Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May

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gehen von falschen Voraussetzungen aus. Auch ich trage einen bürgerlichen Namen, und doch stehen Sie gegenwärtig in einem Verhältnisse zu mir. Oder nennen Sie dies kein Verhältniß, wenn Sie gezwungen sind, meine Fragen zu beantworten? Gustav Brandt wurde von Ihrem Herrn Cousin zur Familie gezogen und reichlich unterstützt. Sie müssen ihn oft gesehen und gesprochen haben; ein gesellschaftliches Verhältniß läßt sich also voraussetzen.«

      »Ich will das zugeben; aber es kann hier ja nur von dem Verhältnisse einer vollständigen Gleichgiltigkeit die Rede sein.«

      »Das soll heißen, daß Sie einander weder freundlich noch feindlich gesinnt gewesen sind?«

      »So meine ich es; die Verschiedenheit unserer Geburt bringt es ja mit sich, daß eine persönliche Annäherung ausgeschlossen ist.«

      »Ich habe weder die Pflicht noch die Lust und Zeit, mich darüber mit Ihnen in eine Controverse einzulassen. Die Sache ist vielmehr die, daß Sie Gustav Brandt des Mordes an dem Hauptmann von Hellenbach beschuldigen. Ist dies an dem?«

      »Ja«, antwortete der Gefragte mit fester Stimme.

      »Was wissen Sie über die That?«

      »Ich war Augenzeuge von ihr.«

      »Bitte, erzählen Sie, was Sie gesehen haben!«

      »Ich stand heute nach Tagesanbruch am Fenster und bemerkte, daß meine Cousine das Schloß in der Richtung nach dem Tannengrunde zu verließ. Einige Augenblicke darauf folgte ihr der Hauptmann. Ich vermuthete den Försterssohn in der Schlucht und beschloß, Beiden zu folgen, um einem feindseligen Zusammenstoße vorzubeugen.«

      »Aus welchem Grunde vermutheten Sie eine Feindseligkeit?«

      »Der Hauptmann und Brandt waren Nebenbuhler.«

      »Ah! Das ist allerdings von großer Wichtigkeit! Aber können Sie beweisen, daß dies so gewesen ist?«

      »Ja. Uebrigens wird auch meine Cousine gezwungen sein, es einzugestehen. Es hat ja noch gestern eine ganz bedeutende Scene zwischen ihr und Brandt einerseits und ihrem Vater und dem Hauptmanne andererseits gegeben.«

      »Auch das ist wichtig. Was wissen Sie von dieser Scene?«

      »Ich war nicht Augenzeuge derselben, traf aber meine Cousine zufällig auf dem Tannensteine. Nach mir ist sie dort von Brandt umarmt und geküßt worden. Sie scheinen einander zu lieben. Sie war aber von Seiten des Vaters schon längst dem Hauptmanne versprochen. Dieser überraschte die Beiden in einem nichts weniger als gleichgiltigen tête-à-tête und stellte Brandt natürlich zur Rede, erhielt aber eine Antwort, welche ihn veranlaßte, an eine Ausgleichung mittelst Duelles zu denken. Er erzählte mir den Vorgang und bat mich, ihm zu secundiren. Trotzdem das Liebespaar überrascht worden war, trat es in Gemeinschaft den Weg nach dem Schlosse an, stieß aber unterwegs auf meinen Cousin und den Hauptmann. Der Vater des Mädchens stellte Brandt nun ebenfalls zur Rede, erhielt aber nichts als Drohungen zur Antwort. Dies, meine Herren, sind die Gründe, welche mich heute früh veranlaßten, dem Hauptmanne zu folgen. Ich fürchtete einen übereilten Ausbruch der Feindseligkeit zwischen ihm und Brandt.«

      Er hatte in dieser Darstellung seine Cousine Alma keineswegs in ein vortheilhaftes Licht gestellt; dies war mit Fleiß und Ueberlegung geschehen. Sie hatte ihm gestern auf so malitiöse Weise einen Korb ertheilt, und so war er entschlossen, sie nicht im Mindesten zu schonen. Der Vorsitzende meinte ernst:

      »Ueber das, was Sie da erzählen, werden wir die Dame selbst auch zu vernehmen haben. Fahren Sie fort!«

      »Ich wollte nicht zudringlich erscheinen und nur im Falle der Nothwendigkeit meine Gegenwart bemerken lassen. Daher verfolgte ich die gleiche Richtung wie der Hauptmann, aber etwas abseits von dem Wege.«

      »Nach welcher Seite?«

      »Nach links.«

      Das war nicht wahr, denn er war den Beiden auf der rechten Seite des Wegsaumes gefolgt.

      »Und von welcher Seite fielen dann die Schüsse?«

      »Von der rechten.«

      »Hm! Erzählen Sie weiter!«

      »Ich hörte nach einiger Zeit einen mehr als lebhaften Wortwechsel. Ich erkannte sogleich die Stimmen der beiden Sprecher. Es waren der Hauptmann und Brandt. Eben als ich, hinzueilend, von der linken Seite her aus den Büschen treten wollte, fielen die beiden Schüsse. Brandt hatte sein Gewehr, welches wohl in der Nähe lag, geholt und dem Hauptmanne zwei Kugeln in die Brust gejagt.«

      »Sahen Sie es, als Brandt schoß?«

      »Ja, ganz genau.«

      »In welcher Entfernung standen Sie von ihm?«

      »Vielleicht zehn Schritte.«

      »Warum versuchten Sie nicht, die That zu verhindern?«

      »Das war eine Unmöglichkeit, da sie mit wirklicher Gedankenschnelligkeit geschah.«

      »Was thaten Sie dann?«

      »Ich wollte mich auf den Mörder stürzen; aber ich konnte vor Entsetzen keinen Fuß bewegen. Die Kehle war mir wie zugeschnürt, so daß ich auch nicht zu rufen vermochte. In diesem Augenblicke kam Cousine Alma dazu.«

      »Wurden Sie von ihr bemerkt.«

      »Nein, denn ich stand nicht auf dem Wege, sondern zwischen den Bäumen.«

      »Was mag sie dort gewollt haben?«

      »Ich vermuthe, daß sie ein tête-à-tête mit Brandt gehabt hat und abermals vom Hauptmanne überrascht wurde. Die beiden Herren sind arg aneinander gerathen; sie hat fliehen wollen, ist aber, als sie die Schüsse hörte, zurückgekehrt, um sich zu überzeugen, wem sie gegolten haben.«

      Während der Protokollant jedes Wort notirte, hatte der Vorsitzende mit größter Aufmerksamkeit zugehört. Er sagte sehr ernst:

      »Herr Baron, was Sie jetzt erzählt haben, ist von solcher Schwere, daß es den Angeklagten zermalmen kann, ja zermalmen muß. Ich will dennoch meine Eingangs gemachte Mahnung nicht wiederholen, sondern Sie nur fragen, was Sie weiter sahen.«

      »Die Wiederholung würde noch unnöthiger sein, als die Mahnung an sich selbst schon war! Also ich sah, daß Alma kam. Sie schien sehr erschrocken zu sein, nannte ihn einen Mörder und fiel in Ohnmacht.«

      »Und Sie?«

      »Ich eilte nach der Schlucht, um Beamte herbeizuholen.«

      »Warum ergriffen Sie den Thäter nicht sofort?«

      »Soll ich mich etwa mit einem Mörder herumprügeln?«

      »Er hat also gar nicht bemerkt, daß Sie Zeuge der That gewesen sind?«

      »Nein.«

      »Er behauptet, wie man mir sagte, nicht der Schütze gewesen zu sein. Wie nun, wenn er vermuthet, daß Sie sich nicht auf der linken, sondern auf der rechten Seite des Weges befunden haben.«

      »Ah, pah! Wozu das?«

      »Und

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