Wolf unter Wölfen. Ханс Фаллада

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wolf unter Wölfen - Ханс Фаллада страница 26

Wolf unter Wölfen - Ханс Фаллада

Скачать книгу

seiner Aussprache mit Studmann noch reichlich Zeit, so bummelte er wieder einmal den alten Weg. Aber die Freude wurde ihm diesmal vergällt: es ging auf der Friedrichstraße zu, wie man sich etwa einen morgenländischen Basar vorstellte. Fast Mann an Mann standen sie an den Hauswänden und auf dem Rande des Gehsteigs: Händler, Bettler, Dirnen. Junge Leute klappten Handkoffer auf, in denen geschliffene Parfumflaschen sanft glänzten. Hosenträger schwenkte ein anderer, johlend, schreiend. Eine Frau, zottig und schmierig, hantierte mit endlos langen, schimmernden Seidenstrümpfen, die sie den Herren mit einem frechen Lächeln anbot: Wat for de Kleene, Herr Jraf. Ziehen Sie se ihr bloß an, und Sie werden schon sehen, wat Sie for Spaß haben for dat lumpije bißken Papier, Herr Jraf –!

      Ein Schupo kam in Sicht, verdrossen ausschauend unter seinem lackierten Landwehrtschako. Pro forma wurden die Koffer zugeklappt und waren schon wieder offen, kaum war er zwei Schritte weiter. An den Hauswänden saßen, hockten, lagen Bettler, alles Kriegsverletzte, glaubte man den Schildern, die sie trugen. Doch waren so junge darunter, daß sie im Kriege noch zur Schule gegangen sein mußten, und Greise, die sicher schon vor dem Kriege invalide gewesen waren. Blinde plärrten trostlos monoton, Schüttler schüttelten Kopf oder Arme, Wunden waren zur Schau gestellt, schreckliche Narben leuchteten feurig aus einem grauen, schuppigen Fleisch.

      Aber am schlimmsten waren die Mädchen. Überall strichen sie herum, riefen, flüsterten, hängten sich bei jedem ein, liefen mit, lachten. Manche waren weit entblößt, daß es kaum erträglich war. Ein Markt von Fleisch – fettem, weißem, von Likören aufgeschwemmt; und hagerem, dunklem, das die scharfen Schnäpse verbrannt zu haben schienen. Aber am schlimmsten waren die völlig Schamlosen, die fast Geschlechtslosen: die Morphinistinnen mit dem scharfen Stecknadelkopf der Pupille, die Schnupferinnen mit der weißen Nase, und die Kokainspritzerinnen mit den Schreistimmen aus hemmungslos zuckenden Gesichtern. Sie wippten umher, sie schlenkerten ihr Fleisch in den weit ausgeschnittenen oder raffiniert durchbrochenen Blusen. Wenn sie auswichen oder um eine Ecke gingen, rafften sie die Röcke, die an sich nicht bis zum Knie reichten, und zeigten den Streifen fahlweißen Fleisches zwischen Strumpf und Hose, unter dem das grüne oder rosa Strumpfband lief. Sie tauschten ungeniert ihre Bemerkungen über die vorübergehenden Männer, warfen sich Zoten über die Straße zu, und ihre gierigen Augen suchten in der langsam an ihnen vorübertreibenden Menge die Ausländer, in deren Taschen Devisen zu erhoffen waren.

      Und zwischen Laster, Elend und Bettelei, zwischen Hunger, Betrug und Gift liefen die jungen, kaum schulentlassenen Mädchen aus den Geschäften mit ihren Kartons und Briefstapeln. Ihren raschen, sicheren Blicken entging nichts, und ihr Ehrgeiz war es, ebenso frech zu sein wie jene, sich von nichts imponieren zu lassen, vor nichts sich zu scheuen, ebenso kurze Röcke zu tragen, ebensoviel Devisen zu raffen.

      ›Uns imponiert nichts!‹ sagten ihre Blicke. ›Uns macht ihr Alten nichts mehr vor. Jawohl‹, sagten sie und schwenkten Mappen oder Schachteln, ›jetzt sind wir noch Ladenmädchen, Verkäuferinnen, Kontoristinnen. Aber es braucht nur einer ein Auge auf uns zu werfen, der kleine Japs da oder dieser Dicke mit den Koteletten, der seinen Bauch in einer karierten Flanellhose schwenkt – und wir lassen unsern Karton fallen, hier auf der Straße, jawohl, und heute abend sitzen wir schon in einer Bar und morgen haben wir ein Auto!‹

      Dem Rittmeister war es, als höre er sie alle rufen, schreien, jagen: nichts gilt außer Geld! Geld!! Aber auch das Geld galt nichts, in jeder Minute mußte der größtmögliche Genuß aus ihm herausgepreßt werden! Für was sich bewahren – für morgen? Wer weiß, wie morgen der Dollar steht, wer weiß, ob wir morgen noch leben, morgen drängen schon wieder Jüngere, Frischere an den Start – komm schon, alter Herr, du hast zwar schon weißes Haar – um so mehr mußt du dich daran halten! Komm, Süßer!

      Der Rittmeister erspähte den Eingang der Passage von den Linden zur Friedrichstraße. Er hatte sich immer gerne einmal das Panoptikum angesehen, er floh in den Ladengang. Aber es war, als sei er aus der Vorhölle in die Hölle geraten. Eine dicht gedrängte Menge schob sich unendlich langsam durch den strahlend erleuchteten Tunnel. In den Läden prangten riesige Ölschinken mit nackten Frauen, widerlich nackt, mit widerlich süßen, rosigen Brüsten. Unanständige Postkarten hingen in langen Wimpelketten überall. Es gab Scherzartikel, die einen alten Lüstling hätten erröten lassen, und die Schamlosigkeit der Aktfotos, die einem feucht flüsternde Männer in die Hand drückten, war nicht mehr zu überbieten.

      Aber am schlimmsten waren die Jungens. In ihren Matrosenanzügen mit der glatten, bloßen Brust, die Zigarette frei im Munde, glitten sie überall herum, sprachen nicht, aber sie sahen an oder berührten.

      Eine große, hellblonde Frau in tief ausgeschnittenem Kleid, sehr elegant, drängte sich, von einer ganzen Schar solcher Kerle geleitet, durch die Menge. Sie lachte überlaut, sprach heftig. Der Rittmeister sah sie ganz nahe, sein Blick fiel auf die schamlos entblößte, dick gepuderte Brust. Die Dame sah ihn lachend mit ihren unnatürlich erweiterten Pupillen an, die Augen waren blau-schwarz untermalt – und plötzlich überfiel ihn ein körperschüttelnder Ekel bei der Erkenntnis, daß dieses aufgedonnerte Weib ein Mann war, das Weib all dieser widerlichen Bengels und doch ein Mann –!

      Der Rittmeister drängte sich rücksichtslos durch die Menge. Eine Hure schrie: Bei dem Alten piept’s ja! Emil, lang ihm mal eine! Er hat mich jebufft! Aber der Rittmeister war schon draußen, erwischte eine Taxe, Schlesischer Bahnhof! sagte er und lehnte sich völlig erschöpft in die Kissen zurück. Dann zog er ein weißes, noch ganz unbenutztes Taschentuch aus dem Rock und wischte sich langsam Gesicht und Hände ab.

      ›Jawohl‹, zwang er sich, intensiv an anderes zu denken – und an was denn intensiver als an seine Sorgen? ›Jawohl, es ist wirklich nicht leicht, in dieser Zeit Neulohe zu bewirtschaften.‹

      Ganz abgesehen davon, daß der Schwiegervater ein Aas war (und erst die Schwiegermutter mit ihrer Frömmigkeit!), war die Pacht wirklich zu hoch. Entweder wuchs nichts, wie im vorigen Jahr, oder wenn etwas wuchs, hatte man keine Leute wie in diesem Sommer!

      Aber nach der Unterredung mit dem armen Studmann, den es auch schon angesteckt hatte und der sich wirklich reichlich verdrehte Ideen zurechtmachte, und nach diesem kleinen Spaziergang durch Friedrichstraße und Passage dachte der Rittmeister an Neulohe wie an eine reine, unberührte Insel. Gewiß, es gab ewig Ärger: Leuteärger, Steuerärger, Geldärger, Handwerkerärger (und der schlimmste von allen war der Schwiegerärger!), aber da waren nun Eva und Violet, die seit ihren Kindertagen nur Weio hieß.

      Gewiß, Eva war ein bißchen sehr lebenslustig, die Art, wie sie tanzte und mit den Offizieren in Ostade flirtete, wäre früher ganz unschicklich gewesen, und Weio hatte sich auch einen reichlich rüden Ton angewöhnt (ihre Großmutter kam wohl manchmal eine Ohnmacht an!) – aber was war das gegen dieses Elend, diese Schamlosigkeit, diese Sittenverderbnis, die sich am hellerlichten Tage in Berlin breit machten?! Der Rittmeister Joachim von Prackwitz war so und er blieb auch so, er hatte gar nicht die Absicht, in dieser Hinsicht sich zu ändern: eine Frau war aus feinerem Stoff gemacht als ein Mann, etwas Zartes, zu Verwöhnendes. Diese Mädchen da auf der Friedrichstraße – ach, das waren doch keine Frauen mehr. Ein wirklicher Mann konnte nur mit Schaudern an sie denken!

      In Neulohe hatten sie einen Garten, sie saßen abends in diesem Garten. Der Diener Hubert brachte Windlichter und eine Flasche Mosel, allenfalls sandte noch das Grammophon mit ›Bananen, ausgerechnet Bananen!‹ eine großstädtische Welle in das Blättergeriesel und Blütengedufte. Aber die Frauen waren bewahrt. Rein, sauber.

      Man konnte doch wahrhaftig nicht mehr mit einer Dame über die Friedrichstraße gehen, besonders dann nicht, wenn die Dame die eigene Tochter war! Und zu denken, daß ein herrlicher Kerl wie Studmann dieses Pack da von der Straße irgendwie beglücken wollte, sich irgendwie mit ihnen gleichstellen, und sei es nur, weil er wie die Geld verdienen mußte! Nein, danke schön. Daheim in Neulohe konnte man es vielleicht übertrieben finden, wenn die Deutsche Tageszeitung Berlin ein Sündenbabel, einen Asphaltsumpf, ein Sodom und Gomorra

Скачать книгу