Wolf unter Wölfen. Ханс Фаллада
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Da! Rot! Ungleich! Einundzwanzig! Und plötzlich atmet die Brust wieder, das Gesicht entspannt sich – ja, dies Mädchen ist schön … Der Einsatz, meine Damen und Herren! Der Einsatz! Der Einsatz! – Nichts mehr! Und die Kugel läuft, schnurrt, klappert … still steht die Welt …
Wolfgang Pagel hat sich in die zweite Reihe der stehenden Spieler gedrängt. Weiter nach vorn kommt er nie, darauf achten die drei Raubvögel schon, die unzufriedene Blicke miteinander tauschen, sehen sie ihn nur eintreten. Er ist der allerunerwünschteste Spieler, er ist der Pari-Panther, der Mann, der vorsichtig spielend sich nicht hinreißen läßt; der Mann mit dem kleinsten Betriebskapital in der Tasche, das nicht einmal das Ansehen lohnt, geschweige denn das Wegnehmen; der Mann, der Abend für Abend mit dem festen Vorsatz kommt, der Bank grade so viel abzunehmen, daß er den nächsten Tag das Leben hat – und dem das meistens gelingt.
Es ist ganz unnütz für Pagel, den Klub zu wechseln (denn es gibt in diesen Tagen Spielklubs wie Sand am Meer, wie es überall Heroin und Koks gibt, Schnee; wie es überall Nackttänze, französischen Sekt und amerikanische Zigaretten gibt; wie es überall Grippe, Hunger, Verzweiflung, Unzucht, Verbrechen gibt). Nein, die Raubvögel am Kopfende des Tisches erkennen ihn immer gleich. Sie erkennen ihn an der Art seines Eintretens, dem prüfenden Blick, der fremd alle Gesichter streift, um an dem Spielfeld haften zu bleiben. Sie erkennen ihn an seiner übertriebenen Ruhe, seiner gespielten Gleichgültigkeit, der Art seines Setzens, an den langen Pausen, die er macht, die Sprünge der Chancen auszulassen, um eine Serie zu fassen: sie erkennen den gleichen Vogel im andern Gefieder!
An diesem Abend war Wolfgang nervös. Zweimal hatten ihm die Schlepper die Haustür vor der Nase zugeschlossen, um den unerwünschten Spieler zu verscheuchen, bis es ihm gelang, sich mit einer Gesellschaft einzuschmuggeln. Der Mann mit dem traurigen Wachtmeistergesicht hatte getan, als höre er seine Bitte um Spielmarken nicht; Wolfgang hatte sich sehr zusammennehmen müssen, um nicht laut zu werden. Schließlich hatte er seine Jetons doch bekommen.
Im Spielraum hatte er sofort gesehen, daß eine gewisse Halbweltdame, von Kennern der Devisenvamp genannt, anwesend war. Er hatte schon einige Male an verschiedenen Orten mit diesem anspruchsvollen, lauten Mädchen Zusammenstöße gehabt, weil sie, in einer Pechsträhne und dem Ende ihrer Mittel nahe, unbedenklich über die Einsätze ihrer Mitspieler zu verfügen pflegte. Am liebsten wäre er umgekehrt. Eine Spielmarke war ihm auf die Erde gefallen, was von unheilvoller Bedeutung war, denn es besagte, daß dieser Raum sein Geld zu behalten wünschte. (Es gab viele Vorzeichen solcher Art – bis auf eines oder zwei alle von schlimmer Vorbedeutung.)
Dann war er doch an den Tisch getreten, um zu spielen. Er konnte es immerhin – im Rahmen seiner Gewohnheiten – versuchen, da er nun einmal hier war. Wie alle Spieler war auch Wolfgang Pagel der unerschütterlichen Überzeugung, daß das, was er tat, gar kein richtiges Spiel war, daß es ›nicht galt‹. Er glaubte fest daran, daß irgendwann einmal, blitzartig, in einer Sekunde, ihn das Gefühl überkommen würde: jetzt ist deine Stunde! In dieser Stunde würde er wirklich Spieler sein, der Liebling des blinden Glücks. Die Kugel im Rade würde schnurren, wie er setzte, das Geld würde herbeiströmen –: Alles, alles werde ich gewinnen! – Wenn er an diese Stunde dachte, manchmal, nicht sehr häufig, wie man den Genuß eines großen Glückes nicht wertlos machen will dadurch, daß man es zu oft vorkostet – wenn Wolfgang daran dachte, fühlte er, wie sein Mund trocken, die Haut über seinen Schläfen pergamenten wurde.
Er meinte, sich zu sehen, leicht vorgeneigt, mit glänzenden Augen – und zwischen die ein wenig auseinandergespreizten Hände glitt ihm das Papier, wie von einem Winde hineingeweht, all dies verschiedenartige Papier mit den ungeheuren Zahlen, Nullen über Nullen, ein betäubender, nie völlig zu verstehender Reichtum – astronomisch!
Bis diese Stunde kam, war er ein kleiner Freitischgänger des Glücks, ein Hungerleider, der mit den mageren Gewinnchancen des Parispiels vorlieb nehmen mußte. Gerne vorlieb nahm, denn ihm winkte die Aussicht auf Großes!
An diesem Abend war er für seine Verhältnisse nicht schlecht bei Kasse. Spielte er ein wenig vorsichtig, mußte sich ein ausreichender Gewinn nach Haus tragen lassen. Wolfgang Pagel hatte sein bestimmtes, auf Grund sorgfältiger Beobachtungen erdachtes System beim Spiel. Von den sechsunddreißig Zahlen des Roulette waren achtzehn rot, achtzehn schwarz. Zog man die siebenunddreißigste Chance, das Null, bei dem alle die Einsätze der Bank verfielen, nicht in Betracht, so stand die Chance für Rot und für Schwarz gleich. In einem unendlich weitergespielten Roulette mußte nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung gleich oft Rot wie Schwarz kommen. Das tat es auch sicher. Aber wie sich im Laufe des Spieles Rot und Schwarz ablösten, darüber schien eine viel geheimnisvollere Regel zu walten, die man halb beobachten, halb im Gefühl haben mußte.
Stand Wolfgang – wie stets, ehe er zum erstenmal setzte – beobachtend am Spieltisch, so sah er etwa, daß Rot kam, und noch einmal Rot, und wieder Rot. Ein viertes, fünftes, sechstes Mal Rot, es konnte bis zum zehntenmal gehen, bis zum fünfzehntenmal, ja, in ganz seltenen Fällen noch höher: Rot, immer Rot. Es war gegen jeden Sinn und Verstand, es widersprach aller Wahrscheinlichkeitsrechnung, es war die Verzweiflung aller ›Spieler mit System‹.
Dann kam auf einmal Schwarz, nach sechs-, achtmal Rot kam Schwarz! Kam zwei-, dreimal; nun kam wieder Rot, und nun ging es mit einem ermüdenden, immerwährenden Wechsel hin und her: Rot und Schwarz, Schwarz und Rot.
Wolfgang aber wartete noch immer. Nichts war zu sagen, kein Einsatz mit einiger Aussicht auf Gewinn zu wagen.
Aber plötzlich fühlte er, wie sich irgend etwas in ihm spannte. Er schaut auf das Fleckchen Spieltisch, das seinem Blicke frei ist. Ihm ist, als sei er eine Weile mit seinen Gedanken fortgewesen, ohne doch zu wissen, wo, als habe er das Spiel nicht verfolgt. Trotzdem weiß er, daß jetzt dreimal hintereinander Schwarz kam, er weiß, daß er nun setzen muß, daß jetzt eine Serie Schwarz begonnen hat – er setzt.
Er setzt drei-, viermal. Öfter getraut er sich nicht. Ach, zwölf-, fünfzehnmal Rot sind eine Ausnahme, da liegen die großen Gewinnchancen: Stehenlassen den Einsatz und Gewinn – verdoppelt! Stehenlassen – verdoppelt … immer weiter, in märchenhafte Zahlen hinein. Aber sein Kapital ist zu klein, er kann keinen Fehlschlag riskieren, er muß mit der hausbackenen Sicherheit vorlieb nehmen. Aber einmal – einmal bestimmt wird die Nacht kommen, und er wird setzen, weitersetzen, immer weiter … Er wird wissen, daß siebzehnmal Rot kommt, er wird es siebzehnmal setzen und keinmal mehr.
Und dann wird er nie wieder spielen. Dann werden sie mit dem Gelde etwas Geruhiges anfangen, ein Antiquitätengeschäft zum Beispiel. Er hat Sinn für so etwas, er geht gerne mit diesen Dingen um. Das Leben wird dann sanft und ruhig strömen, keine äußerste Anspannung mehr, nichts von tiefster Verzweiflung, keine Raubvogelgesichter mehr, die ihn gesträubt mustern, keine ganz unzweifelhaften Halbweltdamen mehr, die ihm seinen Einsatz stehlen …
Er hat seinen Platz am andern Ende des Spieltischs gesucht, um nicht in der Nähe des Valutenvamps zu sein, aber es hilft ihm nichts. Er setzt grade, da hört er schon ihre Stimme: Machen Sie doch Platz! Stehen Sie doch nicht so breit da! Andere möchten auch spielen.
Er macht eine Verbeugung, sieht sie nicht an und räumt ihr das Feld. Er findet einen andern Platz und fängt wieder an zu setzen. Er denkt daran, daß er heute besonders vorsichtig spielen, etwas mehr als sonst nach Haus bringen muß: morgen um halb eins wollen