Hol über, Cherub. Hans Leip

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Hol über, Cherub - Hans Leip страница 6

Hol über, Cherub - Hans Leip

Скачать книгу

nur Zufallstreffer konnten sich hierher verirren, und gegen Zufälle ist auch im tiefsten Keller niemand sicher. Die Bomber würden sich hüten, ihre teure Last unnütz wegzuplempern. Immer war es hier bislang gutgegangen, kaum eine Scheibe entzwei. Und im Keller waren anderswo schon Leute erstickt oder ertrunken, während die, die auf der Etage geblieben, heil davongekommen waren. Das bißchen letzte Freiheit auch darin, so sagte sich Herr Pambel weiter, sollte ihm keiner rauben. Mochte es draußen noch so impertinent nun brummen und röhren und knallen und jaulen, mochten die Wände beben und die Fenster klirren, hier war ein wackeres Herz, das einem anständigen Schicksal vertraute. Und eigentlich war es nun doch bedauerlich, daß Bili gegangen war, jetzt, wo Gelegenheit gewesen wäre, zu erkennen, daß er so alt denn doch noch nicht sei, um etwa zu zittern, und auch, wie wenig stichhaltig ein Urteil sein kann, das von einem verzwickten Einzelfalle her vorschnell den Stab über einen ganzen Charakter zu brechen sich unterfangen hatte. Ich bin nicht feige, Bili, sieh es selbst! Und selbst damals war ich es im Grunde nicht.

      Und damit gedachte er des grausamen Tages vor Verdun, und es war über ein Vierteljahrhundert her, wo er, schon Feldwebel, seinen Zug an ein — wie er durchschaut zu haben gemeint — sinnloses Unternehmen hatte setzen sollen. Selbst damals, Bili, war es mehr Liebe und Eifersucht, und wenn der andere denn schon Leutnant war, gut, sollte er den Vortritt haben, und wenn er dich so liebte wie ich, Bili, so sollte er wissen, daß ich mich nicht vor die Hunde schicken ließe, damit er deshalb triumphiere, weil er vielleicht übriggeblieben wäre. Was also blieb dem Ehrgeizling zu tun, als selber zu gehen, nachdem allerdings das üble Wort aus seinem Munde gezischt war, das alberne Wort: Feigling. Mir hing es seitdem an, ich weiß, aber übler war doch noch, daß er mit einem Heimatschuß davonkam und nach Haus und es ausnutzte und du sein Opfer wurdest, Bili, indes ich mich weiter schinden mußte. Laß nur, ich habe späterhin mein Teil Vergnügen anderweitig gefunden, zupackend immer, nie feige, nur gewitzt, wie auch jetzt. Er aber ist dahin.

      Nun begann Herr Pambel sich doch zu ärgern; nie hatte die alte Wunde der Ehre so geschmerzt wie jetzt in dem Radau, der allzu deutlich an den damaligen Tag der Bitterkeit erinnerte. War nicht sein ganzes Leben nachmals eine einzige Verschanzung dagegen gewesen? Was hatte es genützt? Der eigentliche Anlaß, das schnippische Mädchen Bili, war übriggeblieben und war wieder aufgetaucht, ihn aufzuscheuchen aus seiner mühsam gewonnenen Mauer und Selbstherrlichkeit, aus seinem Versteck unter den anderthalb Millionen Kreaturen, die als zusammengepferchtes Gebilde der Weltstadt nun zu nichts gut waren, als eine perfide Verlockung abzugeben für die teuflische Erfindung der Bomberheuschrecken und ihm eine persönliche unliebsame Felderinnerung heraufzubeschwören. Würde nur noch gefehlt haben, daß Bili ihm hingeschluchzt hätte, nicht alt sei er, sondern tatsächlich zu feige, sein Herz aus der verspakten Kapsel zu reißen, sein altes, einstmals so glühendes Herz. Das war es, und das mußte sie gemeint haben, und nun, gewiß, nun hatte er endgültig versagt.

      Mochte es ihn denn treffen in seine letzte unbehagliche Erniedrigung und Verlassenheit, mochte es doch jählings durchs Dach auf ihn niederfahren, das Auslöschende, vor dem er sich damals gedrückt. Er wollte nicht mit der Wimper zucken.

      Und siehe da, in diesem Augenblick warf ihn ein jäher, furchtbarer Luftdruck wirklich fast aus dem Bette. Das Haus schien sich zu heben im Krachen eines nahen Einschlags. Halb betäubt sammelte sich Herr Pambel: Ruhe! Ruhe! murmelte er: Hier war es nicht ... Er horchte angestrengt.

      Das Gebelfer und Geballer verzog sich ferner und ferner, Geschrei kam von der Straße auf und verging wieder. Herr Pambel, benommen von seiner lange nicht mehr geübten Selbstzerfaserung mehr als von dem Schreck, redete sich gut zu, die fruchtlosen innerlichen Seziermesser sinken zu lassen. Soll ich nun aufstehen? fragte er sich. Aber da es ruhig blieb und er allen unliebsamen Anblicken so lange wie möglich aus dem Wege zu gehen pflegte, er auch des Hauswarts schrille Stimme aus der Tiefe des Treppenhauses schallen hörte: Immer sachte, Herrschaften, sachte, sachte, hier ist nichts passiert!, hielt er es denn für tapferer, liegenzubleiben, und schlief darob unversehens wieder ein.

      Das Fenster seines Schlafzimmers ging auf magere Hintergärten und stand bei geschlossenen Vorhängen weit offen in der warmen Sommernacht. Der wieder anschwellende Lärm der Straße drang nur gedämpft herein, eben genügend, um die Schauer der Schlacht von einst in Herrn Pambels Traum nicht verebben zu lassen. Schon auch flackerte Abschein von den brennenden Häuserblocks jenseits der Bäume über sein Bett, denn Wind kam auf und blähte und lüpfte den Vorhang, Wind, von den Flammen gezeugt, von den gewaltigen Bränden in benachbarten Stadtvierteln, wo das Feuer in allerlei geheimen Fabrikbeständen reiche Nahrung fand. Von dem Wind aber wuchsen die Flammen um so mehr, selbst hier, wo nur wenige Bomben gefallen waren, und der Wind war es, der Herrn Pambel aufs neue weckte, war er doch zu Zeiten ein flotter Sportsegler gewesen und hatte ein Ohr dafür behalten.

      Es weht! sagte er erstaunt: Und wie! Da wird es den Sonntag regnen, und ich wollte Bili anrufen, ob man vielleicht nicht im Grünen etwas gelüfteter und vernünftiger sich werde aussprechen mögen. Denn gerade hatte ihm geträumt, daß Herr Blomengart, ausgerechnet dieser Herr aus dem dritten Stock des Hauses, gegen den als Kaufmann und Hanseat kaum etwas zu beanstanden sein durfte, daß also Herr Blomengart mit dem – wie man sagte – sonderbaren Familienleben und dazu in einer phantastischen fasanenhaften Bonzenuniform mitten im Verduner Schlachtenzauber eine Einladung zum Segeln habe an Bili ergehen lassen.

      Und indes Herr Pambel, noch mit geschlossenen Augen und zur Wand gedreht, darüber zu lächeln versuchte und auch den langgezogenen Jammerton der Luftentwarnung zu hören meinte, vom Winseln des Windes kaum unterscheidbar, und er aufatmete, spürte er das Zucken des Feuerscheins auf den Lidern, und zugleich griff ein stickiger Brandgeruch ihm bis in die Lungen. Im Nu war er auf, fuhr in die Hausschuhe, in den Hausmantel, versuchte vergebens, Licht anzuknipsen, sank wieder aufs Bett, vom Weine ein wenig schwindlig. Es sind die Häuser drüben! sagte er sich, aber ein verdächtiges Knacken und Zischen wurde jetzt stärker und war nahebei, und drei Sekunden später wußte er, daß es auch bei ihm, und zwar in seiner Küche, brenne.

      Aha! sagte er laut: Wäre ich jetzt im Keller, ginge hier alles zum Teufel. Und er stürzte sich auf die vorschriftsmäßig bereitstehenden Löschgeräte, legte sogar eine Gasmaske an, riß sie aber bald wieder herunter, da er zu ersticken glaubte, schleuderte Tüten mit Sand, zertrümmerte das Fenster, damit der fürchterliche Rauch abziehe, und wollte den Schlauch in Betrieb setzen, der Jahr und Tag seit Kriegsbeginn, an den Wasserhahn im Flur geschroben, gewartet hatte und nun, wo es soweit war, versagte, das heißt, die Zufuhr blieb aus. Jedoch auch dafür war vorgesorgt, die Badewanne stand gefüllt und ein Eimer bereit. Es handelte sich, wie bald zu erkennen war, nur um eine der kleineren Stabbrandbomben, die durch Dach und Decke in den Küchenschrank gefahren war, wo sie an aufgestapelten Vorräten, an Butter, Nudeln, Zündhölzern und was dort alles junggesellig beieinander lagerte, zumindest eine Menge Stoff zur Qualmentwicklung gefunden hatte.

      Bili wäre nun wirklich nur im Wege gewesen, sagte er sich, den Eimer schwingend: Es ist keine Zeit, die Vernichtung der guten Sachen zu bejammern, aber eigentlich hätte sie erleben müssen, wie ich der prekären Sachlage Herr geworden bin.

      Mit der nassen Feuerpatsche schlug er die letzten Glimmstellen und Funken aus, erfischte dann mit der Schaufel den Rest der Bombenhülse, die zu fauchen aufgehört hatte, und warf ihn in den Wassereimer, alles so, wie es der gelegentliche Kursus einem ganzen Volke beigebracht hatte. Von draußen flackerte eine Ahnung durch den dicken, im Winde quirlend abziehenden Schwalch von dem Unglück, das die Nachbarhäuser getroffen.

      Gerettet! lobte Herr Pambel sich, schnüffelte aber zur Sicherheit auf dem unausgebauten Teil des Dachbodens umher. Unterdessen kam Frau Möff herauf, die Frau des Hauswarts, die seine Wohnung in Ordnung zu halten pflegte, seit es keine Tagmädchen mehr gab. Sie schien mächtig aufgeregt, ihre Taschenlampe zitterte, aber Herr Pambel rief ihr beschwichtigend zu: Alles schon gelöscht, ohne fremde Hilfe, sehen Sie, wie gut, daß ich immer oben bleibe. Und nun alle Mann aufs Dach, um uns vor dem Funkenflug zu schützen. Die andern haben weniger Glück gehabt.

      Frau Möff, endlich

Скачать книгу