Der Fall Gloriosa. Johannes Wilkes

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Der Fall Gloriosa - Johannes Wilkes

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und rechts waren zwei große Schwungräder zu sehen, mit deren Hilfe die Glocke in Gang gesetzt wurde. Durch die Fensteröffnungen sah man auf das Dächermeer von Erfurt hinab und weiter zu den blauen Höhen des Thüringer Waldes, auf dessen höchsten Gipfeln noch der Schnee glitzerte. Den Tatortreiniger hatte man offensichtlich auf die Schnelle nicht von der Ostereiersuche loseisen können, überall klebte noch das angetrocknete Blut. Schwer atmend sank der Glockenwart in die Hocke, während sich Mütze niederkniete, um das Innere der Glocke zu inspizieren.

      »Warten Sie, ich mach Licht«, sagte der Glockenwart und drückte einen versteckten Knopf. Aus einem nach oben gerichteten Scheinwerfer flutete es hell in die Glocke hinein.

      »Danke!«, sagte Mütze.

      Die beiden Kommissare betrachteten die Aufhängung des Klöppels genauer. Um einen Strick darum legen zu können, musste man entweder am Klöppel hinaufklettern, was unwahrscheinlich erschien, oder einen Stuhl benutzen. Ein vergleichbarer Gegenstand kam natürlich auch infrage.

      »Nur ein Riese käme aus dem Stand an die Aufhängung heran«, sagte Braunkärsch und blickte sich um. »Was ist mit dem Ding da vorne?«

      Unter einem Balken stand eine verstaubte Holzkiste mit dem Aufdruck Leihverpackung DGS.

      »Manchmal will ein Kind aus der Besuchergruppe den Klöppel anfassen«, sagte der Glockenwart, »dann ziehen wir die Kiste heran.«

      Mütze pfiff durch die Zähne. Er schob die Kiste mit dem Fuß unter die Gloriosa und stellte sich darauf. Aus dem Inneren der Glocke dröhnte seine Stimme auf unheimliche Weise.

      »Der Täter schlägt Sternberg nieder, bindet dessen Füße mit einem Strick zusammen, steigt auf die Kiste, fädelt den Strick durch die Öse, steigt vom Hocker wieder herunter und zieht sein bewusstloses Opfer langsam hinauf, bis sich dessen Kopf genau auf der Höhe der Klöppelverdickung befindet.«

      »Dem Ballen«, korrigierte der Glockenwart.

      »Dem was?«

      »Dem Klöppelballen. So nennt man das, was Sie Verdickung nennen.«

      »Okay. Dann steigt der Täter erneut auf den Hocker und bindet den Strick oben zusammen«, ergänzte Braunkärsch.

      »Und muss nur noch darauf warten, dass die Gloriosa zu schwingen beginnt, exakt um 10.45 Uhr, eine Viertelstunde vor Beginn des Ostergottesdienstes.«

      »So wie es in der Zeitung wie üblich angekündigt worden ist.«

      »Entschuldigen Sie, wenn ich mich erneut einmische«, sagte der Glockenwart, »aber die Gloriosa hat bereits vorher zu schwingen begonnen. Exakt um 10.42 Uhr und 30 Sekunden habe ich unten auf den Knopf gedrückt.«

      Mütze sprang von der Kiste herab und sah den Glockenwart mit großen Augen an.

      »Es dauert«, sagte Udo Binge. »Was meinen Sie, welchen Anlauf solch eine Glocke benötigt, bis sie auf den Klöppel trifft? Bei kleineren Glocken geht das Läuten natürlich viel schneller, bei der Gloriosa aber dauert es exakt zweieinhalb Minuten, bis ihr erster Ton erschallt.«

      »Das heißt, auch der Mann in der Glocke wurde zweieinhalb Minuten hin und her geschaukelt, bis ihn die Gloriosa traf?«

      »Nein, nein, umgekehrt. Der Klöppel bewegt sich ja nicht, also nicht aktiv, die Glocke schwingt und trifft dann, wenn sie genug Schwung aufgenommen hat, auf den Klöppel. Aber das dauert eben seine Zeit, zweieinhalb Minuten.«

      »Okay, verstehe«, sagte Mütze, »es kann also sein, dass das Opfer von dem einsetzenden Schwingen nichts mitbekommen hat, bis ihn die Glocke mit voller Wucht gegen den Kopf traf.«

      »Mit voller Wucht nicht unbedingt, wie gesagt, sie schwingt sich ja zunächst ein«, sagte der Glockenwart, »auch hängt vieles davon ab, wo genau sich sein Kopf befunden hat. Vielleicht hat die Glocke zunächst auch den Klöppel getroffen, weil der Kopf des Mannes in dessen Schatten lag.«

      Mütze trat vor, zog Einmalhandschuhe über und umfasste den Klöppelballen mit beiden Händen.

      »Wie schwer ist der Klöppel?«

      »Genau 366 Kilogramm.«

      »Okay. Dann dürfte das auf das Gleiche hinauslaufen«, sagte Mütze, »jedenfalls ist Sternberg nicht gleich tot gewesen, ist aufgewacht und hat sich zu wehren versucht.«

      Er musste an die zerquetschten Hände des Toten denken und was ihm der Professor dazu gesagt hatte. Mütze packte den Klöppel mit beiden Händen und stemmte sich dagegen, sodass das blutverschmierte Eisen leicht zu schwingen begann. Was würde er selbst machen, wenn man ihn in die Glocke hängen würde? Vielleicht nach dem Klöppel greifen und versuchen, sich an ihm hochzuziehen? Konnte das gelingen? Zumindest war es einen Versuch wert, sich vom Klöppel in die entgegengesetzte Richtung abzustoßen, wenn die Glocke auf einen zukam. Der Todeskampf jedenfalls wird sich hingezogen haben.

      »Haben Sie denn niemanden schreien gehört?«

      »Schreien gehört? Wenn die Gloriosa läutet?« Der Glockenwart schüttelte verständnislos den Kopf.

      Mütze verstand. Sein Blick fiel auf den Boden, wo noch das Muster der Blutspuren zu sehen war, Schlingen und Schleifen wie gemalt. Die Nelke war nicht mehr zu sehen.

      Es war schon gegen zehn, als Wullkopf, der Chef der Spurensicherung, im Kommissariat eintraf. Mütze sprang auf und bot ihm einen Stuhl an. Auch Braunkärsch und das Brot saßen mit am Tisch. Wullkopf setzte sich dankend. Viel hatte er nicht zu berichten.

      »Alle Blutspuren, die wir bislang untersucht haben, stammen eindeutig von Sternberg. Auch die Haarpartikel am Klöppel und an den Rändern der Gloriosa sind dem Opfer zuzuordnen. Den Strick untersuchen wir noch auf Anhaftungen, bislang negativ. Fingerabdrücke an der Tür zum Turm haben wir genügend gefunden, der Abgleich mit der Datenbank ergab keinen Treffer, vielleicht haben wir es mit einem neuen Kunden zu tun.«

      Mütze verzog die Mundwinkel. Dass man Fingerabdrücke an der Tür gefunden hatte, hieß überhaupt nichts. Wer wird die Klinke nicht alles in die Hand genommen haben? Hunderte von Touristen besuchten den Glockenturm jeden Tag, das hatte ihnen der Glockenwart erzählt.

      »Was ist mit der Nelke?«

      »Gehörte dem Toten. Hatte er in einem Knopfloch getragen, winzige Pflanzenfasern am Anzug stimmen mit der Nelke überein.«

      Der schnieke Anzug, die Nelke. Alles sprach dafür, dass sich Sternberg zu einem Rendezvous verabredet hatte. Das Treffen muss eine Falle gewesen sein. Diejenige Person, die sich mit ihm verabredet hatte, musste mit dem Mörder identisch sein oder doch zumindest mit ihm unter einer Decke stecken. Dass man Sternberg auf dem Weg zu seiner Verabredung abgepasst und auf den Turm gelockt hat, war nahezu auszuschließen.

      »Sonst hätte sich die Dame seines Herzens doch sicher Sorgen gemacht und sich an uns gewandt«, sagte Braunkärsch.

      »Kann sein, muss nicht sein«, gab Mütze zu bedenken, »wie viele Damen müssen sich damit abfinden, sitzen gelassen zu werden? Wenn jede von ihnen zu uns rennen würde, hätten wir viel zu tun.«

      »Mensch, Mütze. Du ein Frauenversteher?«

      »Kannste mal sehen. Im Ernst, morgen steht Sternbergs Name in allen Zeitungen, dann werden wir ja mitbekommen, ob sich jemand meldet, der sich die Augen ausgeweint hat.«

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