Kraniche über Otterndorf. Hedi Hummel
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„Das ist ja wirklich der Hammer“, machte Dressler sich Luft.
Und Hartmut wollte wissen: „Wie schätzt du den Jungen ein? Kann man ihm trauen?“
„Also, ich glaube ihm schon“, überlegte Libuše, „im Gegensatz zu seinen Eltern. Selbst als sie die Leiche sahen, sprachen sie nur von seiner ungezügelten Fantasie. Was allerdings wirklich sehr dubios klingt, er behauptet stock und steif, es hätte sich um einen Kranich gehandelt.“
„Ein Kranich?“, Dressler konnte es nicht fassen, „die greifen doch niemanden an, und vor allem töten sie keine Menschen!“
„Das wäre dann der Erste“, stellte Libuše trocken fest.
„Ist das dein Ernst?“, fragte Hartmut sie mit eindringlicher Stimme.
„Nun könnten wir ja vielleicht noch einmal neu über meine Vermutung diskutieren, inwieweit man Kraniche abrichten kann“, mischte sich Liz mit süffisantem Lächeln ein und trat in die Mitte des Raums.
„Dazu kann euch mit Sicherheit Maria Marquard etwas sagen“, trumpfte Amelung auf, der sich die ganze Zeit zurückgehalten hatte, „sie ist Falknerin und eine enge Freundin meiner Schwester!“
„Na, dann mal her mit ihr!“, sagte Hartmut Frank, „ist doch interessant, was ihr alle für Freunde und Bekannte habt.“ Dabei ruhte sein Blick wohlgefällig auf Liz, die ihn daraufhin so herausfordernd anschaute, dass er plötzlich gute Laune bekam.
*
Endlich war Dienstagabend. Britta schwang sich stolz auf ihren neuen Motorroller. Es war schon ein prächtiges Teil, eine schicke cremefarbene Vespa, genau das Richtige für den Stadtverkehr und kurze Fahrten über Land. Es war die erste Anschaffung vom Geld ihrer Tante, es würden noch weitere folgen. Da die Proben seit heute in den Seelandhallen Achtern Diek stattfinden sollten, fühlte sich die junge Choreografin für die An- und Abreise gewappnet. Zu Fuß war das schon ein Angang, die Hallen befanden sich außerhalb in der Nähe des Campingplatzes, nahe der Medemmündung in die Elbe. Und sie war sich noch nicht sicher, ob sie den Ort beibehalten sollten. Vor allem für den Rückweg sollten sich Fahrgemeinschaften zusammenfinden.
Heiner, Henriette und die anderen waren schon da und hatten sich zusammen in den Zuschauerraum gesetzt. Eine unbekannte Frau stand bei ihnen, und das Gespräch schien zu florieren. Ein etwa dreißigjähriger Mann versuchte anzudocken, was nicht so gut gelang.
Britta ging auf die Gruppe zu, war aber dennoch nicht ganz bei der Sache, sollte nicht noch ein Dritter dazukommen?
„Hallo“, sie gab zuerst der Frau die Hand, dann dem Mann, „ich bin Britta Peters. Toll, dass Sie zu unserer Gruppe stoßen!“
Es stürmten nun Begeisterungsbekundungen, Kurz-Biografien und allerlei Fragen auf sie ein. Aber nichts davon drang wirklich bis zu ihr vor. Sie stand nur lächelnd da und nickte und gab Laute von sich, die als Zustimmung gedeutet werden konnten. Denn sie hatte ganz hinten im Saal in einer der letzten Reihen einen Mann entdeckt, der die Gruppe interessiert beobachtete, aber aus irgendeinem Grund nicht nach vorne kam. Entweder war er zu schüchtern oder noch nicht sicher, ob er wirklich teilnehmen sollte. Britta wusste auch nicht, warum sie der Fremde so nervös machte, immer wieder schaute sie zu ihm.
„Hallo, junger Mann“, rief sie ihm schließlich zu. Das war eine ziemliche Übertreibung, aber sie wusste nicht, wie sie die Anrede formulieren sollte, „möchten Sie nicht zu uns kommen?“
Unbehaglich rutschte der auf seinem Stuhl hin und her, schien sich dann aber einen Ruck zu geben, stand auf und kam nach vorne. Sein Gang war langsam und vorsichtig, entbehrte jedoch nicht einer gewissen Eleganz. Ganz in Schwarz gekleidet, aufrechte Körperhaltung, dunkle Haare, stechend blaue Augen, die er jedoch meistens abzuwenden versuchte. Britta bemerkte durchaus die Schärfe seines Blicks, hätte aber die Augen eher als leuchtend blau beschrieben. Unwillkürlich lächelte sie ihn an. Sie schätzte ihn auf etwa 30 Jahre, nur ein paar Jahre älter als sie.
Zögernd reichte er ihr die Hand: „Robert Alsfeldt.“ Ein Siegelring mit blauem Stein blitzte auf. Ihr Blick suchte seine Augen, wie um zu überprüfen, ob der Ring die gleiche Farbe hatte. Sofort schaute er zur Seite und zog die Hand zurück.
„Ich freue mich“, preschte Britta vor, „dass Sie heute gekommen sind! Wir brauchen so dringend Verstärkung.“
Nun doch ein zaghaftes Lächeln: „Ja, es war der Name Ihres … Balletts, der mich angezogen hat.“
„Darf ich mich auch vorstellen“, der andere Neuankömmling, breitschultrig, in Jeans und Turnschuhen, ergriff die Hand von Robert, die er ihm gar nicht angeboten hatte, und schüttelte sie kräftig: „Pieter Neukamp!“ Erst wollte Robert sich schnell wieder zurückziehen, doch ein seltsamer Trotz überkam ihn, und er hielt die fremde Hand hartnäckig fest, einen Augenblick über Gebühr.
Pieter Neukamp schaute ihn irritiert an, ein bisschen eingeschüchtert, aber auch neugierig forschend. Robert blickte durchdringend zurück, und man merkte deutlich, wie unangenehm ihm diese Begegnung war. Die beiden waren etwa gleichaltrig. Freunde werden das aber keine werden, dachte Britta und führte die Gruppe zusammen.
„Wir wollen uns mit einem Kranich-Ballett oder -Tanzstück an der Ausschreibung zum 60. Bestehen der Kranichhaus-Gesellschaft beteiligen“, sie wandte sich dann wieder den neuen Teilnehmern zu, „am besten ich erzähle euch einmal die Handlung, die ich mir ausgedacht habe. Vielleicht kennt ihr die Geschichte vom Kranich Blacky, der sich tatsächlich hatte hinreißen lassen, mit den skandinavischen Kranichen nach Schweden zu fliegen und dort auch den Sommer zu verbringen. Für einen ausgewachsenen Vogel ist das sehr ungewöhnlich, vor allem scheint er bis auf den heutigen Tag nicht zurückgekehrt zu sein. Nun habe ich diese wahre Begebenheit weitergesponnen, und in unserem Ballett verliebt sich Blacky in eine schwedische Kranich-Dame, wird jedoch nicht erhört und folgt ihr quasi als Mutprobe und als Beweis seiner Liebe ins fremde Land.“
Gerlind, die neue Mitwirkende, guckte sparsam, Pieter Neukamp nickte beifällig, und Robert Alsfeldt zeigte keinerlei Gefühlsregung, er schaute Britta nur vollkommen ernst an: „Und kommen die beiden zusammen?“
Britta bekam weiche Knie unter diesem Blick, der für sie eine Grenze überschritt, und so irrational es auch war, sie hatte plötzlich das Gefühl, sie sei gemeint und sie müsse die Antwort sehr genau abwägen.
Sie holte tief Luft und sagte zögernd: „Ja, was wäre denn das sonst für eine Geschichte.“
Sie vermied es, den schlanken, dunkel gekleideten Mann dabei anzusehen. Unbefangen und erleichtert strahlte Gerlind übers ganze Gesicht: „Gott sei Dank, ich dachte schon, es gibt am Schluss so was wie den sterbenden Kranich. Ich steh nämlich auf ein Happy End.“
„Wer tut das nicht“, entgegnete Robert, und bei diesen Worten entspannten sich seine Gesichtszüge, machten sie weich und milde und auf eigentümliche Weise schön.
*
Sogar eine Sauna hatten sie in ihrem Hotel, das gefiel Liz ausgesprochen gut. Eine Sauna mit zwei Räumen und einem schönen Abkühlungsbereich. Nur zu gerne überließ sie sich der trockenen Hitze, schwitzte all die Anspannungen der letzten Zeit heraus und rieb sich draußen genüsslich Füße und Beine mit dem bereitstehenden Eis ab. Und dann hinein in das kleine, langgezogene Schwimmbassin. Mit jeder neuen Schwimmbewegung