Den Kopf hinhalten. Jens Rosteck

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Den Kopf hinhalten - Jens Rosteck

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Instanz.

      Ihm genügte die Gewissheit, das absolut Richtige zu tun. Das Notwendige und Unvermeidbare. Etwas, für das nur jemand wie er infrage kam. Etwas, für das er ausersehen war. Etwas, das er aus dem Effeff beherrschte. Und fertigbrachte, ohne sich oder die ihm Anvertrauten unnötig zu besudeln. Etwas, worauf er stolz war und das er mit einem wohligen, nur ihm bekannten Ehrgefühl verband.

      Somit erwachte Rupert an diesem Freitagmorgen, ohne geträumt zu haben. Ganz so wie geplant. Augenblicklich spürte er, wie die gewohnte Energie in seine Glieder fuhr, spürte die vertraute Anspannung, den Tatendrang. In Gedanken spielte er das kommende Wochenende durch, beruhigende, befriedigende Gedanken, fühlte sich gewappnet und stark.

      Er war bereit.

      Rupert Beaufort schlug die Augen auf. Und wusste sofort, was ihm heute bevorstand. Zum zigsten Male. Er war mit sich im Reinen. Die Lage war eindeutig: Bei ihm gab es auch nicht die geringste Persönlichkeitsspaltung, weder eine gute noch eine schlechte Seite. Unterscheidungen waren zwecklos. Denn immer war er Kneipenwirt und Vollstrecker zugleich. Ausschenker und Handlanger. Beide Metiers verlangten Genauigkeit und Ausdauer, Belastbarkeit und auch Menschenfreundlichkeit. Wirt sein und Henker sein: Das war gleichwertig. Beide Berufe bereiteten ihm Freude. Das merkte man ihm an – so umsichtig und beflissen wie er nun einmal war. Fleißig und eifrig: Dieses Zeugnis hätte ihm jeder Prüfer ausgestellt. Makellosigkeit und Professionalität zur Schau stellend, ohne jedoch irgendein Aufheben davon zu machen. Ganz gleich, was er tat, immer bemühte er sich um grundanständiges Handeln. Er erledigte, was man von ihm erwartete, blieb freundlich und unauffällig.

      Einer eigenen Meinung enthielt er sich. Er war in der Lage, seinen Mund zu halten, wenn es darauf ankam, und mit Tatkraft zu Werke zu gehen, wenn es so weit war.

      Dabei war es völlig egal, ob es sich darum handelte, ein frisches Bier zu zapfen, einen Brandy zu servieren, einen Aschenbecher zu leeren, einen Kartenspieltisch mit einem feuchten Lappen abzuwischen oder einem Gefangenen die Hände auf dem Rücken zu verbinden, bevor er ihn aus der Todeszelle zur Exekution führte. Bevor er ihm das Gefühl gab, sich keine Sorgen mehr machen zu müssen. Bevor er ihn behutsam zu seinem eigentlichen Bestimmungsort geleitete. Bevor er ihn von seiner Seelenpein erlöste.

      Rupert blinzelte und atmete tief durch. Für einen kurzen Moment betrachtete er sein blasses und gleichförmiges, genau einundfünfzig Jahre altes Gesicht im länglichen Spiegel neben dem Kleiderschrank und war zufrieden, dass es keine besonderen Merkmale aufwies. Und nur erst wenige Falten. Rupert genoss seine offenkundige Durchschnittlichkeit, ja Unscheinbarkeit. Was er getan hatte und was er heute und morgen wieder tun würde, konnte man ihm nicht ansehen. Was er auf dem Kerbholz hatte, blieb unbemerkt. Er selbst sah sich als Ausbund an Unbescholtenheit und Tugend. Seine rekordverdächtige Hinrichtungsbilanz und sein Doppelleben hätte ihm, wie er da so lag, wohl niemand zugetraut, ausgeschlafen und in einen gestreiften Pyjama gewandet, das Kissen im Nacken hochgeschoben und sich selbst unwillkürlich zuzwinkernd, so als grüßte er einen alten Bekannten. Er wirkte wie jemand, der keiner Fliege etwas zuleide tun würde. Wie eine gute Seele, von der man sich nicht vorstellen konnte, dass sie jemals einem räudigen Hund einen Fußtritt versetzen oder gar einem kleinen Jungen eine Tracht Prügel verpassen würde.

      Rupert und seine Frau hatten weder Kinder noch Haustiere.

      Er spürte jetzt, wie unvermittelt Vorfreude in ihm aufstieg. Vorfreude auf die Reise nach London, Lust auf die Erfüllung seines Auftrags. Unbändige Lust. Noch einige Sekunden zögerte er das Aufstehen heraus.

      Träume, wenn sie zu Ende geträumt wurden, machten ihm Angst. War er wach, breitete sich Zuversicht in ihm aus. In Träumen konnte man sich leicht verirren. Im Alltag hingegen fand er sich bestens zurecht.

      Durch das weit geöffnete Fenster strömte frische, leicht salzige Luft ins Schlafzimmer. Es war empfindlich kühl für einen Sommertag, schließlich lagen Preston und Much Hoole nicht weit vom Meer. Die Irische See sorgte selbst im Binnenland stets für eine steife Brise. Doch die Sonne stand, auch wenn sie keine wohltuende Wärme verbreitete, schon hoch am Himmel. Grelles Licht tanzte auf dem Frisierspiegel, vor dem Ruth gestern Abend ihren Schmuck abgelegt hatte, und lockte ihn ins Bad. Draußen summten bereits die Bienen. Mit großem Eifer schwirrten sie durch Rosenbeete, Jasminsträucher und Hortensien, als wollten sie ihn ermuntern, endlich die Decke zurückzuschlagen. Was er nun auch, ein wenig ächzend, tat. Der Jüngste war er ja nicht mehr.

      In der Ferne hörte er einen Zug rattern und sah, als er sich erhob und sein Blick automatisch über die Vorgärten auf die wenig befahrene Landstraße und den Rand des kleinen Dorfes fiel, wie die betagte Mrs Pennebaker vorm Haus gegenüber auf den Bürgersteig trat, um die im Briefkasten steckende Freitagszeitung hereinzuholen.

      Er streckte sich, gähnte zweimal kräftig, hockte sich auf die Bettkante und schlüpfte in seine Pantoffeln. Griff nach dem Nachttopf, um ihn zu leeren, und schlurfte nach nebenan. Die Rasur beanspruchte nur wenige Minuten. Als Nächstes begab er sich zur Dusche und ließ, während er mit gekreuzten Beinen in der Wanne kauerte und ein Lied summte, das heiße Wasser eine Weile länger als nötig auf Kopf und Rücken prasseln. Zu guter Letzt schreckte er seinen bleichen Körper mit einem kalten Guss ab und eilte zu seinen bereitgelegten Sachen. Auf eine untadelige Garderobe, auf einen guten Anzug, einen schönen Hut und eine Reihe ausgesuchter Accessoires hatte Rupert stets größten Wert gelegt. Ihm war es, als Kind armer Leute, sehr wichtig, ein gepflegter Mann zu sein.

      Ihm war es ganz allgemein wichtig, es zu etwas gebracht zu haben. Nützlich gewesen zu sein. Der Allgemeinheit zur Verfügung gestanden zu haben. Das, fand er, sah man ihm heutzutage ganz bestimmt an. An der Nasenspitze.

      Ruth hatte sich lange vor ihm erhoben und war ins Erdgeschoss ihres bescheidenen Landhäuschens in Much Hoole entschwunden, in dem sie nun schon ein paar Jahre zufrieden lebten; er hörte sie in der Küche hantieren. Vielversprechende Aromen, von ihr mit viel Liebe in die Welt gesetzt, wirkten wie ein Magnet auf ihn, riefen ihn förmlich zu ihr hinunter, verschafften ihm sofort noch größere Lust auf sein Tagesgeschäft. Rupert hörte auch, als er sich abtrocknete und anzog, seine aufgezogene Taschenuhr in der Westentasche verschwinden ließ, die farblich abgestimmte Krawatte umband und ein sauberes Einstecktuch auswählte, den pfeifenden Teekessel und, ungleich undeutlicher, das Gebrabbel des Moderators, der die Morgennachrichten im Radio verlas. Irgendetwas mit einem neuen Theaterstück, das, wenn er richtig verstanden hatte, Blick zurück im Zorn hieß und morgen Abend im Londoner Theatre District Premiere haben würde.

      Nun, Rupert war – wenn er sich’s recht überlegte – auf nichts und niemanden zornig. In ihm war keine aufgestaute Wut, die er irgendwo entladen oder an anderen auslassen musste. Sadistische Züge waren ihm fremd. Eigentlich hatte er konstant gute Laune. Ein kurzer Windstoß ließ das Fenster zufallen, das sich gleich wieder öffnete, wie von Zauberhand gelenkt. Kurz darauf vernahm er, wie erwartet, schließlich den fröhlichen Ruf seiner Frau. Das Frühstück war fertig. Es duftete verheißungsvoll. Zur Feier des Tages ein warmes Breakfast, mit allem Drum und Dran.

      „Kommst du?“

      Rupert ließ sich das nicht zweimal sagen, stieg die enge Treppe nach unten, kam der freundlichen Aufforderung seiner Frau am Küchentisch Platz zu nehmen nach, und genehmigte sich eine große Portion Baked Beans mit Blutwurst und Bacon. Ruth, noch im Morgenrock, hatte die Schlagzeilen bereits überflogen und danach einen Musiksender eingestellt, der leise vor sich hin dudelte. Lange vor ihm war sie mit dem Essen fertig, leistete ihrem Mann Gesellschaft, spottete über seinen ausgesprochen guten Appetit und musterte ihn mit ihrem kritischen, wohlwollenden Blick.

      In ihren Augen las er eine gewisse Unruhe; sie sandten aber auch Signale der Ermunterung an ihn aus. Nachbarschaftstratsch und die Einnahmen des letzten Abends im Pub – mehr als zufriedenstellend – dominierten ihr unbefangenes Geplauder. Rupert murmelte zustimmend, hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, nickte und

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