Hol über, Cherub. Hans Leip
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Er wandte sich beherzt zurück. Kaum war in dem lodernd hinfetzenden Qualm die Richtung zu erkennen. Er gedachte nunmehr der kleinen Figur aus Kopenhagener Porzellan, die Bili ihm den Abend mitgebracht! Vielleicht könnte man auch einen richtigen Mantel, einen Hut und was nicht alles noch aus dem alten, treuherzigen Eulennest herausvoltigieren, wo er doch so lange friedlich und nett gelebt.
Da sah er plötzlich und ehe er die Kreuzung bewältigt hatte, eine ungeheure brodelnd tobende Feuermauer durch den Dunst auf sich zukommen; Gestalten hetzten davor her, Männer, Frauen, Kinder brachen zusammen, wurden überrannt. Er sah, wie jemand aus dem Knäuel der Stürzenden wieder aufsprang und rückwendend beschwörend die Arme gegen die heranrasende feurige Brandung reckte, sah, wie Kleidung und Fleisch von diesen Armen schulterzu aufrollten und das bloße Skelett gegen die Lohe ragte, ehe der Mensch dort zu Boden schlug und verschlungen ward. Herr Pambel starrte verzerrt. Abschwenken! Ausweichen! Links ab in die Querstraße! dachte er instinktiv, aber seine Schuhe klebten am Boden und die Knie versagten ihm.
Der Asphalt brennt! gurgelte es überschlagend vielstimmig durch den Orkan. Und da sah er sich selber die Arme abwehrend aufrecken wie der Unglückliche eben dort hinten. In der Rechten hielt er, weiß der Himmel, immer noch den Kanarienkäfig, die Finger in das dünne Gestänge verkrallt, und der Vogel lebte noch und, o schaurige Süße, sang, sang betrunken von der heranfegenden Helle und Glut, als sei die Sonne der Tropen, unvergessen trotz hundertjähriger Verzüchtung, eben strahlend aufgegangen.
Herr Pambel sah es, sah die kleine geblähte schluchzende Kehle wie an einem lebendigen Scherenschnitt, schwarz vor dem Gleißenden, und die tausendfachen qualvollen: Hätte ich doch ... und: Jetzt müßte man dies ..., die sein Hirn durchsausten, wurden still in der einen unsagbaren Anstrengung des Lauschens, ob nicht ein wenig doch des Getrillers zu vernehmen wäre, wie ein silbern schaukelnder Lamettafaden etwa, dünn und lieblich wie die Linie Licht, die von der Kerze über die porzellanene Hüfte der kleinen Tänzelfigur gehuscht war den Abend und in den blanken Fingernägeln Bilis sich wiedergefunden hatte und in ihren noch immer schönen und sehnsüchtigen Augen. Nichts, nichts war zu hören als das Brüllen der Feuerlawine und das berstend wiehernde Gelächter des Unterganges, und schon wurde Herr Pambel gepackt von der Gewalt des Luftwirbels, wurde emporgerissen und wieder zusammengestaucht und lag betäubt hingeschmettert, indes die Flammenwalze, von dem Sog der Seitenstraße erfaßt, heulend die Richtung wechselte dahin, wo Herr Pambel soeben noch hatte flüchten wollen; und es war, als habe eine übermächtige Weisung Notiz genommen von seiner dürftigen Person oder von dem kleinen betörten gefangenen Sänger in seiner Hand.
Als Herr Pambel wieder zu Bewußtsein kam, brannten die Häuser noch immer, aber die Flammen hatten nun überall Raum im Geborstenen und Eingestürzten und rasten nicht mehr wie in einem Kesselschachte durch die Schlüfte der Straßen. Dachstühle brachen zusammen und Fußböden, das Glück der Wohnungen begrabend; die Funkengarben schossen himmelhoch, höhnische Ehrensalven der siegreichen Elemente, und vergingen in der kilometerhohen Dunstkappe, die sich über die gepeinigte Stadt zog. Kaum drang noch der Schein der Flammen hindurch, kaum die Sonne. Es war finster in den mürben Schluchten, die von Menschen gebaut und von Menschen zerstört worden. Herr Pambel mußte annehmen, er habe nicht lange gebraucht, um nach dem harten Aufschlag, der ihm den Helm geraubt, wieder zu sich zu kommen. Er tastete an sich herum, ob er noch heil sei, und glaubte schon, in seinem Blute zu schwimmen. Es war aber die Nässe der gebrochenen Wasserleitung, die sich über den Kraterrand ausgebreitet und zur Erhaltung derer beigetragen hatte, die hier niedergesunken waren.
Ich lebe noch! sagte sich Herr Pambel, versuchte auch gleich, das Kanarienhähnchen zu erkennen, dessen Bauer er nicht aus den Fingern gelassen. Aber die Tür des Käfigs war dem Prall nicht gewachsen gewesen und stand offen; der Zwitscherling war nicht mehr da; war entflohen oder auch davongeblasen, die leichte sonnengelbe Flocke, vielleicht noch immer voll seligen Irrtums jubilierend oder auch erstickt und verbrannt.
Herr Pambel weinte darüber eine Zeitlang vor sich hin, fast so wie Bili den Abend geweint. Er flüsterte ihren Namen, als sei sie der entwetzte oder umgekommene kleine Vogel oder auch die Tänzerin aus Porzellan, die er nicht mitgenommen hatte. Schließlich ermannte er sich, vermochte sich sogar zu erheben, ächzend von mancherlei Ungemach. Sie lebt! murmelte er angestrengt: Sie lebt, und ich werde zu ihr gehen und ihr einiges zu sagen haben.
Und auch die Vorstellung eines guten Morgenkaffees in ihrer freundlichen Wohnung spornte seine schmerzenden Schritte an.
Aber die Straße, wo Bili gewohnt, war nicht mehr zu finden, nur weglose Schutthalden überall, aus denen einzelne Gemäuer wie gigantische Grabsteine aufstachen, einzelne so schmal und schwebend wie windzerfranste Pappeln. Der Tag schien hier, neblig von Kalkstaub, etwas heller; denn der Qualm war geringer, hier hatten vor allem Luftminen gewütet. Und dort, wo an dem aufgesprengten Innern einer fünfstöckigen Rückwand der Rest der Treppen sich wie ein riesiger Lindwurm schlängelte, mußte im dritten Stock Bilis Wohnung gewesen sein und daneben die Frau Blomengarts, die seit etwa einem Jahr von ihrem Manne getrennt lebte.
Herr Pambel kletterte in dem Sturzacker des Verderbens umher. Bili! Bili! keuchte er, und die Verzweiflung ließ ihn eine Weile seine Schmerzen vergessen. Zwischen den herausgefetzten zerknüllten Adern und Nerven des Hauses, den Wasser- und Stromleitungen fand er den Brocken eines Balkons und daneben, fast ganz erhalten, nur des Topfes beraubt, eine blühende Geranie, wie Bili sie so treulich gepflegt. Er brach einen der prallen, glühend roten Blütenbälle ab und trug ihn, den langen Stengel mühsam mit den verbrannten Fingern haltend, taumelnd davon.
Bei einem Trupp Soldaten, die eine Ecke weiter ein Loch in den Schutt gewühlt und die dort Verschütteten herausholten, blieb er stehen und stierte offenen Mundes auf das jämmerliche blutige Gerümpel, das einmal Mensch gewesen sein sollte. Heiser schrie er auf, ohne Ahnung, daß er selber nicht viel besser aussehe, deutete flackernd auf die Stätte, unter der, wie er zu fühlen meinte, sein Herz und Dasein begraben lag.
Die Soldaten winkten hartgesotten ab, dort sei schon alles heraus, das meiste sogar lebendig.
Bili lebt! lachte Pambel, und es fiel ihm selber auf und war ihm peinlich, wie merkwürdig sein Lachen klang.
Er torkelte weiter, die Geranienblüte schwingend. Jetzt klar denken, Pambs, klar denken, nur das vermag zu lenken! redete er sich gut zu und strengte sein Gedächtnis an, Verwandte und Bekannte Bilis aufzuzählen, aber es fiel ihm nichts ein außer Herrn Blomengart und schließlich einer Schwägerin. Aber da er Herrn Blomengart den Gefallen nicht tun wollte, ausgerechnet bei ihm nach der Freundin seiner Frau zu fragen, die allem Anschein nach versucht hatte, eine aus wer weiß was für nichtigen Gründen zerplatzte Ehe wieder zurechtzuflicken, und dabei selber womöglich diesem so kühl, so betont überseeisch geschnittenen, mit einem Diener und dem Konsultitel behafteten Herrn ein wenig ins Garn zu geraten, in Gefahr gewesen sein mochte, blieb nur übrig, den weiten Weg in den Vorort zu der Schwägerin Bilis anzutreten, und Herr Pambel ließ sich kaum Zeit, nachdem ihn eine Sicherheitsstreife gegen seinen Widerspruch zur Hilfestelle geschleppt hatte, bepflastert und verbunden zu werden und den entzündeten Augen etwas gegönnt zu sehen und einen Schlag Suppe aus der Feldküche zu schlürfen.
Mit einem der Militärlastwagen, die für den Verkehr überall eingesetzt waren, gelangte er hinaus und erfuhr, immer noch in Schlafanzug und Hausmantel und den Ruinen der Hausschuhe, Bili habe dort angerufen. Ja, dort im Unberührten, zwischen heilen Dächern, sonnigen Straßen, blanken Fenstern und sauberen Gärten ging sogar noch das Telefon. Sie habe alles verloren und müsse also ein neues Leben anfangen, und es sei ihr gerade recht.
Und nach mir ist nicht gefragt worden? sagte Herr Pambel leise.
Die Dame musterte die zerschundene Gestalt, die vorgab, ein guter Freund Bilis zu sein, und in der dick