Wolf unter Wölfen. Ханс Фаллада
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Fahnenjunker a. D. Wolfgang Pagel ist an der Podbielskiallee ausgestiegen und die paar Straßen bis zur Zeckeschen Villa hinuntergeschlendert. So richtig faul und gemächlich in der Hitze. Nun steht er vor dem Haus, das heißt vor dem Vorgarten natürlich, dem Garten, der Anlage, dem Park. Und nicht direkt davor, natürlich ist ein geschmiedetes Gitter da und irgendwelcher behauene Stein, in Säulenform aufgesetzt, sagen wir Muschelkalk. Ein ganz kleines Messingschild ist auch da, auf dem nichts weiter steht als ›von Zecke‹ und ein messingner Klingelknopf. Gut geputzt. Von dem Haus sieht man nicht viel, es steckt hinter Büschen und Bäumen, man hat nur so eine Ahnung von großen, spiegelnden Scheiben und einer nicht zu hohen, leicht gegliederten Fassade.
Pagel sieht sich die Bescherung an, er hat Zeit. Dann dreht er sich um und sieht die Villen auf der andern Straßenseite an. Pompös – hier also wohnen die Herrschaften, die um keinen Preis an einem Hinterhof beim Alexanderplatz wohnen könnten. Wolfgang Pagel hält sich für befähigt, beides zu tun, mal Dahlem, mal Alex, es kommt ihm nicht darauf an. Aber vielleicht, weil es ihm nicht darauf ankommt, wohnt er nicht in Dahlem, sondern in der Georgenkirchstraße.
Er macht wieder kehrt und betrachtet Schild, Knopf, Blumenbeete, Grün, Fassade. Rätselhaft bleibt, warum Zecke sich mit solchem Kram belastet. Denn so was ist eine Last. Ein Haus haben, eine Riesenvilla, einen halben Palast, der ewig was von einem verlangt: Steuern zahlen, reinmachen lassen; elektrische Lichtleitung versagt, Koks muß gekauft werden – jedenfalls muß Zecke sich geändert haben. Früher hätte er auch gedacht: es ist eine Last. Als er ihn zum letztenmal sah, hatte Zecke zwei höchst elegante Junggesellenzimmer am Kurfürstendamm (mit Freundin, Telefonanschluß und Bad) – das paßte zu Zecke.
Dies nicht. Aber wahrscheinlich war er verheiratet. Jeder Quatsch, den man mit einem Mann erlebte, erklärte sich dadurch, daß er verheiratet war. Daß eine Frau da war. Nun ja, man würde sie ja wahrscheinlich zu sehen kriegen, und sie würde natürlich sofort erraten, daß dieser alte Freund ihres Mannes Geld pumpen wollte. Daraufhin würde sie ihn halb gereizt, halb verächtlich behandeln. Aber das konnte sie seinetwegen gerne tun, wer abends als Pari-Panther auf Raub ausging, war gegen Weiberlaunen völlig gefeit.
Pagel ist schon im Begriff, auf den Klingelknopf zu drücken – einmal muß man es ja tun, so angenehm es auch ist, hier faul in der Sonne zu stehen und an das viele schöne Geld zu denken, das er dem Zecke gleich abnehmen wird. Aber er erinnert sich grade rechtzeitig, daß er noch fast 100 000 Mark in der Tasche trägt. Nun gibt es zwar den Satz, daß Geld zum Gelde will, aber in dieser Form ist der Satz nicht richtig. Er müßte heißen: viel Geld will zu viel Geld. Dafür aber kommt das, was Pagel in der Tasche trägt, nicht in Frage. Unter diesen Umständen ist es viel besser, er steht völlig blank vor Zecke. Unbedingt vertritt man ein Darlehensgesuch überzeugender, wenn man nicht einmal das Fahrgeld nach Haus in der Tasche hat. Für diese hunderttausend wird man etwa zwei Cognacs kriegen, und diese zwei Cognacs werden seinem Darlehensgesuch weiteres Gewicht verleihen!
Pagel hat umgedreht und schlendert wieder die Straße hinunter. Er geht rechts, dann links, wieder rechts, hin und her – aber es erweist sich als schwierig, das Geld in Alkohol umzusetzen. In dieser pikfeinen Villengegend scheint es weder Läden noch Kneipen zu geben. Natürlich, solchen Leuten wird alles ins Haus gebracht, Wein und Schnaps halten sie kellerweise.
Pagel findet nur einen Zeitungsmann, aber in Zeitungen mag er das Geld nicht anlegen. Nein, danke, mit so was hat er nichts zu tun. Wenn er schon die Schlagzeile liest ›Aufhebung der Grenzsperre zum besetzten Gebiet‹ – geht ihn nichts an, macht, was ihr wollt, Scheibe ist es doch!
Als nächstes trifft er eine Blumenfrau, sie steht an einer Autobushaltestelle und hökert mit Rosen. Der Gedanke, Herrn von Zecke, der einen ganzen Garten voller Rosen hat, mit einem Pofel von Rosenstrauß unter die Nase zu gehen, ist so schön, daß Pagel beinahe kauft. Aber dann zuckt er die Achseln und geht weiter. Er ist nicht ganz sicher, daß Zecke seinen Pumpversuch nur leicht und humoristisch nimmt.
Aber raus aus der Tasche muß das Geld – so viel ist sicher. Am liebsten würde Pagel es einem Bettler schenken, das bringt immer Glück. Aber es gibt hier in Dahlem nicht einmal Bettler. Die setzen sich lieber an den Alexanderplatz zu den armen Leuten. Die haben immer noch eher mal ein bißchen Geld über.
Eine Weile ging Wolfgang dann hinter einer älteren, dürren Dame her, die in ihrem grau aussehenden Jäckchen mit verschossenem lila Aufschlag und irgendeinem Gebammel von schwarzen Schmelzperlen ihm den Eindruck einer ›verschämten Armen‹ machte. Aber dann verzichtete er darauf, ihr das Geld in die Hand zu drücken. Denn von allerschlechtester Vorbedeutung wäre es gewesen, das Geld nicht gleich auf Anhieb loszuwerden, sondern es erst einmal wieder zurückzubekommen.
Schließlich geriet Pagel auf den Hund. Stillvergnügt saß er auf einer Bank und pfiff und schmeichelte einen stromernden, weißen, braungefleckten Fox an sich heran. Das Tier war von einer phantastischen Lebenslust erfüllt, es bellte den Schmeichler trotzig, herausfordernd an, war dann plötzlich liebevoll, legte den Kopf prüfend auf die Seite und wackelte mit dem Schwanzstummel. Beinahe hatte Wolf ihn fest, da jagte er schon wieder, fröhlich aufbellend, drüben in den Anlagen, während man ein Dienstmädchen mit geschwungener Leine, verzweifelt Schnaps! Schnaps! rufend, ihm nacheilen sah.
Vor die Wahl zwischen dem geruhig rauchenden Mann und dem aufgeregten Mädchen gestellt, entschied sich der Fox für den Mann. Er stieß mit der Schnauze auffordernd gegen Pagels Bein, und in seinen Augen stand die klare Bitte, ein neues Spiel zu beginnen. Grade hatte Wolf ihm die Scheine fest unter das Halsband geschoben, da kam schon das Mädchen, erhitzt und empört, und stieß atemlos hervor: Lassen Sie unsern Hund los!
Ach, Fräulein, sagte Wolfgang. Für Schnaps sind wir Männer nun mal alle. – Und … setzte er hinzu, denn in dem frisch gewaschenen Kleid steckte ein erfreuliches Mädchen, und für die Liebe.
Ach Sie! sagte das Mädchen, und ihr verärgertes Gesicht verwandelte sich so plötzlich, daß auch Wolfgang lächeln mußte. Sie ahnen ja nicht, sagte sie und versuchte, den tänzelnden und jaulenden Fox an die Leine zu hängen, was ich für Ärger mit dem Hund habe. Und immer sprechen einen Herren an. – Was ist denn das? fragte sie erstaunt, denn sie hatte das Papier unter dem Halsband gefühlt.
Ein Brief, sagte Pagel im Abgehen. Ein Brief für Sie. Sie müssen ja gemerkt haben, ich gehe Ihnen schon eine Woche lang jeden Morgen nach. Aber lesen Sie ihn erst nachher, wenn Sie allein sind, es steht alles drin. Auf Wiedersehen!
Und er ging eilig um die Ecke, denn ihr Gesicht glänzte ihm zu hell, als daß er die Entdeckung der Wahrheit noch hätte miterleben mögen. Wieder um eine Ecke, und jetzt konnte er wohl langsamer gehen, jetzt war er vor ihr sicher. Auch schwitzte er schon wieder; eigentlich hatte er die ganze Zeit geschwitzt, seit er auf der Podbielskiallee ausgestiegen war. So langsam er auch gegangen war. Und plötzlich überkam es ihn, daß es nicht der Sonnenbrand war, der ihm so warm machte, nicht nur der Sonnenbrand. Nein, nein, es war etwas anderes, noch etwas anderes: er war aufgeregt, er hatte Angst!
Mit einem Ruck blieb er stehen und sah um sich. Schweigend standen in der Mittagsglut die Villen zwischen den Schirmen der Kiefern. Irgendwo summte ein Staubsauger. Alles, was er bis jetzt getan hatte, um das Drücken auf den Klingelknopf zu verzögern, war ihm von der Angst eingegeben worden. Und es hatte noch viel früher angefangen: er hätte keine Lucky Strike gekauft, sondern ein Frühstück für sie beide – hätte er keine Angst gehabt. Ohne die Angst hätte er auch die Sachen dem Onkel nicht gelassen.
Ja, sagte er und ging langsam weiter, es treibt auf das Ende zu. Er sah ihrer beider Lage plötzlich, wie sie wirklich war: in Schulden, ohne jede Aussicht für den nächsten Tag, Petra fast nackt in der