Das Geheimnis der Fischerin vom Bodensee. Erich Schütz
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»Du kasch die Tourischte verseckle, aber was sagt deine Gerdi dazu?«, provoziert ihn Hanspeter, der in Max’ Band Posaune spielt. Natürlich weiß Hanspeter, der von seinen Freunden wegen seines runden Schädels mit seinen auffallend großen Glubschaugen und dicken Lippen nur Karpfen genannt wird, von der speziellen Beziehung der beiden.
Gerdi Ellegast ist zwar fast doppelt so alt wie Max, aber immer noch äußerst attraktiv. Schließlich galt sie vor 20 Jahren, als sie Martin Ellegast geheiratet hatte, als die Miss Bodensee. Mit blonden Zöpfen, blauen Augen und rot geschminkten Lippen wurde sie als »Die Fischerin vom Bodensee« als die Botschafterin der Bodensee-Berufsfischer deutschlandweit bekannt.
Bis heute hat sie ihre beeindruckend schlanke Figur behalten. Die wenigen Falten, die sich in ihr mädchenhaftes Gesicht geschlichen haben, machen sie nur noch interessanter. Selbst die angegrauten Strähnen in ihrem Blond, der nun halblangen Haare mit modernem Pagenschnitt, harmonieren wie absichtlich eingefärbt.
Max war ein kleiner Steppke, als Gerdi als »Die Fischerin vom Bodensee« bekannt wurde. Er wohnte mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern in deren bescheidenem Seehaus, neben dem Fischerhaus Gerdis, unterhalb der berühmten Wallfahrtskirche Birnau. Er war der Jüngste und blieb in dem Haus seiner Eltern, auch als seine Brüder längst studieren waren. Gerdi war für ihn wie seine große Schwester. Ihr Großvater hatte sich seiner Enkeltochter angenommen, nachdem Gerdis Mutter allzu früh gestorben und der Papa verschollen war.
Max half als kleiner Knirps seiner Nachbarin, wenn sie auf den See hinausfuhr, um ihre Netze einzuholen. Als Gerdi nach ihrer Hochzeit zu den vornehmen Ellegasts nach Meersburg zog, blieb er natürlich bei seinen Eltern zurück und verlor Gerdi aus den Augen.
Doch seit sie vor ein paar Wochen wieder in das Fischerhaus ihres Großvaters eingezogen ist, sind die alten Sympathien wieder aufgeflammt. Seither ist Max wieder öfters bei der Nachbarin zu sehen, und so blühen die Spekulationen der Tratschmäuler.
»Wo habt ihr die Felchen denn her?«, bohrt Hanspeter provozierend weiter, »und auch Zander gibt es doch fast keinen mehr im See.«
»Vielleicht, weil der Ellegast sie alle gefangen hat«, weicht Max aus, lacht über seinen eigenen Witz und lässt seinen Musikerkollegen einfach stehen. Ihm ist es nicht danach, das leidige Thema Felchen lauthals vor den Gästen zu diskutieren. Peter Ochsner hat nun mal eine andere Meinung als er und als Gerdi erst recht.
Seit Monaten redet Gerdi über nichts anderes mehr als über die Pläne ihres Mannes, oder eben Ex, mehrere Felchenzuchtgehege im Bodensee zu installieren. »Ich bin Fischerin und ich will Wildfische in unserem See fangen!«, ist ihr Credo, »und die Gäste am See wollen auch nur ein Felchen, das frei und wild durch den See schwimmt und keines aus der Gefangenschaft aus einem Gehege.« Ein Fischzuchtgehege zerstört für sie das von Gott gegebene natürliche Gleichgewicht im See.
Doch nicht nur ihr Mann, Martin Ellegast, hält an den Gehegeplänen fest, auch einige Großgastronomen wie Peter Ochsner. Für sie ist klar: »Die Gäste kommen an den See gefahren und wollen Bodenseefisch essen! Also müssen wir ihn servieren. Scheißegal, auch wenn das Felchen1 aus einer Aquakultur stammt!«
Ochsner hat Ellegast von Anfang an zugesagt, Bodenseefelchen aus seinem Gehege zu kaufen und seinen Gästen zu servieren. »Wo ist das Problem?«, schiebt er alle Einwände beiseite, »dabei ändert sich weder für uns noch für unsere Gäste rein gar nichts«, argumentiert er. »Wir bleiben ehrlich und servieren Bodenseefelchen, das wollen doch alle, dann ist alles wieder gut! Wichtig ist nur, wir bekommen genügend Felchen geliefert, die wirklich aus unserem See stammen!«
Ehrliche Gastronomen haben schon den ganzen Juni über nur noch selten Felchen auf ihrer Speisekarte stehen. Es ist wie verhext, aber auch Gerdi zieht jeden Morgen ihre Netze aus dem See und könnte weinen. Saiblinge und Kretzer, sogar auch den seltenen Zander oder einen großen Wels bringt sie mit nach Hause, aber leider keine Felchen. Dabei haben sich die Gäste gerade auf diesen verfluchten Fisch fokussiert. Doch die Fangquoten von Felchen bleiben mau und liegen seit Jahren weit unter der Menge der Nachfrage.
Vor allem Blaufelchen, die kräftig und gesund den ganzen See durchschwimmen, gelten als eine Besonderheit, wie sie nur in wenigen Gewässern der Welt zu finden sind. Sie bieten für die Bodenseefischer ein Alleinstellungsmerkmal! In den 1990er-Jahren haben Fischzüchter versucht, das Blaufelchen in bayerischen Seen anzusiedeln, es hat einfach nicht funktioniert. Dies beweist für die Bodenseefischer erst recht die hohe Wertigkeit ihrer wilden Blaufelchen.
»Ob Blau,- Sand- oder sonst was für -felchen, das ist mir doch scheißegal!«, sagt Peter Ochsner dagegen, »meine Gäste verlangen nach Bodenseefelchen, also bringst du sie mir gefälligst, egal woher und ob blau oder grau«, gab Ochsner Ellegast schon vor Jahren einen Freischein. »Auf meiner Speisekarte steht auch täglich Reichenauer Salat. Für die Menge, die ich verkaufe, müsste die Salatinsel eine Fläche haben größer als der ganze Bodensee.«
Der stete Mangel an Bodenseefelchen heizt die Diskussion um die Felchengehege jährlich erneut an. Alljährlich, wie die Herbsttürme, fegen neue Gutachten und Argumente für und wider die Gehege um den See. Immer wieder neue Nachrichten wirken wie kräftige Böen aus den verschiedensten Himmelsrichtungen. Einem Wirbelsturm gleich sorgt nun der öffentlich gemachte Streit zwischen den Mitgliedern der Familie Ellegast für neue Spekulationen.
Als bekannt wurde, dass Gerdi Ellegast sich den Gehegeplänen ihres Mannes widersetzt, versammelten sich die Berufsfischer mit ihrem Widerstand gegen die Gehege hinter ihr. Jetzt ist die zuerst nur umweltpolitische Diskussion zum Thema »Tierwohl« plötzlich ein tierischer Stoff mit familiären Spitzen und Zutaten für jeden Tratsch und Klatsch.
Überlingen ist eine Kleinstadt. Viele Seeanwohner erinnern sich noch an das Werben des jungen Ellegast aus Meersburg um die schöne Gerdi Gassel in dem Fischerhaus am Rande ihrer beschaulichen Kurstadt, hinter dem Ortsteil Nussdorf. Danach gab es eine große und bombastische Hochzeit auf der Weißen Flotte.
»Dass diese Ehe überhaupt 20 Jahre lang gut ging«, ist jetzt plötzlich das Thema der bösen Lästermäuler. »Der fleißige und erfolgreiche Ellegast und die arrogante Gassel aus dem kleinen Fischerhäuschen«, urteilen sie. »Kinder kitten Ehen«, wissen andere. Aber schon macht sich das nächste Gerücht breit: Auch Töchterchen Lena ist ausgezogen und wohnt nicht mehr bei Papa Ellegast.
Der eheliche Streit wegen des Felchengeheges ist längst zum offiziellen Politikum geworden. Das Thema »Bodenseefischer kontra Ellegast« spitzt sich zum Klatschthema »Ellegast gegen Ellegast« zu.
Ausgang offen.
1 Felchen, der; -s, (ein Fisch) – schreibt Konrad Duden. Aber für
ihn kommt der Seefisch auch aus dem Meer. Meine Lektorin,
Claudia Senghaas, und ich, haben uns bewusst für die Bodensee-
Umgangssprache entschieden. Demnach heißt es das Felchen und ist ein
Seefisch aus dem Bodensee! – Bei Butter geben wir uns geschlagen und
lassen die Fischerin vom Bodensee ihrem Mann die Butter reichen.
2.
Eine schwere Kette verhindert, dass Max die Metallklappe des großen Müllcontainers aufschieben kann. Es ist