Den Kopf hinhalten. Jens Rosteck

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Den Kopf hinhalten - Jens Rosteck

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Von einem Tag auf den anderen war der Name Beaufort in aller Munde, und die Menschen kamen in Scharen nach Hollinwood, um ihn anzustarren, zu bewundern und zu feiern. Damit war sein Schicksal als Volksheld unwiderruflich besiegelt, und über Nacht war er zu einer Berühmtheit geworden. Zu einem tollen Hecht, der es den verhassten Deutschen endlich einmal zeigte. In Hameln. Hamelin, wie seine Landsleute sagten. Der mit Judenmördern abrechnete und der Unmenschen wie verachtenswerten Schindern den Garaus bereitete. Der die Schlächter unter den Nazis, die lange genug ungestraft ihr Unwesen treiben durften, kurzerhand ins Massengrab beförderte. Der den Sieg der freien Welt mit seinem Tun eindrucksvoll untermauerte.

      Wenn es nach Rupert gegangen wäre, hätte sein Leben lang nie jemand von seinem Zweitberuf erfahren. Auch jetzt noch nicht. Nur allzu gern hätte er die Uhr wieder zurückgedreht und die deutsche Episode ungeschehen gemacht, um seine Anonymität bis zum letzten Atemzug zu bewahren und zu schützen.

      Es widerstrebte ihm, seine Leidenschaft an die große Glocke zu hängen. Alles, was mit Galgen und Todesstrafe, mit Vollstrecken und Hinrichten zu tun hatte, wollte er um jeden Preis für sich behalten. Er hätte demnach auch weiterhin eine richtige Dr.-Jekyll-and-Mr.-Hyde-Existenz führen können, so perfekt und undurchsichtig wie möglich.

      Wenn ihm die Tötungsserien im fernen Hameln nur nicht dazwischengefunkt hätten, wo er es zum ersten Mal nicht mit Liebenden, Verzweifelten, Dieben oder Psychopathen zu tun bekommen hatte, sondern mit Funktionsträgern eines Unrechtsstaates, die mordeten, weil ein verbrecherisches System es ihnen befohlen hatte. Mit Bürokraten des Grauens, genau genommen. Deshalb hatte er sich zum ersten Mal auch die Frage stellen müssen, ob er da in Wahrheit nicht seinesgleichen unbekümmert in den Tod schickte. Menschen, die wie er Vorschriften gefolgt waren und Befehle ausgeführt hatten, die an ihren Auftrag geglaubt hatten und nun, wohl oder übel, einsehen mussten, dass eine andere, tolerantere Rechtsprechung ihr Handeln im Nachhinein als unrechtmäßig einstufte und sie verdammte.

      Ja, zum ersten Mal war Rupert mit grundsätzlichen und sehr unangenehmen Fragen konfrontiert worden, die an sein Inneres rührten, die sein Selbstverständnis ins Wanken bringen konnten, die ihn massiv bedrohten. Rupert hatte nicht lange überlegt, war nur für einige Minuten in sich gegangen und hatte sich in einer Art innerem Kreuzverhör selbst befragt. Zweifel hatte er erst gar nicht an sich herangelassen, nach jedem Hamelner Wochenende eine tiefe Mütze Schlaf genommen und eventuelle Gemeinsamkeiten zwischen ihm und den deutschen KZ-Schergen empört verneint.

      Welten trennten ihn von ihnen, und, wie unübersehbar war, standen die Schergen auf der falschen Seite der Geschichte. Hatten sich ihr Los selbst zuzuschreiben, während er, momentan, sich aus freien Stücken in den Dienst der Alliierten stellte. Nach allen Regeln der Kunst hatte er mit ihnen, die in Schnellverfahren, von deren Verlauf er keine Kenntnis hatte, abgeurteilt worden waren, kurzen Prozess gemacht. Burt und Stuart meinten: hochverdient. Rupert müsse ein Orden verliehen werden für seine Verdienste ums Vaterland, um die Freiheit und die westliche Demokratie. Eine Auszeichnung für ihn müsse dringend her, mit einer großen Freudenfeier, mit Feuerwerk, Marschmusik und offiziellen Reden. Und auch Ruth ließ ihn spüren, dass er seine Sache diesmal besonders gut gemacht hatte.

      Triumphgefühle ließ, wie Rupert wusste, das britische Justizwesen gar nicht erst aufkommen, erst recht nicht im Zusammenhang mit den heiklen Kriegsverbrecherprozessen, wo auch nicht unbedingt alles nach Wunsch oder mit der gebotenen Fairness abgelaufen war – schnell, rasend schnell hatte es gehen müssen, die Rechtsprechung hatte auf wackligen Füßen gestanden, die Bürger der Siegermächte waren von verständlichen Emotionen wie Vergeltung, von niederen Gefühlen wie Heimzahlen und Aufrechnen keinesfalls frei gewesen. Vor weiteren Anwürfen, die nur er selbst an sich richten konnte, musste er fortan auf der Hut sein und aufpassen, nur ja nicht auf einmal dünnhäutig zu werden. Oder angreifbar. Nun war sein Name regelmäßig in den Zeitungen des Landes zu lesen und sein Konterfei auf so mancher Titelseite abgebildet gewesen, und an diesem misslichen Umstand hatte sich auch in der jüngsten Vergangenheit nichts mehr ändern lassen können.

      Rupert musste mit seiner Berühmtheit weiterleben, ob er wollte oder nicht. In den Folgejahren machte er seinen Frieden mit diesem neuen Status. Übte Nachsicht mit seinen Anhängern. Ließ es zu, dass die Würdigung seines Tuns so manches Mal überhandnahm. Ließ sich dazu hinreißen, ganz selten nur kam das vor, die „Beaufort!“-Rufe zu genießen, die ihn an Samstagabenden entgegenschallten. Nur für Stuart und Burt war er einfach Rupert. Und für Ruth, na klar. Sonst durfte sich niemand eine solche Vertraulichkeit herausnehmen.

      Für den Struggler, begehrt wie nie zuvor, zahlte sich seine Reputation auf alle Fälle aus – die Gäste standen Schlange, wollten dem bunten Hund Beaufort die Hand schütteln und ihre Komplimente loswerden.

      Bald gehörte es zum guten Ton in Manchester und Umgebung, hier nach Arbeitsschluss vorbeizuschauen, sich ein paar Gläschen zu genehmigen und gesehen zu werden. Es wurde Kult, im Strugg­ler für eine große Anzahl Freunde oder Kollegen eine Runde zu schmeißen. Selbst mit einem Champagnervorrat musste sich Rupert eindecken – ein edles Gesöff, das früher nie jemand bestellt hatte.

      Nach ein paar Monaten konnten Ruth und er sich sogar eine Bedienung leisten und zusätzlich einen jungen Mann, der an den Wochenenden spülte und den Laden sauber hielt. Der Pub hatte sich als Goldgrube erwiesen.

      Einige Jahre später zogen die Beauforts aufs Land und wurden Pächter einer viel größeren Kneipe. Hier war der Rummel erträglicher, auch wenn die hartnäckigen Fans aus Hollinwood, treu wie sie waren, ihnen nachreisten und Wochenende für Wochenende die Bude einrannten. Auf sie war Verlass. Was Rupert rührte.

      Ganz ohne Sensationstouristen, die sich gemeinsam mit ihm ablichten lassen wollten, wobei sie mit albernen Gesten sich die Hand an die Kehle legten oder den Kopf hängen ließen und die Zunge herausstreckten, um eine Hinrichtung nachzuahmen, ganz ohne die Horrorfans ging es auch in Much Hoole nicht ab. Egal, da musste Rupert durch. Machte gute Miene zum bösen Spiel. Blickte mit gespielter Verzweiflung in die Kamera. Ein kleines Häuschen war nun auch drin für ihn und seine emsige Frau. In dem sie es sich bequem machten. Much Hoole war nicht der Nabel der Welt, Preston, etwas weiter nördlich, auch nicht, aber auf den Stress der Großstadt und auf das hektische Vorstadttreiben konnten die beiden, unterdessen im mittleren Alter angelangt, gut verzichten.

      Wohlhabender als seine Familie in Clayton, wo er geboren, und in Huddersfield und Failsworth, wo er aufgewachsen war, waren Ruth und er mittlerweile allemal. Und auch ein ganzes Stück glücklicher, wie ihm schien.

      Rupert störte es nicht, dass er nach Schließung des Lokals, eine Viertelmeile von ihrem Cottage entfernt, allnächtlich noch einen kleinen Bummel absolvieren musste, bevor er endlich alle viere von sich strecken und sich ausruhen konnte. Dieser kurze Spaziergang, auch an kalten, sternenklaren Winterabenden, zwischen verrauchter Bude und trautem Heim tat ihm gut, half ihm, seine Gedanken zu ordnen. Schuf Abstand zwischen dem Geplänkel im Pub und der ersehnten Nachtruhe, Seite an Seite mit Ruth.

      Aus den armen Kämpfern, aus dem Lieferanten und der Hilfskrämerin war ein zufriedenes Ehepaar geworden, das sich seinen Wohlstand hart erarbeitet hatte. Ziemlich weit hatten sie, der ehemalige Fahrer und die ehemalige Verkäuferin, es gebracht. Eine ansehnliche Laufbahn absolviert.

      Nicht dass sie über die Stränge schlugen. Eine Woche Brighton oder ein paar Tage Blackpool pro Jahr, ein Wochenendausflug nach Birmingham, ein Kurztrip zur Hadrian’s Wall lagen im Bereich des Möglichen. Wenn ihnen Pub und Henkergeschäft überhaupt Zeit dafür ließen.

      Sie waren es zufrieden – denn mit den Hinrichtungen allein wurde man weiß Gott nicht reich. Henker waren keine Beamte, ein Grundgehalt gab es nicht, und bezahlt wurde, neben Spesen, allein die erfolgte Hinrichtung: als Einzelleistung. Nicht mehr als ein Zubrot sprang dabei heraus. Eine Aufwandsentschädigung, wenn man so wollte. Eine Besoldung war auch für die besten unter den Scharfrichtern nicht vorgesehen.

      Es

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