Hol über, Cherub. Hans Leip
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Ich hätte Bili einiges zu erzählen, nickte Herr Pambel, und Bilis Schwägerin bemühte sich, das Bedauern zu dämpfen, daß sich der verdreckte Besucher auf einem der guten Sessel niedergelassen habe. O nein, fuhr sie mit mitleidender Stimme fort: Bili hat genug mit sich selber zu tun; sie wollte schon immer aufs Land, um ihren eigenen Kohl zu bauen, wie sie sich’s so vorstellt. Und nun, wo sie in ihrem achtbaren Eifer oder in der Verwirrung sich bereit erklärt hat, sich mit einigen armen Würmern, unmündigen Nachbarskindern, Vollwaisen oder so zu belasten, wird es auch wohl das Beste sein, und was wir dabei helfen können, soll geschehen, obwohl wir nur einen Ziergarten haben und selbst sehr beschränkt sind ...
Das sehe ich, sagte Herr Pambel höflich und starrte eine Weile benommen vor sich hin. Er überhörte die zögernde Frage, ob ihm mit etwas gedient werden könne, das Bad sei allerdings im Augenblick ... auch werde Egon, Bilis Bruder, der Hausherr, auf Urlaub erwartet, und die Betten wären schon durch andere Ausgebombte ...
Herr Pambel empfahl sich plötzlich, und die Dame öffnete alle Fenster, um den schaurigen Brandgeruch und den Dunst sanitärer Maßnahmen, den er hinterlassen, aus den Zimmern loszuwerden.
Es war später Nachmittag, als er an den Stadtkern zurückgelangte, um nach seinem Kontor zu sehen, vage hoffend, dort eine Nachricht von Bili vorzufinden. Er kam nicht weit, die absperrenden Posten verlangten seinen Ausweis.
Der ist im Koffer, erwiderte er, und auf einmal begann er zu toben, er, der bis dahin stets einsichtig friedsame Bürger und ehrbare Kaufmann, und bezichtigte Gott und die Welt, Europa, Amerika und den weißen Mann im allgemeinen und im besonderen als wahnsinnig und hirnverbrannt, sich das bißchen gegenseitige Dasein so widerlich zu versauen; und sie blickten ihn verkniffen lauernd an, ob er nicht noch persönlicher werde, zuckten die Achsel, grinsten: Armer Teufel! und von dieser Sorte haben wir mehr ... und ließen ihn laufen.
Da gelangte er denn mit fliegendem Atem hin an den Ort, wo er die langen Jahre umsichtig ud geschickt gewirkt. Nun war da nichts als eine schaurige traurige Lücke, zackig umrahmt von ausgebrannten Kulissen, und er fand seinen Prokuristen am Werk, mitten in den noch schwelenden, stinkenden Trümmern und unter Aufsicht eines Stahlbehelmten den Geldschrank herauszugraben.
Warum noch? äußerte Herr Pambel da, und sein Herz hatte sich gefaßt, und er vermochte sogar zu lächeln: Die wichtigen Dokumente sind alle in meinem Koffer.
Und er ging davon, und es war ihm sonderbar leicht zumute in der Gewißheit, von Eigentum und Geschäftssorgen nun unbeschwert zu sein. Die jüngeren Angestellten würden schon irgendwo unterkriechen, es war überall Mangel an Arbeitskräften; für den grauhaarigen Prokuristen aber würde er loyal über die Bank das Nötige hergeben. Und nun auch fand er die Kraft, Herrn Blomengart aufsuchen zu wollen, um ganz nachbarlich mit ihm zu reden, von Mensch zu Mensch, und ihm den heftigen Ton abzubitten und auch den Verdacht, den er wegen Bilis, wenn auch nur gleichsam im Traum, gegen ihn gehegt. Vielleicht auch – und dieser Gedanke zeugte noch von der alten Betriebsamkeit – würde Herr Blomengart sogar, um die Betretenheit nach solcher Erörterung zu überbrücken, von seinen ausgedehnten Räumen einen Winkel abzweigen für Herrn Pambels bescheidenere Firma und so die echte Volksgemeinschaft beweisen können, von der er hin und wieder groß geredet haben sollte.
Entschlossen betrat Herr Pambel den fast unversehrten Eingang der mächtigen Kontorfassade, trat in das von Marmor strotzende Vestibül und – blickte ins Freie, blickte über unabsehbare Schutthügel hin in eine Landschaft einsamer, zerspellter, hohlfenstriger Mauern und nackter, ausgeglühter, verbogener Eisengerüste, darüber in den qualmigen heißen Glast der Stumpf des Turmes einer alten Kirche ragte, der vormals schönsten der Stadt.
Also auch hier! murmelte Herr Pambel erschüttert, und er drosselte die aufschießende Genugtuung über die gleichmachende Gerechtigkeit des Unheils mit der Vermutung, Herr Blomengart habe nicht nur das kostbare Gemälde gerettet, sondern wohl auch wesentliche Teile des Betriebes rechtzeitig verlagert. Und das Unglück werde ihn wohl reif gemacht haben, nunmehr der Familie der verständnisvolle Gatte und Vater zu sein. Andere haben mehr verloren. Bili zum Beispiel, und ich Bili. Aber Bili hat ja schon Ersatz. Welche Verzweiflungstat: drei unmündige Waisen! Sie wird womöglich Herrn Blomengart als Vormund einsetzen, dachte er gepeinigt.
Da, mit einem elend hilflosen Seitenblick, merkte er, daß einige Leute an der üppigen Flurtäfelung lehnten. Er kniff die entzündeten Augen, murmelte: Guten Tag! und Wie furchtbar ist doch alles!, sah näher hin und fuhr zusammen. Es waren Leichname, ein halbes Dutzend, brettersteif gegen die Wand gestellt, wohl um sie so am besten aus dem Wege zu haben und für die, welche danach suchten, rasch erkennbar zu halten. Herr Pambel stand eine Weile nicht weniger gelähmt als in der Nacht vor der heranrasenden Feuersbrunst, und hier nun sang kein Vogel ablenkend und betört, nur die welke Geranie war da als Trost und fiel lautlos auf die Fliesen vor die verkohlten Füße der Armen, von denen vier nackt waren wie auf den Kirchenbildern der Auferstehung, und mochten wohl keine vierundzwanzig Stunden vordem noch junge lebendige Mädchen gewesen sein, zu vielerlei Wirken, Lust und Süße geschaffen, und es waren ihnen die kunstseidenen Sommerfahnen abgesengt und die lustigen Haare, darin an den Abenden und Sonntagen der Wind gespielt und die Hand vielleicht eines Liebsten oder gar des Chefs. Und Herr Pambel erkannte, daß einer der beiden anderen Toten, deren Anzugstoffe der fressenden Glut ein wenig besser getrotzt, Herr Konsul Blomengart sei.
Männer in grau gestreiften Jacken polterten herein, luden sich die Entseelten auf und schleppten sie auf einen Lastwagen, wo mehr davon lag. Der Geruch des verbrannten Fleisches und Zeugs mischte sich mit dem von Zuchthaus, Kresol und Schnaps. Der begleitende Polizist musterte Herrn Pambel scharf: Wollten Sie hier plündern? Herr Pambel wies, der Sprache nicht mächtig, hinter Herrn Blomengart her. Der Beamte meinte zu erraten: Nee, nee, Privatbestattungen gibt’s nicht mehr. Der Tote hat die Nummer – er blätterte in dem Pack Zettel, den er mit dem Handschuh hielt – Nummer 13 559. Etwaige Meldungen bei der Sofortstelle.
Bald danach kam Herr Pambel an dem Schaufenster einer Buchhandlung vorbei, die erhalten geblieben schien. Dort hingen Bilder von der Stadt, wie sie vormals gewesen. Ach, sagte er laut gegen das halb erblindete Glas, das ihn undeutlich als ein fremdes gebücktes Ungeheuer widerspiegelte: Ich möchte etwas über Landwirtschaft! ... Sein Blick fiel auf einen Titel, der hieß: Einsamkeit. Er nickte betroffen: Ist es das? Ja, das ist es, was für mich übrigbleibt. Und ihm fielen Bruchstücke der Verse ein, die Bili ihm empfohlen hatte, und er meinte, sie besser zu verstehen als zuvor, und er begann, indes er sich entfernte, darüber vor sich hin zu reden, als spreche er mit Bili.
Du siehst mich weich, Bili, sagte er über seine verbundene Hand hin und stolperte über einen Feuerschlauch, sprach aber weiter: Und das hat mit Feigheit nichts zu tun, im Gegenteil. Auch bedarf ich keines Trostes, sondern ich will klar sehen, und das kann man nicht aus Zeitungsartikeln oder Börsennachrichten; das hab ich vorher geahnt, aber es war mir bequemer, es bei der Ahnung bewenden zu lassen. Was läutet mir nun von dem, was du Klarheit und Trost genannt, ich aber verkappte Pastorei, was glitzert, nein, was dämmert mir da entgegen von Menschlichkeit, Güte und Milde? Nicht, daß ich eine Nutzanwendung auf meine Person erwarten möchte. Ich brauche nichts, es ist alles von mir abgefallen, was ich vormals als unumgänglich angesehen, und ich fühle mich entsprechend leichter. Das mag eine vorübergehende Täuschung sein. Vielleicht werde ich auch noch ans Heulen und Zähneklappern geraten wegen meines armseligen Bißchens, aber die Dämmerung bleibt, und selbst wenn ich mit Anklagen und Flüchen sie verscheuchen wollte. Und daß dergleichen hat geschrieben werden dürfen, Bili, uns zum Trost oder zum Hinweis in einer Form, die das, was man als Kind aus der Bibel erfuhr, auf eine Weise ergänzt, die uns das andere wieder nahezubringen vermöchte, daß also derlei nicht verboten wird in einer Ära, wo das Hurra jede Friedlichkeit zu übertrumpfen hatte,