Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Ihr Wort in Gottes Ohr!«, rief Elfriede ihm krächzend nach, ehe er das Intensivzimmer verließ.
Bei Lammers’ Anblick verschwand das Lächeln von seinen Lippen. Bevor er den Kollegen eintreten ließ, nahm er ihn sich zur Brust.
»Nur zu Ihrer Information: Ich habe Ihre Mutter gefragt, ob sie sich weiter von mir behandeln lassen will.«
Volker musterte seinen Chef aus schmalen Augen.
»Lassen Sie mich raten: Sie haben Sie ein weiteres Mal herum gekriegt.«
Es war nicht leicht, Dr. Norden zu provozieren.
Doch Volker Lammers gelang es schon zum zweiten Mal an diesem Tag.
»Das war gar nicht nötig.« In Daniels Stimme lag eine deutliche Drohung. »Abgesehen davon haben Sie den Bogen heute deutlich überspannt. Wenn Sie nicht augenblicklich zur Vernunft kommen, vergesse ich, warum Sie trotz ihrer menschlichen Defizite immer noch Arzt an dieser Klinik sind.« Mehr gab es nicht zu sagen.
Grußlos wandte sich Dr. Daniel Norden ab und machte sich auf den Weg in sein Büro. Statt sich mit einem Dr. Lammers herumzuschlagen, gab es jede Menge andere sinnstiftendere Dinge zu tun. Zum Beispiel, eine Erklärung für die lebensbedrohliche Krise von Elfriede Lammers zu finden.
*
»Augen zu!« Joshua stand in der Umkleidkabine, seine Mutter in der Ankleide gegenüber.
Paola schloss die Augen.
»Du aber auch!«, verlangte sie, glucksend vor Vergnügen.
»Versprochen.« Um der Versuchung zu widerstehen, legte sie die Handflächen über die Augen. »Auf drei. Eins, zwei …«
Joshua warf einen letzten Blick in den Spiegel. Er erkannte sich selbst nicht wieder. Auf drei schloss er die Augen. Mit einem Ruck zog er den Vorhang zurück.
»Und aufmachen!«
Gleichzeitig öffneten sie die Augen wieder. Einen Moment lang starrten sie sich sprachlos an, ehe sie in wieherndes Gelächter ausbrachen.
»Du bist die hübscheste Gangsterbraut, die ich je gesehen habe«, japste Paola, als sie endlich wieder Luft bekam.
»Und du der attraktivste Clyde aller Zeiten. Ein Glück, dass der echte Clyde nicht mehr unter uns weilt. Er würde dich schon aus Neid erschießen.« Joshua wischte sich die Lachtränen von den Wangen.
Paola rückte den Hut auf ihrem Kopf zurecht, strich die Anzugweste glatt und bot ihrem Sohn den Arm.
»Darf ich bitten, Mylady?«
»Es ist mir eine Ehre.« Formvollendet legte Joshua seine Hand auf ihren Arm, und sie stolzierten im Geschäft auf und ab. Er musste achtgeben, nicht über den Saum des langen, schwarzen Kleides zu stolpern. Die Verkäufer scharten sich um das ungewöhnliche Paar und schossen Fotos mit ihren Handys. Der Auftritt war spektakulär.
Am Ende des Geschäfts angelangt, umarmte Paola ihren Sohn stürmisch.
»Du bist einfach großartig«, machte sie ihrer Begeisterung lautstark Luft. »O Josh, du musst unbedingt mit mir nach Zürich kommen.«
Schlagartig verging Joshua das Lachen. Wie vom Donner gerührt stand er da und starrte seine Mutter an.
»Ist das dein Ernst?« Die tiefe Stimme wollte nicht zur damenhaften Aufmachung passen, und die Umstehenden lachten. Joshua bemerkte es ebenso wenig wie Paola.
»Natürlich ist das mein Ernst!«, versicherte sie überschwänglich. »Ich sorge dafür, dass du erstklassigen Schauspielunterricht bekommst. Ich sehe schon die Schlagzeilen vor mir.« Ihre Hände schlugen eine imaginäre Zeitung auf. »Joshua Wiesenstein tritt in die Fußstapfen seiner legendären Mutter.« Sie ließ die Hände sinken und strahlte ihn an. »Na, wie klingt das?«
Joshuas Augen begannen zu leuchten. Schon sah er sich auf den Bühnen der Welt stehen, Shakespeare, Büchner und Brecht rezitierend. Der frenetische Applaus seines Publikums klang ihm in den Ohren. Er befand sich außerhalb von Raum und Zeit, vergaß die reale Welt um sich herum, dachte weder an seinen Vater noch an seine Freunde oder die Schule.
»Das ist zu schön, um wahr zu sein«, erwiderte er aus tiefstem Herzen.
Nichts anderes hatte Paola erwartet.
Wie jeder neuen Idee, gab sie auch diesem Impuls begeistert nach. Sie schob Joshua zurück in die Umkleidekabine.
»Los, zieh dich um! Wenn du morgen früh mit mir nach Zürich fahren willst, müssen wir noch jede Menge erledigen.«
Mit einem Ruck zog sie den Vorhang zu.
Hastig tauschte er das bodenlange Kleid gegen Jeans und T-Shirt. Schon jetzt freute er sich auf Désis Gesicht, wenn er ihr von dieser tollen Chance erzählte. Wie stolz würde sie auf ihn sein!
*
»Haben Sie eine Erklärung für den Vorfall?«, erkundigte sich Dr. Norden bei dem Anästhesisten Arnold Klaiber.
Der hatte sich gerade einen Kaffee aus der Maschine eingeschenkt. Er nippte an der Tasse und verzog angewidert das Gesicht.
»Warum schaffen wir teure Kreislaufmittel an, wenn sie hier kostenlos herumstehen? Dieses Gebräu hätte Frau Lammers sofort wieder zum Leben erweckt.«
Daniel lächelte pflichtschuldig. Ihm war nicht nach Scherzen zumute.
»Ich werde Ihren Vorschlag bei der nächsten Sitzung vorbringen«, erklärte er und ließ sich auf einen der freien Stühle fallen, die um den Tisch herumstanden. »Aber vorher brauchte ich eine Erklärung, was da vorhin im OP passiert ist.« Er sah Arnold Klaiber fragend an.
»Im ersten Moment habe ich an einen Herzinfarkt gedacht.«
Daniel nickte.
»Das war auch mein Gedanke. Es könnte sich aber auch um eine Lungenembolie gehandelt haben.«
»Auch eine hübsche Idee. Aber beides ist inzwischen ausgeschlossen.« Dr. Klaiber deutete auf eine Mappe auf dem Tisch. »Das EKG ist auffallend unauffällig, genauso wie Blutwerte und Blutgasanalyse.«
Daniel öffnete die Mappe und überflog die Untersuchungsergebnisse.
»Wäre ich Verschwörungstheoretiker, würde mein Verdacht auf den Kollegen Lammers fallen. War er nicht massiv gegen den Eingriff?«, fuhr Klaiber fort.
»Sie denken, er hätte seiner Mutter ein Präparat verabreicht, das in dieser Weise mit dem Narkosemittel reagiert?« Daniel schüttelte den Kopf. »Bei aller Antipathie. Aber so weit würde er nicht gehen. Das traue ich ihm dann doch nicht zu.«
Arnold Klaiber zuckte mit den Schultern und streckte sich nach einem der Kekse auf dem Teller.
»Das fast perfekte Verbrechen.« Mit einem Happen verschwand das Gebäck in seinem Mund.