Der Fall Gloriosa. Johannes Wilkes
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»Schon was Verwertbares gefunden?«, fragte Mütze den Oberspurensicherer, einen fülligen Mann namens Wullkopf, der in seinem Ganzkörperanzug aussah wie ein zu groß geratener Bruder des Sams.
»Ich wünschte, alle Wohnungen wären so aufgeräumt wie diese«, scherzte Wullkopf. Dann zog er aus einer Schublade eine runde Blechdose mit dem Aufdruck Cottbuser Buttergebäck hervor und öffnete scheppernd den Deckel.
Mütze pfiff durch die Zähne: »Nicht schlecht, Herr Specht!«
»Über 80.000 Piepen! Mehr als 160.000 Mark!« Braunkärsch hatte die Angewohnheit beibehalten, alle Geldbeträge umzurechnen, als wäre die Währungsreform spurlos an ihm vorübergegangen. »Überleg doch mal, Sternberg war ein einfacher Stadtgärtner. Woher hatte er die Knete?«
Die beiden Kommissare hatten einen Kaffeestopp eingelegt und standen am Bistrotisch einer Bäckereifiliale nahe der Hauptpost, gleich ums Eck von Sternbergs Wohnung. Ein Käffchen war schon okay, gegen ein erstes Bierchen und eine Bratwurst hätte Mütze jedoch gleichfalls nichts einzuwenden gehabt. »Ich muss sehen, wie ich meinen Fleischbedarf stille«, pflegte er zu scherzen. Je älter Karl-Dieter wurde, desto vegetarischer kochte er. Wenn das so weiterging, wucherte bald nur noch Grünzeug auf ihren Tellern. Das Lamm heute war eine echte Ausnahme gewesen. Weil Ostern war.
»Die meisten Scheine sahen ziemlich verwuselt aus, das Geld hat sich Sternberg nicht frisch aus dem Automaten gezapft, das hat er sich mühsam zusammengespart.«
»Magst recht haben«, sagte Braunkärsch, »dennoch, als Gärtner! Was wird er schon verdient haben? Und selbst wenn er sich das Geld von den Rippen abgespart hat, warum hat er die Scheine nicht zur Bank getragen?«
»Wozu? Seit die Zinsen verdraghisiert sind, kriegst du doch keinen Cent mehr.«
»Dennoch, 80.000 Euro! Die verwahrt man nicht in einer Keksdose auf.«
»Ich weiß nicht, was du meinst. Die Dose war doch recht hübsch. Oder hast du was gegen die Stadtansicht von Cottbus?«
»Willst du mich verkackeiern?«
»Quatsch, Braunkärsch, im Ernst, du hast natürlich recht, hast ja immer recht. Keksdosen taugen vielleicht für die Skatkasse, nicht aber für 80.000 Euro.«
»Eben. Wenn es der Täter aber auf die Knete abgesehen hatte, warum ist dann alles noch an Ort und Stelle?«
Mütze sah Braunkärsch an und in seinen Augen blitzte es: »Vielleicht, weil er ohnehin alles erbt.«
»Dafür der Aufwand mit der Glocke?«
»Das ist ja das Raffinierte! Er will uns in die Irre führen, aber nicht mit uns!«
Notar Michael von Gleichen war ein höchst bedächtiger Mann. Nur weil zwei Kommissare an seiner Haustür standen, die Auskunft von ihm verlangten, fing er nicht gleich an zu springen. Das war ja gerade das Erfolgsgeheimnis des deutschen Notarwesens, seine ausgesprochen geringe Sprungfreudigkeit. Beim Notar ging alles seinen geordneten Gang, man arbeitete mit Terminen und Fristen, jede Form von Spontaneität war dem Notar fremd, ja suspekt. Mindestens ebenso wichtig wie die Einhaltung formaler Ordnungen aber war dem deutschen Notar die Verschwiegenheit. Bloß weil er im Telefonbuch eines Mordopfers auftauchte, musste er doch nicht in beruflicher Verbindung mit dem Mann stehen. Von Gleichens Empörung speiste sich vor allem aus dem Faktum, dass man sich erdreistete, ihn privat aufzusuchen. Bei dienstlichen Angelegenheiten, und um eine solche handelte es sich zweifelsohne, war er es gewohnt, dass alles über sein Vorzimmer lief. Wie Wasser, das über mehrere Reinigungsstufen geklärt wurde, so wurde jeder Vorgang zunächst durch seine Damen (er sprach immer von seinen Damen, wenn er seine Angestellten meinte) vorbereitet, aufgearbeitet und in eine bekömmliche Form gebracht. Erst dann beschäftigte er sich selbst mit der Sache. Einfach so überfallen zu werden, an der Haustür seines privaten Anwesens, ohne jede Vorankündigung, war ziemlich ungeheuerlich. Noch dazu am Ostersonntag. Nicht, dass er sich in seinem religiösen Empfinden gestört hätte, jedes religiöse Empfinden war von Gleichen fremd, gerne bezeichnete er sich als Freigeist. Ein Feiertag aber war nun mal ein Feiertag.
»Hören Sie, Herr von Gleichen, wir stören wirklich nur ungern, aber wir ermitteln in einem Mordfall. Wer ist der Erbe von Adam Sternberg?«
Der Notar hatte dankend abgelehnt, in den Manta zu steigen. Wenn man ihn schon nötigte, an einem Feiertag in seine Kanzlei zu fahren, dann nahm er selbstverständlich sein eigenes Auto, einen schwarzen Porsche 911. Sein Sohn, der soeben sein zweites Studium abgebrochen hatte, um sich in Ruhe einem dritten widmen zu können, hatte ihn naserümpfend gefragt, wie man sich in der heutigen Zeit nur eine solche Kiste (er hatte tatsächlich »Kiste« gesagt) kaufen könne. Ob er nichts von der Klimakatastrophe gehört habe. So ein Rotzlöffel! »Mit dem Kauf eines Porsches leiste ich meinen Teil gegen die Wegwerfgesellschaft«, hatte von Gleichen seinen Sohn zurechtgewiesen. Kein Auto, das werthaltiger sei. Ein Porsche würde nämlich niemals verschrottet und fände nach 50 Jahren noch seinen Liebhaber. Aber so war die Jugend. Wusste alles besser. Wenn man jedoch einer neuen Freundin imponieren wollte, spielte das Klima plötzlich keine Rolle mehr, dann war Papas Porsche plötzlich genau der richtige Schlitten.
Von Gleichens Notariat befand sich im ersten Stock eines grün gestrichenen Altbaus am Fischmarkt, oberhalb eines italienischen Restaurants, in dem von Gleichen gerne zu Mittag speiste. Wenn er aus seinem stuckverzierten Arbeitszimmer schaute, fiel sein Blick auf den neogotischen Bau des Rathauses und auf die prächtigen Häuser zum Roten Ochsen und zur Güldenen Krone, Renaissancekunst vom Feinsten. Noch reicher verziert war die Fassade des Hauses zum Breiten Herd, ein Anblick, der von Gleichen stets einen schmerzlichen Stich versetzte. Wie gerne wäre er mit seinem Notariat dort eingezogen, ein Konkurrent aber war schneller gewesen. Doch auch seine Räumlichkeiten brauchten sich nicht zu verstecken und sie besaßen den Vorteil, dass man von ihnen die Renaissancefassade des Breiten Herds bewundern konnte, was vom Breiten Herd aus natürlich nicht möglich war. Von Gleichen hatte das Notariat unmittelbar nach der Wende bezogen, zum bestmöglichen Zeitpunkt. Erfurt als Landeshauptstadt boomte, Immobilien wanderten hin und her, schnell war er zu Geld gekommen und seit sich seine Frau darum kümmerte, seine Damen auszuwählen, lief das Notariat wie auf Schienen. Ein dummer Fehltritt, viele Jahre her und zum Glück schon fast vergessen, hatte den Ausschlag gegeben, dass seine Frau von einem Tag auf den anderen die Einstellungsgespräche übernommen hatte. Sie hatte das Notariat an einem Sonntag aufgesucht, um Kopien für einen Benefiznachmittag ihres rotarischen Inner-Wheel-Circles zu machen, als sie im Auswurfschacht des Kopierers den nackten Hintern von Susi gefunden hatte, seiner jungen Chefsekretärin, die ihn am Freitag zuvor, nachdem alle gegangen waren, noch zu einem Quickie verführt hatte. Blöderweise muss von ihnen beiden unbemerkt der Kopierer angesprungen sein, was das Ende ihrer Arbeitsbeziehung bedeutet hatte.
Aufgrund der fantastischen Ordnung, die mit der neuen Personalpolitik Einzug gehalten hatte, fand der Notar Sternbergs Testament auch ohne bürokommunikative Hilfe. Ganz wie er es gewohnt war, händigte er das Dokument jedoch nicht aus, sondern begann, es vorzulesen: »Hiermit bestimme ich, Adam Sternberg, im Falle meines Ablebens, Herrn Kevin Wieland, geboren am 17. April 1996 in Weimar, derzeit wohnhaft im Pegasusweg 32 in Erfurt-Bindersleben, zu meinem alleinigen Erben. Erfurt, den 8. August 2018, gezeichnet Adam Sternberg.«
Bindersleben