Ein neuer Anfang für die Liebe. Susan Anne Mason
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Das musste sie herausfinden!
Vorsichtig schlich sie sich an die Tür heran und sah heimlich in den Raum hinein. Ein großer Mann lehnte an der Wand und fuhr sich mit den Fingern durchs dunkle Haar.
Dr. Clayborne reichte ihm ein Glas Wasser, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne, als er Julia beim Spionieren entdeckte. „Miss Holloway? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
„N-nein, vielen Dank. Ich wollte nur nachsehen, ob das Zimmer leer ist, damit ich auch hier über den Boden wischen kann“, versuchte sie sich mit heftig pochendem Herzen zu erklären. Sicher erkannte er die Notlüge an der Röte ihrer Wangen.
Ruckartig drückte sich der Fremde von der Wand ab und hob erstaunt die Augenbrauen, als er sie von Kopf bis Fuß musterte. Kurz sah es so aus, als würde er sie von irgendwoher wiedererkennen, doch dann nahmen seine Gesichtszüge einen neutralen Ausdruck an.
Auch Julia starrte ihn an und die Neugierde überstieg ihr Unwohlsein während der Beobachtung. Sie betrachtete sein breites Kreuz, das geschmeidige, dunkle Haar, das ihm in die Stirn fiel, die stechend grauen Augen umsäumt von dichten, dunklen Wimpern. Wenngleich keiner seiner Züge besonders hervorstach, kam er Julia unheimlich bekannt vor. War er einer der Soldaten, die sie im Lazarett betreut hatte?
„Miss Holloway?“, fragte der Mann mit kratziger Stimme. „Julia Holloway?“
„J-ja, das bin ich. Und wer sind Sie?“
„Vermutlich erinnern Sie sich nicht mehr an mich. Mein Name ist Quinten Aspinall.“
Sie runzelte die Stirn. Woher kannte sie diesen Namen?
„Wir haben uns in Brentwood Manor kennengelernt“, schob er nach und kam einen Schritt auf sie zu. Die Blässe seiner Haut unterstrich die strahlend grauen Augen.
Das Anwesen ihres Onkels! Hatte sie diesen Mann auf einer der vielen Bälle kennengelernt? „Ich fürchte, ich kann Sie noch nicht ganz zuordnen, Mr Aspinall. Sind Sie ein Freund meines Onkels?“
Er senkte den Blick. „Ich bin der Kammerdiener Ihres Onkels.“
Die Ehrerbietung in seiner Stimme ließ in Julia Erinnerungen an ihn aufsteigen.
Er war der respektvolle Diener, der sich stets um die Bedürfnisse ihres Onkels gekümmert hatte. Sie hatte ihn immer als einen sehr charakterfesten und überaus treuen Mann erachtet. Ganz davon abgesehen, dass er überaus ansehnlich war – für einen Bediensteten.
„Aber natürlich, Mr Aspinall“, sagte sie und erinnerte sich nun auch an ihre Manieren. Mit einem leichten Knicksen grüßte sie ihn, als ob sie im opulenten Foyer von Brentwood Manor stünden. „Wie schön, Sie wiederzusehen!“
Und wie merkwürdig, einen Bediensteten auf so vertraute Weise zu begrüßen.
Als sie sich wieder aufrichtete, fuhr sie mit der Hand über ihren Rock – und sofort holte sie die Realität ihrer nassen Schürze ein. Das letzte Mal, als sie diesen Mann gesehen hatte, war sie noch ein leichtsinniges junges Mädchen gewesen, das sich bloß darum gesorgt hatte, welches Kleid es zur nächsten Abendgesellschaft tragen sollte. Sie war bei den Londoner Junggesellen heiß begehrt gewesen. Nun war sie jedoch nur noch eine mittellose Arbeiterin, die alte Lumpen trug und Flure schrubbte, um zu überleben. Demütigung überkam sie und nagte heftig an ihr.
Oh, wie tief war sie nur gesunken!
Quinn gab sein Bestes, um den Schock zu verbergen. Die Putzfrau vor ihm wies nicht die kleinste Ähnlichkeit auf mit dem lebhaften Mädchen, an das er sich erinnerte. Keine Spur von den extravaganten Kleidern, funkelnden Juwelen und ausgefallenen Frisuren.
Als er den Blick wandern ließ und die großen Wasserflecken auf ihrer Schürze sowie das schmuddelige Tuch sah, das ihre blonden zum Zopf geflochtenen Haare zusammenhielt, war ihm bei dem Anblick beinahe zum Weinen zumute. Doch am meisten trauerte er über Julias Hände. So rot und rau, mit Fingerknöcheln, die aussahen wie die von einem Berufsboxer nach zwölf Runden im Ring.
Sein Blick blieb nicht unbemerkt und schnell verbarg Julia die Hände in den Schürzentaschen.
Hinter ihm ertönte ein Räuspern und Quinn drehte sich zu Dr. Clayborne um. Beinahe hatte er ihn vergessen.
„Wie es scheint, haben Sie beide sich noch einiges zu erzählen“, unterbrach Dr. Clayborne die beiden. „Ich bin in meinem Büro am Ende des Gangs, wenn Sie noch etwas benötigen, Miss Holloway“, sagte er und warf Quinn einen scharfen Blick zu, der sagte: Wagen Sie es bloß nicht, der Frau irgendwie zu nahe zu treten.
„Danke sehr.“ Sobald Dr. Clayborne das Zimmer verlassen hatte, hob Julia das Kinn auf eine Weise nach vorn, die von ihrer guten Erziehung zeugte. „Warum suchen Sie nach Sam?“, fragte sie.
Quinn sammelte sich, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und konzentrierte sich auf ihre Augen. Braun und leuchtend – das Einzige an ihr, das sich nicht verändert hatte! „Die Wahrheit ist, dass ich nur nach ihm gesucht habe, um Sie zu finden.“
Julias Kinn bebte. „Warum um alles auf der Welt sollten Sie … Oh!“ Mit einem Mal verhärteten sich ihre Gesichtszüge und ihr Blick wurde ausdruckslos. „Mein Onkel hat Sie geschickt, nicht?“
„Das stimmt“, gestand Quinn, denn es zu verleugnen, hätte keinen Sinn ergeben. Früher oder später hätte Julia es ohnehin herausgefunden. Er hoffte nur, dass sie ihm die Möglichkeit gab, sich zu erklären.
„Ich kann nicht glauben, dass er Sie den ganzen weiten Weg bis hierhin geschickt hat. Zu welchem Zweck?“, fragte sie. Dabei fingerte sie am zerfledderten Kragen ihrer Bluse herum und trat einen Schritt zurück, als fürchtete sie, Quinn würde sie mit sich zerren.
Das war ganz und gar nicht, wie Quinn sich diese Unterhaltung vorgestellt hatte. Er brauchte Zeit und die richtigen Worte, um Julia davon zu überzeugen, mit ihm zurück nach England zu kommen. „Gestatten Sie mir, dass ich Sie auf eine Tasse Tee einlade, um Ihnen von dem Grund meiner Reise zu erzählen?“
Nervös biss Julia sich auf die Lippe und ihr Blick wanderte in Richtung der Tür. „Im Moment arbeite ich. Und das noch bis zehn Uhr abends.“
„Ich könnte dann wiederkommen und Sie auf Ihrem Nachhauseweg begleiten.“
„Nein“, erwiderte sie barsch und presste fest die Lippen zusammen. Dann atmete sie tief ein und erklärte mit fester Stimme: „Ich muss Sie nun bitten zu gehen. Sie können meinem Onkel berichten, dass Sie mich gesehen haben und es mir gut geht. Das ist alles, was er wissen muss. Einen guten Tag noch, Sir“, sagte sie und eilte aus dem Raum.
Mir gerunzelter Stirn folgte Quinn ihr. „Es gibt noch anderes, worüber ich gern mit Ihnen reden würde. Wo wohnen Sie, Miss Holloway?“
„Das geht Sie nichts an“, sagte sie und suchte in der gräulichen Flüssigkeit des gusseisernen Eimers nach der Bürste. „Mein Onkel Howard hat sehr deutlich gemacht, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben möchte, als ich dabei