Palast aus Gold und Tränen. Christian Handel

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Palast aus Gold und Tränen - Christian Handel

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hatte ihre Verlobung gelöst und Björn verlassen, weil sie nicht mit dem Bärenzauber zurechtgekommen war. Der Morgen vor ein paar Monden im Garten der Hexe kam mir in den Sinn, an dem Rose herausgefunden hatte, dass Selkieblut in mir floss und ich Magie wirken konnte. Das hatte sie so geschockt – ich hatte wirklich geglaubt, sie würde mich verlassen. Doch unsere Liebe war stärker gewesen. Vielleicht dachte sie auch daran, denn sie sagte: »Von mir aus triff dich mit Irina. Meinen Segen brauchst du zwar nicht, aber du hast ihn.«

      Mit einem breiten Grinsen stürzte Björn zu uns und zog uns beide in eine Umarmung. »Danke, Rosalie. Ich wusste, auf dich ist Verlass.«

      »Du sollst mich doch nicht so nennen«, maulte sie und löste sich langsam von ihm. »Mutter habt ihr beide ohnehin schon um den Finger gewickelt, oder?«

      Björns Augen funkelten fröhlich. »Irina und sie kommen gut miteinander aus.«

      Ich griff nach Björns Hand und drückte sie fest. »Das ist schön, wirklich. Ich wünsche euch nur das Beste.«

      Björn grinste mir verlegen zu. »Genug von mir«, sagte er dann. »Meine Schwester behauptet, ihr wollt tatsächlich ins Zarenreich reisen?«

      Ich warf Rose einen Blick zu. Diese nickte. »Dann weißt du auch weshalb.« Nervös zupfte ich an meinem Ärmelsaum.

      »Ich würde euch ja begleiten, doch der Winter kommt früh im Zarenreich.«

      Davon hatte ich gehört. Oft setzte schon im Herbst Schneefall ein, und Björn konnte nicht riskieren, sich fernab der Heimat in einen wilden Bären zu verwandeln. Die kalte Jahreszeit verbrachte er seit dem Tod des Zwerges immer auf dem Hof seiner Eltern. Mir fielen die ganzen Tiere in und um Irinas Mühle wieder ein. Vielleicht würde er ja dieses Jahr den Winter bei ihr verbringen.

      Mir fiel ebenfalls wieder ein, dass ich in der Nacht zuvor von Schnee geträumt hatte.

      »Wann brecht ihr auf?«, fragte Björn.

      »Morgen gegen Mittag. Zuvor müssen wir noch auf den Markt«, antwortete Rose und warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf das Bett.

      Björn seufzte. »Dann heißt es also schon wieder Abschied nehmen.«

      Markttag

      Irinas Heiltrank schmeckte bitter. Nachdem ich wie von ihr angeordnet drei Tropfen davon auf meine Zunge hatte fallen lassen, wartete ich gespannt ab, ob etwas passierte oder ich mich anders fühlen würde. Als nichts geschah, verkorkte ich das Fläschchen wieder und stellte es auf das Schränkchen neben unserem Bett. Die Symbole auf meinen Armen blieben weiterhin zu blassen Tätowierungen erstarrt.

      Es beruhigte mich, dass sich daran auch nichts änderte, nachdem ich am nächsten Morgen mit Rose eine große Runde gelaufen war und meine Unterarme beim Waschen nicht aussparte. Wir waren mit der Sonne aufgestanden, weil wir an unserem letzten Tag auf dem Hof noch so viel erledigen wollten. An meine Träume in dieser Nacht konnte ich mich nicht erinnern.

      Der Markt auf dem Dorfanger fand nur einmal alle sieben Tage statt. Helene begleitete uns dorthin. Normalerweise bot auch sie an einem der Stände Waren feil. Am Morgen hatte sie jedoch erklärt, sie würde heute nicht verkaufen, sondern die Zeit mit uns verbringen. Nun schleppten Rose und ich üppig beladene Flechtkörbe, gefüllt mit Eiern, Milch und allerlei Eingekochtem, zu einem winzigen Tisch direkt am Dorfbrunnen, um den im Kreis herum die Händler ihre Stände aufgebaut hatten. Wir stellten sie bei der Fischer-Anni ab, die heute Helenes Ware für diese mitverkaufen würde. Helene selbst besuchte gerade die Dorfbewohner, für die sie gestern frisches Brot in ihrem großen Backofen hinter dem Haus mitgebacken hatte. Gemeinsam mit Rose schlenderte ich währenddessen die Stände entlang, um das einzukaufen, was wir für unsere anstehende Reise benötigten. Beim hübschen Johann kauften wir zwei Dutzend Streifen getrocknetes Rindfleisch und bei Wilhelm Ledermacher eine neue Halterung für Rose’ Wasserflasche sowie mehrere Ersatzriemen für unsere Schnürstiefel. Mir waren einmal die Bänder mitten in einer Berggegend gerissen, die nächste Ortschaft meilenweit entfernt, und ich legte keinen gesonderten Wert darauf, noch einmal eine ähnliche Erfahrung zu machen.

      Irinas Tisch stand im Schatten eines mächtigen Ahorns. Darauf befanden sich zahlreiche Schälchen, in denen getrocknete Pflanzen lagen, zusammengebundene Kräutersträuße, verschlossene Tiegel und schlanke, mit Wachs versiegelte Tonflaschen. Als Irina uns kommen sah, strahlte sie übers ganze Gesicht.

      »Selbst hier hüpfen Vögel um sie herum«, murmelte Rose.

      Ich stieß ihr den Ellenbogen in die Rippen.

      Wir warteten, bis Irina einer Kundin eine Salbe gegen Gelenkschmerzen verkauft hatte.

      »Wie geht es dir?«, fragte sie mich, nachdem wir uns begrüßt hatten.

      »Gut.« Das entsprach größtenteils der Wahrheit. Rein körperlich spürte ich vom Hexenfluch nichts. Es beunruhigte mich schlicht, dass die Symbole nicht verschwinden wollten – und dass uns die Zeit davonlief. Nicht zu wissen, was passieren würde, wenn die Symbole wieder zu wandern begannen, half nicht gerade dabei, ruhig zu bleiben.

      »Hast du Eberesche da?«, fragte ich, um mich abzulenken. Irina nickte. »Und ich brauche auch noch etwas getrockneten Klee.« Ich holte eine Glasphiole aus meiner Umhängetasche. Irina nahm sie entgegen und deutete mit dem Kopf nach rechts, wo eine große Weidenschale mit einem Tuch abgedeckt war. »Dort. Und Johanniskraut müsstest du auch finden. Ich habe es an Sonnwend geerntet.«

      Begeistert schlug ich das Tuch beiseite und betrachtete die Pflanzenbüschel, die darunter zum Vorschein kamen. Sowohl die roten Beeren der Eberesche als auch die gelben Blüten des Johanniskrauts versprachen Schutz gegen Geister, Elfen und allerhand anderes dunkles Gelichter. Ich wusste nicht genau, welche Wesen sich in den östlichen Wäldern herumtrieben, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Ganz sicher waren es nicht bloß Einhörner.

      »Wir sollen dir schöne Grüße von Björn ausrichten«, sagte ich möglichst beiläufig, während ich nach einem kleinen Sträußchen Lavendel griff. Er duftete nach Sommer und Frieden. Irina ging nicht darauf ein, doch ihr ganzes Gesicht begann zu strahlen.

      »Hast du gestern Nacht daran gedacht, den Trank zu nehmen?«, fragte sie, nachdem sie mir meine Einkäufe vorsichtig in ein Leinentuch eingewickelt und über den Tisch gereicht hatte.

      »Ja.« Beim Gedanken an den bitteren Geschmack der türkis­farbenen Flüssigkeit zog sich mein Mund zusammen.

      »Gut.«

      Rose half mir, das Bündel in meiner Tasche zu verstauen, während Irina begann, in der Weidenkötze zu wühlen, die neben ihr auf dem Pflaster stand.

      Als sie sich wieder aufrichtete, hielt sie ein dunkelgrünes Tuch in den Händen, das mit allerlei seltsamen Symbolen bestickt war – schlanke Runen, jedoch keine Insekten und Schlangen, wie ich erleichtert feststellte.

      »Schlagt das Buch darin ein«, wies sie uns an, als sie das Tuch Rose in die Hand drückte. »So oft wie möglich. Und passt auf, dass keine Ecke daraus hervorspitzt. Schnürt das Bündel damit zusammen.« Sie holte eine gedrehte Kordel aus hellen Wollfäden hervor. Ich war gespannt, wie lange sie auf der Reise, die uns bevorstand, sauber bleiben würde.

      »Da ist noch etwas«, murmelte Irina leise, während sie mit gesenktem Kopf die getrockneten Pflanzenstängel auf dem Tuch vor sich sortierte. »Wenn … Falls ihr der Baba Yaga wirklich begegnet …«

      »Ja?«

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