Palast aus Gold und Tränen. Christian Handel

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Palast aus Gold und Tränen - Christian Handel

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Hexe.

      Ich schnaubte. »Verrat du mir erst deinen.«

      Wieder musterten wir uns und selbst die Zeichen auf meiner Haut erstarrten für einen Augenblick, als wollten sie abwarten, was als Nächstes geschah.

      »Margarete«, flüsterte die Hexe.

      Zorn durchflutete mich, heißer und heftiger als der Biss der Hexenmale.

      »Du hast kein Recht auf diesen Namen!«, fauchte ich, hob den Arm und stieß die Spitze des Dolches direkt ins Eis. Als das Silber das gefrorene Wasser berührte, verwandelte es sich in einen Spiegel. Plötzlich sah ich nicht mehr den Schemen meiner Gegnerin, sondern mich. Ausgehend von der Stelle, auf die ich mit dem Dolch eingestochen hatte, zogen sich haarfeine Risse über die Oberfläche. Gleichzeitig trug mich mein eigener Schwung nach vorn. Während um mich herum Teile des Spiegels in einem Splitterregen zu Boden fielen, machte ich einen Ausfallschritt.

      Und plötzlich, von einem Augenblick auf den anderen, befand ich mich nicht mehr auf einem Bergpfad in der Anderswelt, sondern auf einem bewaldeten Hügel. Die Bäume um mich herum waren einfache Bäume, in deren Unterholz Wildtiere raschelten. Es roch auch nicht mehr nach Glockenblumen, sondern nach Pilzen, Holz und Erde. Und neben mir stand Rose.

      Ich befand mich im Zarenreich. Von der Hexe war weit und breit nichts zu sehen.

      »Na, das ging ja wirklich schnell«, sagte Rose und wandte sich mir zu. Als ihr Blick auf mich fiel, riss sie die Augen auf. »Geht es dir gut?«

      Ehe ich antworten konnte, hörten wir hohe, klagende Laute.

      Schwanensee

      Was ist das?«, fragte ich. Die Geräusche klangen surrend, eindeutig nicht menschlich, doch voller Emotion. Die Härchen in meinem Nacken richteten sich auf. Rose umgriff ihren Kampfstab und zuckte mit den Schultern. »Sehen wir nach.«

      Zügig schritten wir zwischen den Bäumen hindurch, meine Finger schlossen sich fest um den Dolchgriff – Rose’ Dolch. Als wir in der Abenddämmerung aus dem Schatten der Bäume traten, bot sich uns ein seltsamer Anblick. Ein See lag wie ein glitzernder Lapislazuli im Talkessel. Der Abhang vor uns war, anders als die anderen um das Wasser herum, völlig frei von Baumbestand und mit Gras bewachsen. Am Ufer des Sees, wo der Boden abflachte, hatte jemand einen notdürftigen Lagerplatz aufgeschlagen: eine kleine Gruppe Männer und Frauen in kostbaren Gewändern, die um eine Feuerstelle herumstanden und mit in den Nacken gelegten Köpfen in den Himmel starrten. Dort kreisten sieben Schwäne in der Luft. Sie waren nicht weiß wie die meisten ihrer Artgenossen, und auch nicht schwarz wie manche von ihnen, sondern silbern. Die Strahlen der untergehenden Sonne glänzten auf ihren Federn und verwandelten die Vögel in gleißende Lichtgeschöpfe. Sie streckten die langen Hälse aus und stießen mit ihren Schnäbeln jene Geräusche aus, die wir als klagende Laute wahrgenommen hatten. Das Seltsamste an ihnen war jedoch weder die Färbung ihres Gefieders noch ihre schaurig-berührenden Rufe, sondern die ungewöhnlich langen Schnäbel, die sie im Flug leicht geöffnet hatten. Sie waren fast so lang wie die von Störchen und ich fragte mich, ob sie ebenso lange Beine hatten oder wie sie sonst ihr Futter suchten. Dann jedoch war dieser Gedanke vergessen und ich verlor mich in der Schönheit des Augenblicks, im Anblick dieser majestätischen Vögel, die fliegenden Edelsteinen gleich über dem Wasser kreisten.

      Wie die Menschen am Ufer, standen Rose und ich einfach nur da und lauschten ihrem seltsamen Gesang. Tränen stiegen mir in die Augen. Ob das daran lag, dass ich so berührt von der Begegnung mit den wilden Tieren war oder am strahlenden Licht, das ihre Federn reflektierten, wusste ich nicht.

      Erst als dieses Strahlen langsam nachließ, wurde mir bewusst, dass die Sonne bereits fast hinter den Bäumen untergegangen war.

      Ohne Vorwarnung wurde das Klagen der Schwäne schriller. Einer der Vögel löste sich aus der Kreisformation und flog im Sturzflug auf die Wasseroberfläche zu. Die anderen schlossen sich ihm an. Ihr Gesang verstummte. Im ersten Moment glaubte ich, sie wollten sich wie Taucher aus großer Höhe in den See stürzen. Dann wieherten Pferde erschrocken auf und ich begriff, dass die Vögel nicht auf das Wasser zustürzten, sondern die Menschen dort anvisierten.

      »Muireann!« rief Rose in diesem Moment.

      Sie hatte bereits ihren Kampfstock in beide Hände genommen und rannte den Abhang hinunter.

      Die Schwäne stürzten sich auf die Menschen. Ihre langen Schnäbel erinnerten mich plötzlich an Schwerter. Die Fremden schienen noch immer wie in Trance, begriffen nicht, was um sie herum wirklich geschah.

      »Achtung!« brüllte ich, doch sie hörten mich nicht. Wie der Wind flog auch ich bergab. Ich musste den Drang unterdrücken, Rose’ Dolch aus der Scheide zu ziehen. Stattdessen angelte ich nach der Schleuder und dem kleinen Säckchen, die Seite an Seite an einer meiner Gürtelschlaufen angebracht waren. Noch im Laufen löste ich den Verschluss und holte eine Handvoll spitzer Steine hervor. In die Menschen am Ufer kam endlich Bewegung.

      »Deckung!«, rief einer der Männer und griff in die Lagerfeuerstätte, um einen schweren Ast emporzureißen. Ein anderer zerrte derweil ein Kurzschwert aus der Scheide und stellte sich schützend vor eine hochgewachsene Frau in einem atemberaubenden Gewand. Da waren die Schwäne allerdings auch schon heran. Der erste stürzte sich auf den dritten Mann, der wie vom Donner gerührt dastand. Verzweifelt beobachtete ich, wie der Schwan seinen Schnabel tief in seine Brust stieß und wieder herausriss. Blut spritzte in pulsierenden Strömen aus dem Oberkörper des Mannes und er sank wie ein Stein zu Boden. Zwei junge Frauen, die etwas abseits von den anderen standen, schrien laut und das Gras färbte sich um den Gefallenen herum rot, während der Schwan sich mit kräftigen Flügelschlägen in den Himmel erhob. Auch sein Schnabel glänzte rot. Das sollte gar nicht möglich sein! Woher nahm der Vogel die Kraft, seinen Schnabel so tief in den Brustkorb eines ausgewachsenen Mannes zu stoßen, das Leder und den Stoff seines Hemdes und die Haut zu durchstoßen, Fleisch, Sehnen und Muskeln zu durchdringen und dann aus eigener Kraft den Schnabel wieder zurückzureißen?

      Der halbe Abhang lag zwischen mir und der Stelle, an der der Mann gestürzt war, aber ich blieb stehen. Schnell verlagerte ich mein Gewicht auf mein hinteres Bein und packte den ersten Stein in die Schleuder. Mit kräftigen Armbewegungen brachte ich sie zum Kreiseln und konzentrierte mich auf eine der mörderischen Bestien, die von dem Mann mit dem Kurzschwert verjagt worden war und gerade zu einem Sturzflug auf die beiden kreischenden Frauen ansetzte.

      Ich ließ den Stein fliegen.

      Ich hatte auf die Brust des Vogels gezielt, das Geschoss schlug jedoch zu weit rechts ein. Der Schwan wurde aus seiner Flugbahn gerissen und sackte nach unten. Einer seiner Flügel hing kraftlos herunter, der Vogel trudelte hilflos dem Boden entgegen. Der erste Kämpfer fackelte nicht lange. Kaum war das Tier auf dem Boden aufgekommen, packte er den Ast, den er aus der Feuerstelle gezogen hatte, mit beiden Händen und schlug der Bestie kräftig auf den Kopf. Das Knacken konnte ich bis hier hören. Der Vogel regte sich nicht mehr.

      Inzwischen war Rose am Ufer angelangt und stellte sich neben den Schwertträger und die prächtige Dame, hinter deren Rücken die beiden anderen Frauen geflüchtet waren. Drohend hielt sie ihren Eschenstab erhoben und wehrte damit einen der Silberschwäne ab. Der Schwertkämpfer trennte derweil einem anderen den Kopf vom schlanken Hals. Das Blut, das diesmal das grüne Gras verdunkelte, stammte von einem der Monster. Stumm zollte ich dem Fremden meinen Respekt. Es konnte gar nicht so einfach gewesen sein, die kurze Schwertklinge am langen Schnabel des angreifenden Vogels vorbeizumanövrieren und dem Biest den Garaus zu machen.

      In meiner Hand kreiselte unterdessen die Schleuder, beladen mit einem weiteren Stein. Der Schwan, auf den

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