Die Propeller-Insel. Jules Verne
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Читать онлайн книгу Die Propeller-Insel - Jules Verne страница 27
»Meine Herren«, nimmt Calistus Munbar, sich eine graziöse Haltung gebend, wieder das Wort, »ich wünsche mit Ihnen bei dem jetzigen Gespräch nur die musikalische Frage zu erörtern, so wie diese zurzeit auf unserer Schraubeninsel liegt. Theater besitzt Milliard City allerdings noch nicht, doch wenn es das wollte, würden solche wie durch Zauberschlag aus ihrem Boden aufwachsen. Bisher haben unsere Mitbürger ihre musikalischen Bedürfnisse durch vervollkommnete Apparate befriedigt, wodurch sie über dramatische und lyrische Meisterschöpfungen auf dem laufenden erhalten wurden. Wir hören die alten und neuen Komponisten, die Tagesgrößen der Schauspielkunst, die beliebtesten Künstler mittels der Phonographen, wann und so oft es uns gefällt …«
»Eine Drehorgel, Ihr Phonograph!« warf Yvernes verächtlich ein.
»Doch nicht in der Weise, wie Sie das glauben mögen, mein Herr erster Violinist«, antwortet der Oberintendant. »Wir besitzen Apparate, die mehr als einmal die Indiskretion begangen haben, Ihnen zu lauschen, wenn Sie sich in Boston oder Philadelphia hören ließen. Wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie sich hier mit eigenen Händen applaudieren.«
Jener Zeit haben die Erfindungen des berühmten Edison2 nämlich den höchsten Grad der Vollendung erreicht. Der Phonograph ist keineswegs mehr der Musikkasten oder die Spieldose, dem und der er ursprünglich gar zu sehr glich. Dank seinem geistvollen Erfinder bewahrt er jetzt das ephemere Talent der Schauspieler, Instrumentisten oder Sänger für die Bewunderung kommender Geschlechter mit der gleichen Treue auf, wie die Werke der Bildhauer und Maler aufbewahrt bleiben. Ein Echo etwa ist der Apparat geworden, doch ein Echo, treu wie eine Fotografie, das alle Nuancen, alle Feinheiten des Gesanges oder Spiels in unveränderter Reinheit wiedergibt.
Calistus Munbar ergeht sich hierüber mit solcher Wärme, dass es auf seine Zuhörer einen tiefen Eindruck macht.
Er spricht von Saint-Saëns, von Reyer, Ambroise Thomas, von Gounod, Massenet und Verdi, von den unvergänglichen Meisterwerken eines Berlioz, Meyerbeer, Halévy, Rossini, Beethoven und Mozart wie ein Mann, der alle aus dem Grunde kennt, sie zu schätzen weiß und der sich schon lange Zeit bemüht hat, ihren Ruhm noch zu verbreiten, sodass man ihm mit Vergnügen zuhört. Von der schon etwas ablaufenden Wagnerepidemie scheint er jedoch nicht besonders gelitten zu haben.
Als er einmal aussetzt, um Atem zu schöpfen, macht sich Pinchinat die Pause gleich zunutze.
»Das ist ja alles ganz schön und gut«, sagt er; »Ihr Milliard City hat aber nie etwas anderes gehört als Schachtelmusik, als konservierte Melodien, die man ihr wie konservierte Sardinen oder Salt-beef zusendet …«
»Verzeihen Sie, Herr Bratschist …«
»Ja, ja, ich verzeihe Ihnen, bleibe aber doch dabei, dass Ihre Phonographen immer nur Dagewesenes enthalten, dass in Milliard City niemals ein Künstler in dem Augenblick der Ausübung seiner Kunst gehört werden kann …«
»Da möchte ich noch einmal um Verzeihung bitten.«
»Unser Freund Pinchinat verzeiht Ihnen gewiss so oft, wie Sie es wünschen«, bemerkt Frascolin. »Sein Einwurf ist aber dennoch richtig. Ja, wenn Sie sich mit den Theatern Amerikas und Europas in unmittelbare Verbindung setzen können …«
»Halten Sie das für unmöglich, lieber Frascolin?« ruft der Oberintendant, der die Bewegungen seines Schaukelstuhles hemmt.
»Sie behaupten das wirklich?«
»Ich sage nur, dass das ausschließlich eine Geldfrage ist, und unsere Stadt ist reich genug, um sich alle Liebhabereien, jedes Verlangen bezüglich der lyrischen Kunst gewähren zu können. Das ist auch bereits geschehen …«
»Aber wie?«
»Mittels der Theatrophone, die im Konzertsaale des Kasinos aufgestellt sind. Die Gesellschaft besitzt ja zahlreiche unterseeische Kabel, die den Großen Ozean durchziehen und von denen das eine Ende an der Madeleinebai ausläuft und das andere durch unsere großen Bojen schwimmend erhalten wird. Wünscht nun einer unserer Mitbürger einen Sänger der Alten oder Neuen Welt zu hören, so fischt man eines jener Kabel auf und benachrichtigt telefonisch die Beamten an der Madeleinebai. Diese stellen dann die Verbindung mit Europa oder Amerika her. Man verbindet die Drähte oder Kabel mit dem oder jenem Theater, dem oder jenem Konzertsaale, und unsere, hier im Kasino weilenden Dilettanten wohnen den entferntesten Aufführungen bei und applaudieren …«
»Ja, da draußen hört man ihre Beifallsbezeugungen aber gar nicht!« ruft Yvernes.
»Da muss ich um Verzeihung bitten, lieber Herr Yvernes, gewiss hört man sie mittels einer vorhandenen Rückleitung.«
Hierauf verliert sich Calistus Munbar in transzendentale Erörterungen über die Musik nicht allein als Kunst, sondern auch als therapeutisches Agens. Nach dem Systeme J. Harfords, von der Westminster-Abtei, haben die hiesigen Milliardäre mit der Ausnützung der lyrischen Künste schon ganz erstaunliche Erfolge erzielt. Dieses System gewährleistet ihnen einen Zustand vollkommener Gesundheit. Die Musik übt eine Reflexwirkung auf die Nervenzentren aus, die harmonischen Vibrationen helfen zur Erweiterung der arteriellen Gefäße und beeinflussen den Blutumlauf, den sie nach Bedarf beschleunigen oder verlangsamen. Sie bewirkt eine Anregung der Herztätigkeit und der Atembewegungen je nach Klangfarbe und Intensität des Tones, wobei sie gleichzeitig die Ernährung der Gewebe unterstützt. Deshalb hat man in Millard-City auch Einrichtungen getroffen, durch die beliebige Mengen musikalischer Energie auf telefonischem Wege in die Einzelwohnungen geleitet werden können.
Das Quartett hört ihm mit offenem Munde zu. Noch nie hat es über seine Kunst von medizinischem Standpunkte aus reden gehört, und wahrscheinlich ist es darüber nicht gerade entzückt. Nichtsdestoweniger geht der fantastische Yvernes sofort auf diese Theorien ein, die übrigens – man denke an den berühmten Harfenisten David – bis zurzeit des Königs Saul zurückreichen.
»Jawohl,