Körper, auch das Gesicht, war mir Einstichen bedeckt, und überall waren leichte und tiefere Kratzwunden. Auch das rechte Auge und der Hals waren schwer verunstaltet, und Hartmut wandte sich ab.
„Ihr seht ja selbst“, fuhr Lohmeier fort, „übersät mit Kratzspuren und Stichen. Aber es könnten natürlich auch Hackspuren sein, von einem spitzen, kräftigen Schnabel. Dafür spricht, dass die Halsschlagader regelrecht zerfetzt wurde, was die eigentliche Todesursache ist.“ Er druckste ein wenig herum: „Aber grundsätzlich bin ich mir noch nicht sicher. Die Federn, die an Körper und Kleidung klebten, sind nicht von der Hand zu weisen. Dennoch glaube ich nicht so richtig an einen Raubvogel. Dafür erscheinen mir die Wunden zu … mechanisch und in der Form zu gleichförmig. Ich habe eine Kollegin hinzugezogen, die da einige Erfahrung hat. Sie ist allerdings tatsächlich der Ansicht, dass es sich bei den tödlichen Wunden um Tierbisse oder Risse von scharfen Krallen handelt.“
Hartmut und Dressler sahen ihn groß an. Allein dass Lohmeier zugab, es nicht genau zu wissen, und eine zweite Person hinzuzog, war schon eine Seltenheit und kam nur alle zehn Jahre einmal vor.
„Hm, das ist ja ziemlich verwirrend“, kommentierte Dressler.
„Es ist eine schwierige Sachlage“, verteidigte sich der Mediziner, „aber ich kann mich den Argumenten meiner Kollegin nicht ganz verschließen. Wir müssen bis morgen warten, dann werden wir erfahren, ob tierische DNA im Spiel ist. Da kommt man sonntags nicht allzu weit.“
„Was mich noch interessiert“, überlegte Kommissar Frank, „wie war denn die körperliche Verfassung von Horst Kling? War da irgendetwas ungewöhnlich, hat er getrunken, war er tätowiert und solche Sachen?“
Jetzt schaute er wirklich wie ein Fuchs, dachte Dressler und musste grinsen.
Lohmeier räusperte sich vielversprechend: „Auf den ersten Blick alles normal, er war nicht gerade fit, aber alles im Rahmen. Getrunken hat er wohl nicht, seine Fingerkuppen deuten allerdings darauf hin, dass er geraucht hat, und zwar Selbstgedrehte. Das war ja lange Zeit völlig out, aber seit die Zigaretten so teuer sind, kommt es wieder häufiger vor … aus Geldgründen, aber oft auch … aus Nostalgie.“
„Interessant“, murmelte Hartmut, aber Geld hatte Kling ja wohl reichlich, überlegte er.
Der Gerichtsmediziner reichte dem Kommissar eine silberne OP-Schale mit zunächst undefinierbarem Inhalt: „Das hatte er im rechten Ohr, ein hochmodernes Luxus-Hörgerät. Das spricht nun wirklich dafür, dass er sich seine Zigaretten hätte leisten können. So etwas kostet mindestens 3000 Euro. Ich hab so eine Ausfertigung noch nie gesehen.“
„Okay, wenn du hier fertig bist, Tobias, schick es uns bitte ins Büro.“
„Mach ich. Ansonsten hab ich erst mal nichts zu bieten.“
*
„In der Umgebung seines Gehöfts bei Kehdingbruch konnten die Leute nicht viel über Holger Kling erzählen“, berichtete Amelung bei der Lagebesprechung, „er tauchte da nur selten auf und blieb auch weiterhin in Otterndorf wohnen. Befragt man dort seine Nachbarn, so galt er als ruhiger Zeitgenosse, war freundlich und umgänglich, nur in der Zeit, als ihn seine Frau verließ, wirkte er niedergeschlagen und fahrig. Jeder, den man fragte, war entsetzt über seinen gewaltsamen Tod.“
„Ich war in Brunsbüttel und hab mich mit Klings Ex-Frau unterhalten“, referierte als Nächster Jochen Dressler. „Eine durch und durch bodenständige, sehr sympathische Frau. Sie lebt dort allein, hat einen neuen Freund, war aber ehrlich erschüttert über das Schicksal ihres früheren Ehemanns. Was die Verpachtung seines Ackerlandes an die Windanlagenfirma angeht, das fand sie wohl nicht toll, sie ist aber keine ausgesprochene Windkraft-Gegnerin. Die Eheleute haben sich zwar kurz danach getrennt, doch sie betonte, dass das rein private Gründe hatte.“
„Glaubst du, sie könnte irgendetwas mit der Tat zu tun haben?“, fragte Hartmut.
Dressler schüttelte heftig den Kopf: „Auf keinen Fall! An dem Abend feierte sie in großer Runde das 25. Firmenjubiläum einer Freundin. Das dauerte bis in die Morgenstunden, und sie hat etwa dreißig Zeugen, die ihr Alibi bestätigen können. Nur …, ich hab sie nach dem Hörvermögen ihres Ex-Mannes gefragt, wegen des teuren Hörgerätes ...“, er zögerte, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, „er hörte tatsächlich ein bisschen schlechter, aber ein so spezielles Hörgerät hatte er ihrer Meinung nach nicht nötig.“
„Na ja“, warf Libuše ein, „so was Besonderes ist das doch nicht. Die beiden sind doch schon zwei Jahre getrennt, in der Zwischenzeit kann sich das doch verschlechtert haben.“
„Selbstverständlich“, überlegte Dressler, „aber irgendetwas daran macht mich stutzig.“
Hartmut bekräftigte seine Einschätzung: „Mir kam das auch gleich seltsam vor. Wir lassen das Gerät auf jeden Fall von einem Fachmann untersuchen.“
„Ich habe die Nachbarn der umliegenden Häuser des Tatorts befragt“, setzte Libuše die Runde fort, „die meisten haben nichts mitbekommen. Bis auf den Schrei natürlich. Bis dann jemand am Fenster oder auf der Straße war, hatte man sich nur noch für die Leiche interessiert. Frau Bedecker allerdings, die über dem Bäcker wohnt, hat einen großen Vogel wegfliegen gesehen. Und jetzt haltet euch fest, der Junge von Paulsens erzählte mir