Incels. Veronika Kracher

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Incels - Veronika Kracher

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2020 getätigten Umfrage auf dem Forum incels.co 96,2 Prozent der User der Ansicht sind, Medien würden Incels dämonisieren und unfair darstellen27, geben sie sich keinerlei Mühe, ihrer Selbstbezeichnung einer »Supportgruppe« gerecht zu werden. Von dem Selbstanspruch früher Incel-Gruppen, sich durch die eigene Sexlosigkeit nicht verbittern und frustrieren zu lassen, lässt sich in den aktuellen Foren kaum etwas finden. Für eine »Ehrenrettung« des Begriffs »Incel« ist es meines Erachtens zu spät; und es ist bezeichnend, dass Alana ihr aktuelles Projekt »Love, not anger« getauft und sich von dem Label »Involuntary Celibate« als Referenzpunkt verabschiedet hat.

      Wie bereits erklärt, basiert das Weltbild von Incels auf der sogenannten Blackpill-Ideologie, die auf der sogenannten Redpill aufgebaut ist. Der Begriff der Redpill stammt aus dem Film The Matrix, einem Film, der mit Lana und Lilly Wachowski übrigens von zwei trans Frauen gemacht wurde, und der inzwischen von Filmkritiker*innen als Allegorie auf eine Transition gelesen wird28 – was die antifeministischen und transfeindlichen Redpiller geflissentlich ignorieren. In Matrix wird dem Protagonisten Neo eine rote und eine blaue Pille angeboten; schluckt er die blaue, verbleibt er weiter in der Illusion der Matrix, schluckt er die rote, lüftet er den Schleier der Verblendung und erkennt die Welt, wie sie wirklich ist. Die Vertreter der Redpill betrachten sich selbst also als Erleuchtete, mit dem Fluch gesegnet, die Welt zu erkennen, wie sie in Wirklichkeit ist. Sie haben es geschafft, die Indoktrinierung durch »Fake News« und linksgrünversiffte Mainstream-Propaganda zu durchschauen.

      In ihren Augen ist die Welt eine von Kulturmarxismus und Political Correctness beherrschte Dystopie, in der Frauen Männer durch ihre Sexualität kontrollieren und mit feministischen Superwaffen wie »falschen Vergewaltigungsandrohungen« in Schach halten, und in der Männer so eingeschüchtert, verweichlicht und entmannt sind, dass sie nichts anderes tun, als jede erdenkliche Laune dieser kapriziösen Weiber zu erfüllen. Feminismus ist für Redpiller eine »sexuelle Strategie«, um Männer zu unterdrücken und zu kontrollieren. Frauen sind aus ihrer Perspektive von Grund auf verkommen, triebhaft, oberflächlich, hypersexuell, egoistisch, gleichzeitig dumm und manipulativ, und generell ganz schlechte Menschen. Diese Eigenschaften seien ihnen, so die immer biologistisch argumentierende Welterklärung, von Natur aus eingeschrieben und müssten durch das soziale Korrektiv des Patriarchats gebändigt werden. Kurz zusammengefasst erklärt sich das antifeministische, antisemitische und antikommunistische (drei Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die übrigens sehr gerne Hand in Hand miteinander gehen) Weltbild hinter der Roten Pille folgendermaßen:

      Die Vertreter der Frankfurter Schule haben sich direkt nach der Immigration in die Vereinigten Staaten die Universitäten und die Kulturindustrie unter den Nagel gerissen und begonnen, die amerikanische Bevölkerung mit ihrem egalitären Gedankengut zu indoktrinieren, was beispielsweise die Bürgerrechtsbewegung, die Frauenemanzipation oder die Proteste gegen den Vietnamkrieg zur Folge hatte. Dies führte dann auf direktem Wege zum Zerfall der bürgerlichen Kleinfamilie und dem Ende der patriarchalen Herrschaft. Inzwischen hält der »Kulturmarxismus« den westlichen Wertekanon fest umklammert. Der Begriff des »Kulturmarxismus« wurde übrigens bereits in den neunziger Jahren von reaktionären Kräften wie dem Antisemiten Lyndon LaRouche genutzt, um die Degeneration der westlichen Welt zu beschreiben. Vor allem aber drang er durch das Manifest des Massenmörders und Rechtsterroristen Anders Breivik ins öffentliche Bewusstsein, für den Feminismus und Sozialismus maßgeblich die Schuld am Untergang der weißen Rasse tragen. Denn, so die Redpill-Ideologie weiter, der Kulturmarxismus geht nicht nur mit dem Feminismus, sondern auch mit einer Agenda der Political Correctness und der Homolobby einher. Während Frauen sich geschlechtsfremden Anwandlungen wie dem Recht auf körperliche, berufliche und finanzielle Selbstbestimmung widmen, würden Jungen und Männer zunehmend ihrer natürlichen Männlichkeit beraubt. Sie studieren Geistes- statt Ingenieurswissenschaften, trinken Aperol Spritz anstatt Bourbon und wechseln die Windeln ihrer Kinder, statt ihre Partnerin zu verprügeln. Diese sozialistischfeministische Agenda sei inzwischen so weit gegangen, dass man als heterosexueller, weißer cis-Mann permanent unter der Fuchtel der matriarchalen Unterdrückung leben müsse; dank #MeToo darf man als erfolgreicher Produzent nicht einmal mehr Frauen vergewaltigen, ohne Konsequenzen zu erfahren. Zum Glück gibt es ein paar wenige mutige Männer, die gegen die Sexismus-Kritik der Feminist*innen und die Tatsache, dass man keine rassistischen Witze mehr machen darf, ankämpfen. Sie werden das Matriarchat stürzen, koste es, was es wolle!

      Das Patriarchat ist Vergangenheit, die Frankfurter Schule hat die Zügel der Gesellschaftsentwicklung in der Hand, wir bewegen uns unausweichlich auf den Kommunismus zu – wie sehr man sich doch wünscht, dass diese herumopfernden Verschwörungstheoretiker Recht hätten.

      Oftmals geht die Redpill-Ideologie Hand in Hand mit der Verschwörungstheorie des »Großen Austauschs«, die inzwischen Standard in einem rechtsradikalen Repertoire ist und von der AfD über Donald Trump und die Identitäre Bewegung bis hin zu Rechtsterroristen wie den Attentätern von Christchurch, Poway, El Paso oder Halle vertreten wird. Brenton Tarrant, der im März 2019 in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch eindrang und 51 Menschen muslimischen Glaubens ermordete, war von der paranoiden Angst vor dem »Großen Austausch« getrieben. Auch Stephan B., der Attentäter von Halle, nannte zu Beginn seines Livestreams den »Großen Austausch« als Grund für seine Tat. Während nämlich weiße Männer, Feminismus sei Dank, allesamt zu Pantoffelhelden verkommen seien, leiten jüdisch konnotierte »Eliten« und »geheime Kräfte«, allen voran George Soros, Ströme von Geflüchteten nach Europa und in die USA, auf dass diese dort weiße Frauen schwängern und sich vermehren. Dass Einzelpersonen wie der Holocaustüberlebende und liberale Philanthrop Soros, der seit Jahren Feindbild Nummer eins der weltweiten Rechten ist, Menschen zur Flucht bewegen, ist natürlich sehr viel wahrscheinlicher, als dass jemand vor Krieg, Hunger oder politischer und religiöser Verfolgung Schutz sucht. Die weißen Männer sind, je nach Auslegung, zu unmännlich geworden, um etwas gegen die einfallenden Flüchtlingshorden zu tun, oder sie empfinden sogar Lust bei dem Gedanken, dass die eigene Frau von einem hyperpotenten Schwarzen oder Araber penetriert wird. Gerade bei der Idee des »Großen Austauschs« fallen also Antisemitismus, Antikommunismus, Antifeminismus, Rassismus und Maskulinismus ineinander. Kein Wunder, dass sich diese Ideologie bei der Rechten einer derartigen Popularität erfreut, vereint sie doch sämtliche Kampffelder unter ihrem Schirm.

      Und, nun ja, dieser gesellschaftlich verordneten Entmannung kann man sich eben erwehren, indem man die »Rote Pille« schluckt, dem Feminismus den Kampf ansagt und seine ursprüngliche, harte Männlichkeit wiederentdeckt. Das erreicht man über die konsequente Abwertung von Frauen. Konkret äußert sich das beispielsweise darin, dass man sich maskulinistischen Gruppen wie den Pick-up-Artists oder »Men going their own way« anschließt.

      »Men going their own way« kann man sich als Gruppe vorstellen, deren Ziel es ist, Frauen zu boykottieren und autark von ihnen zu leben – strikt heterosexuell natürlich. Auch hier sind Frauen, die ein selbstständiges Leben führen, Ursprung allen männlichen Leids. In der Vorstellung von »Men going their own way« verbringen Frauen ihre Zwanziger damit, »das Schwanzkarussel zu reiten«, um sich anschließend, wenn sie alt und verbraucht sind, mit einem »Beta Male« zur Ruhe zu setzen und sich von diesem aushalten zu lassen. Aber auch dieser »Beta Cuck« wird mit allem betrogen, was sich die alternde Gattin noch krallen kann, weil: Frauen sind einfach wirklich schlechte Menschen, ausschließlich gesteuert von dem Wunsch nach sexueller Bestätigung. Das Einzige, was man dagegen tun kann, ist es, sich Heirat, Beziehungen, Frauen generell zu verweigern. Es gibt vier Level von »Men going their own way«. Auf Level null schlucken Männer die »Rote Pille« und erkennen die Welt als vom westlichen Marxismus gesteuert. Auf dem ersten Level verweigern sie sich langfristigen Beziehungen, auf Level zwei hat man auch keine kurzfristigen Beziehungen oder One-Night-Stands mehr. Auf Level drei ist man auch ökonomisch von Frauen unabhängig, man kann sich das Ganze quasi als eine gegen das weibliche Geschlecht gerichtete BDS-Bewegung vorstellen. Auf Level vier zieht man sich dann auch auf sozialer Ebene von Frauen zurück und lebt autark im Männerbund vor sich hin. Konkret »geht man den eigenen Weg«, indem man den ganzen Tag auf Reddit herumhängt und sich gegenseitig durch das

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