Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May
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Der vielstimmige Schrei, welcher erschollen war, hatte auch alle übrigen Bewohner des Schlosses herbei gerufen; sie standen am Eingange des Zimmers und richteten ihre entsetzten Blicke auf die blutige Scene. Der Gensdarm hatte seine Fassung nur für einen Augenblick verloren. Er wendete sich zu den Leuten um und fragte:
»Wer unter ihnen hat die persönliche Bedienung der Baronesse?«
»Die Zofe Ella«, antwortete man ihm.
»Wo ist sie?«
»Sie war ja hier! Sie ist – ah, da vorn an der Treppe steht sie!«
Nämlich Ella hatte, sich schaudernd von der Scene abwendend, den Sohn des Schmiedes bemerkt, welcher in das Schloß gekommen war, um sie zu sprechen. Er hatte sie zu gleicher Zeit gesehen und ihr einen Wink gegeben. Sie war zu ihm geeilt.
»Was ist's? Was bringst Du?« hatte sie ihn gefragt.
»Eine schlimme Nachricht. Die Schmuggler sind überfallen worden. Der Brandt's Gustav ist schuld daran. In der Tannenschlucht liegen mehrere von ihnen todt neben den Waaren, die nun auch verloren sind.«
»Herr Gott! Und mein Bruder? Ist er entkommen?«
»Nein.«
»Gefangen?«
»Auch nicht. Nimm es nicht übel, daß ich Dir so eine Nachricht bringe.«
»So ist er wohl gar todt?«
»Ja. Er liegt erschossen im Walde. Er lag auf dem Wege; ich und der Vater fanden ihn, und da haben wir ihn in dem Dickicht versteckt, damit man nicht erfahren soll, daß er als Schmuggler gestorben ist. An dem Allen ist nur dieser Brandt schuld!«
Sie antwortete nicht. Sie war keine übermäßig zärtlich und empfindsam angelegte Natur, aber der Schreck hatte sie doch ergriffen. Da hörte sie, daß der Gensdarm sie zu sich rief.
»Ja, der Brandt ist schuld!« raunte sie dem Schmiedesohn zu. »Er soll es büßen. Ich muß fort. Der Baron ist ermordet worden. So bald ich kann, komme ich zu Euch, da sollt Ihr mir erzählen.«
Sie eilte fort, und auch er ging, von der neuen Kunde ganz betroffen. Das war ja ein wahres Morden jetzt in diesem kleinen Helfenstein!
»Kann der Schlüssel, welcher hier steckt, nicht auch ein Anderer sein und hier nur zufällig schließen?« wurde Ella von dem Gensdarm gefragt.
»Das ist möglich«, antwortete sie. »Aber er ist noch ganz neu. Der vorige war zerbrochen, und der Schmied hat einen neuen machen müssen; er wird ihn kennen. Ah, sein Sohn war soeben hier. Aber er selbst wird auch kommen, da wir zu ihm schickten, um das Schloß öffnen zu lassen.«
»So wird man es ja erfahren. Ihre Herrin ist ohnmächtig. Schaffen Sie dieselbe nach Ihrem Zimmer. Aber nur so viel Personen, als dazu nöthig sind, dürfen hier eintreten.«
Alma wurde fortgeschafft; dann schloß der Gensdarm zu. Er wollte sich sofort zu Brandt begeben, um diesen auszufragen; aber er überlegte sich, daß es doch vielleicht gerathen sei, diesem noch nichts wissen zu lassen.
Nach einer Weile stellte sich der Schmied mit seinem Handwerkszeuge ein; das letztere war nicht mehr nothwendig, aber als der Gensdarm ihm den Schlüssel zeigte, recognoscirte er denselben ganz genau als denjenigen, welchen er vor kurzer Zeit für den Baron gemacht hatte. Der Beamte erklärte ihm, daß er hier zu bleiben habe, um als Zeuge zu dienen.
Jetzt begannen sich einige Herrschaften einzustellen, welche zur beabsichtigten Jagd geladen waren. Als sie erfuhren, was geschehen war, fuhren sie sofort wieder ab. Aus dem beabsichtigten Vergnügen konnte nichts werden, und ihre Anwesenheit hätte doch nur gestört, ohne ihnen den geringsten Nutzen zu bringen.
Bald traf auch die gerichtliche Commission ein, welcher der Bezirksarzt beigegeben war. Der Gensdarm machte seine Meldung und brachte dadurch nicht wenig Aufsehen hervor. Die Herren hatten wohl von der Ermordung des Hauptmannes, nichts aber von derjenigen des Barons gewußt.
Sie verfügten sich sofort in das Zimmer, in welchem die Leiche des Letzteren lag. Der Gerichtsarzt untersuchte dieselbe und erklärte, daß der Baron zweifellos durch einen mittelst eines sehr scharfen Instruments ausgeführten Schnittes durch den Hals ermordet worden sei. Der Mord könne nicht vor aber auch nicht viel nach Mitternacht ausgeführt worden sein.
Ein Obergensdarm war mitgekommen. Er fragte jetzt seinen Untergebenen:
»Wer hat nach dem Oeffnen der Thür hier Zutritt gehabt?«
»Eine Zofe und zwei Diener, welche die ohnmächtige Baronesse fortzuschaffen hatten.«
»Auch Sie nicht?«
»Nein. Ich wollte Ihnen nicht vorgreifen.«
»Das war richtig gehandelt. Sollte denn nicht etwas zu finden sein, was – ah, was ist das?«
Im geronnenen Blute, aber ein wenig unter dem weit herabhängenden Tischtuche war ein Gegenstand zu bemerken. Er hob ihn auf und hielt ihn den Herren hin.
»Ein Rasirmesser, meine Herren! Ganz voll Blut. Das Heft besteht aus zwei Elfenbeinplatten und ist mit – alle Wetter! – mit den beiden Buchstaben G.B. gezeichnet. Mir scheint, daß mit diesem Instrumente die That vollbracht worden ist.«
Ein Grauen bemächtigte sich der Anwesenden. Der Amtmann fragte den Gensdarmen:
»Der Schlüssel zu diesem Zimmer hat sich bei Brandt gefunden?«
»Ja. Und wie ich bemerkt habe, trägt dieser Herr den Vornamen Gustav. Gustav Brandt, das würde G.B. ergeben.«
Die Herren der Commission blickten einander betroffen an. War es möglich? Brandt, ein College, den man trotz seiner Jugend so ausgezeichnet hatte, ein Mörder, ja ein Doppelmörder!
»Meine Herren«, sagte der Amtmann, »es ist hier ein geradezu grauenhaftes Verbrechen verübt worden, ein Verbrechen, welches die schwerste, unnachsichtlichste Ahndung verdient. Der Verdacht richtet sich gegen einen Mann, den zu achten wir gezwungen gewesen sind. Geben wir uns also Mühe, uns nicht von einem bloßen Scheine beeinflussen zu lassen, damit unser Forschen nicht durch ein Vorurtheil getrübt werde. Suchen wir zunächst alles Wissenswerthe von den Zeugen zu erfahren.«
Sie begaben sich in ein passendes Zimmer, und hier ließ der Amtmann zunächst den Baron Franz von Helfenstein zu sich entbieten. Dieser erschien mit der Miene eines Mannes, welcher Denjenigen, zu denen er kommt, eine Gnade erweist. Als der Vorsitzende ihn darauf aufmerksam machte, daß in einem Falle wie der vorliegende die genaueste Gewissenhaftigkeit erforderlich sei, antwortete er:
»Diese Bemerkung ist vollständig überflüssig. Ich pflege selbst im Kleinsten und Unbedeutendsten gewissenhaft zu sein!«
»Wohl! So sagen Sie uns, Herr Baron, in welchem Verhältnisse Sie zu dem Angeklagten gestanden haben!«
»Wie meinen Sie das? Ein Baron von Helfenstein kann mit einem Manne des bürgerlichen Namens Brandt wohl kein Verhältniß gehabt haben!«