Unheimlich. Ursula Isbel-Dotzler
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Wir fuhren an einer Reihe kleiner roter Holzhäuser vorbei. In das Knattern der Mopeds mischte sich das Geschrei badender Kinder und das Kreischen der Möwen. Zwischen den Klippen wuchs hohes Gras, es wehte im Seewind.
Wir bogen in eine kleine Parkbucht ein, in der etwa ein Dutzend Autos standen, und machten halt. Ich war heilfroh, endlich absteigen zu können. Mein Rücken schmerzte, und in den Armen hatte ich fast einen Krampf.
Magnus setzte seine Brille ab. Ich sah, daß er im linken Ohrläppchen einen kleinen goldenen Ring trug. Das gefiel mir. Irgendwie paßte es zu ihm.
Kristin sagte: „Herrje, ich komme mir ganz verstaubt vor. Nichts wie ins Wasser!“
Wir folgten Sten und Magnus zu einer windgeschützten Stelle zwischen Felsen und stellten unsere Umhängekörbe ab. Das Ufer war steinig, das Wasser so klar, daß man bis auf den Grund sehen konnte. In der Ferne fuhr ein Boot mit rosarotem Segel.
„Puh, eine Qualle!“ sagte Kristin und deutete aufs Wasser. „Gibt’s viele hier?“
„Ziemlich viele, aber sie sind nicht gefahrvoll. Sie stechen nicht, meine ich“, erwiderte Magnus. Es war das erstemal, daß er etwas sagte. Seine Stimme war dunkel, und sein Deutsch klang recht holprig, aber gerade das hatte einen besonderen Reiz.
„Sie geben keine ätzende Flüssigkeit ab, meinst du“, sagte Kristin und lachte. „Trotzdem sind sie irgendwie unheimlich. Ich mag nicht mit ihnen in Berührung kommen.“
„Sie sind hübsch“, sagte ich. „So zart, fast wie aus Glas. Wenn sie so im Wasser treiben, sehen sie wie seltsame Blüten aus.“
„Oder wie Raumschiffe“, meinte Magnus. „Wenn sie groß wären, könnte ich mich denken, wie sie als Raumschiffe durch den Universum schweben.“
„Ja, zu den Klängen von Walzermusik – wie im Film 2001!“ rief Kristin.
Wir lachten. Dann verschwanden Kristin und ich hinter einer Klippe, um uns umzuziehen.
„Vielleicht baden sie hier nackt?“ sagte Kristin, während wir in unsere Bikinis schlüpften. „Die Schweden baden gern nackt, weißt du.“
Ich starrte sie an. „Und das sagst du jetzt erst? Du, das wäre mir peinlich. Meinst du, daß die beiden auch…?“
„Hm“, sagte Kristin mit bedenklicher Miene. „Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Die sind aus einem Dorf, da geht’s wohl nicht so frei zu.“
Ich war sehr beruhigt, als wir wieder hinter der Klippe hervorkamen und feststellten, daß Sten und Magnus Badehosen trugen und daß auch sonst niemand nackt herumhüpfte. Die beiden waren braungebrannt und ziemlich knochig. Wir wateten ins seichte Wasser. Es war verteufelt kalt, und die Steine bohrten sich in meine Fußsohlen.
Kristin und Sten gingen voraus. Ich hörte, wie sie sich auf schwedisch unterhielten. Ich stakste in einigem Abstand hinter Magnus her und verbiß mir einen Aufschrei, als ich auf einen besonders spitzen Stein trat. Da wandte er sich zu mir um, sah mich ernst an und sagte: „Die Steiner machen weh, nicht?“
„Ja“, sagte ich. „Furchtbar.“ Und dann begannen wir beide zu lachen, ohne recht zu wissen, warum.
Kristin ließ sich platschend ins Wasser fallen. Sie schwamm mit ein paar Stößen weiter hinaus, ich sah ihre langen, schlanken Beine im klaren Wasser. Auch Sten stürzte sich in die Fluten. Er prustete wie ein Walroß.
„Verdammt mutig sind die!“ sagte Magnus.
Wir blieben nebeneinander stehen und zitterten. „Man muß sich hineinstürzen“, erklärte Magnus. „Sonst kehrt man um. Oder man verfriert.“
Er sagte das so komisch, daß ich wieder lachen mußte. Wie auf Kommando ließen wir uns vornüber ins Wasser fallen und begannen zu schwimmen.
„Saukalt!“ schrie ich, und Magnus sah mich an und fragte erstaunt: „Sagt man das? Saukalt?“
Kristin rief über die Schulter: „Ist das nicht phantastisch? Einsame Spitze – so ein klares Wasser! Igitt, eine Qualle!“
Sie warf sich herum und schwamm in wilder Flucht nach rechts. Sten kraulte hinterdrein. „Vorsicht! Die Quallen greifen an!“ brüllte er. „Ein ganzer Armee nähert sich von Dänemark!“
Kristin kreischte laut. Sie begann ihn mit Wasser zu bespritzen, und die beiden veranstalteten eine Wasserschlacht. Magnus und ich hielten uns in sicherer Entfernung von den beiden. Wir blinzelten in die Sonne, sahen den Segelschiffen zu, wechselten ab und zu einen Blick oder ein Lächeln. Es war, als würden wir uns schon seit Jahren kennen und nicht erst seit weniger als zwei Stunden.
Später lagen wir zu viert auf der Klippe und sonnten uns. Eine Weile schwiegen wir, doch es war kein unbehagliches Schweigen. Manchmal öffnete ich die Augen und sah träge aufs Meer hinaus oder verfolgte mit den Blicken die Möwen, die in wunderbarer Anmut über dem Wasser schwebten und sich vom Wind tragen ließen.
Plötzlich sagte Magnus: „Ihr wohnt in das alte Pfarrhaus, wie?“
Kristin nickte. „Ja, bei meinem Vater. Ich weiß wirklich nicht, warum er sich das Haus gekauft hat. Es ist so einsam da. Brrr!“ Und sie schüttelte sich.
Magnus machte ein nachdenkliches Gesicht. „In Lilletorp sagen die Menschen, daß es in das Pfarrhaus…“ Er stockte. „Wie heißt das doch, Sten? Spöker?“
„Spuken“, sagte Sten. „Sie sagen, daß es ins Pfarrhaus spukt. Die alte Frauen erzählen sich das, ja. Und die alte Männer. Das Haus hat deshalb auch viele Jahre leer gestanden, bis dein Vater es gekäuft hat.“
„Gekauft“, verbesserte Kristin. „So ist das also! Da siehst du’s mal, Frankie!“ Und sie warf mir einen triumphierenden Blick zu.
Ich hob den Kopf. Die friedliche Stimmung war zerstört. Spuk! Die Geräusche fielen mir ein, die ich in der ersten Nacht im Pfarrhaus gehört hatte. Dieses Schleifen…
Obwohl die Sonne so warm schien, lief mir ein Schauder über den Rücken.
„Du hast ja eine Gänsehaut!“ sagte Magnus. „Bist du ängstlich vor Spukerei?“
Ich erwiderte: „Nein.“ Aber es klang nicht sehr überzeugend.
„Was soll denn das für ein Spuk sein?“ fragte Kristin begierig. „Geht ein Gespenst um? Eine ruhelose Seele oder so?“
„Ich weiß selber nicht so genau“, sagte Magnus. „Du sollst meine Großmutter fragen. Die hat mich oft davon erzählt, als ich klein war. Da ist mal etwas geschehen, vor hundert oder zweihundert Jahr. Ein böser Pastor hat seine Frau geplagt, glaube ich.“
„Ja“, bestätigte Sten. „Jetzt weiß ich es auch wieder. Ein alte Tante von mir hat früher manchmal davon gesprochen. Da soll ein Pastor gewesen sein, wo war sehr grausam zu sein Ehefrau. Er hat sie so gequält, daß sie… Wie sagt man doch gleich? Sie hat Selbstmord gemacht. Ein kleines Kind hatte sie auch. Das soll sie vorher noch getötet haben, aber sein Leiche hat nie jemand gefunden.“