Ausgewählte Wildwestromane von James Fenimore Cooper. James Fenimore Cooper
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Читать онлайн книгу Ausgewählte Wildwestromane von James Fenimore Cooper - James Fenimore Cooper страница 107
Die Reihe kam jetzt an den Richter, sich seiner Obliegenheit zu entledigen. Sie bestand in einer kurzen verständlichen Zusammenfassung der Zeugenaussagen, wobei er auf den Kunstgriff, den sich der Anwalt des Gefangenen erlaubt, aufmerksam machte, und die Tatsachen in ein so augenfälliges Licht stellte, daß nicht wohl mehr ein Mißverständnis stattfinden konnte.
»Wir leben, meine Herren«, schloß er, »an den Grenzen des gesellschaftlichen Verbandes, und es wird daher doppelt notwendig, die Diener des Gesetzes zu unterstützen. Wenn ihr den Zeugen, wie sie die Handlung des Gefangenen darstellten, Glauben beimeßt, so ist es eure Pflicht, das Schuldig über ihn auszusprechen; wenn ihr aber der Ansicht seid, daß der alte Mann, der heute vor euch erscheint dem Konstabler kein Leid zu tun gedachte, sondern mehr unter dem Einfluß der Gewohnheit als von einem bösen Willen geleitet handelte, so ist es zwar auch eures Amtes, über ihn zu richten, aber es mit Milde zu tun.«
Wie früher verließ die Jury ihre Loge nicht, sondern nach einer kurzen Beratung stand der Obmann abermals auf und erklärte, der Gefangene sei »schuldig«.
Dieser Ausspruch erregte nur wenig Überraschung im Gerichtssaal, da die Zeugenaussagen, die wir großenteils übergangen haben, zu klar und bestimmt waren, um nicht volle Beachtung zu verdienen. Die Richter schienen eine solche Wendung vorausgesehen zu haben; denn auch unter ihnen fand – gleichzeitig mit der der Jury – eine Beratung statt, und die vorangehenden Bewegungen auf der Gerichtsbank verkündigten die Publikation des Urteils.
»Nathanael Bumppo«, begann der Richter, indem er nach Nennung des Namens die übliche Pause eintreten ließ.
Der alte Jäger, der bisher, den Kopf auf die Schranke gelehnt dagesessen, erhob sich jetzt und erwiderte alsbald in militärischem Tone: »Hier!«
Der Richter winkte mit der Hand zum Schweigen und fuhr fort – »Bei Fällung des Urteils hat sich der Gerichtshof ebensosehr durch die Rücksicht auf Eure Gesetzesunkenntnis wie durch die dringende Überzeugung leiten lassen, wie wichtig es sei, ein Verbrechen, dessen Ihr Euch schuldig gemacht habt, zu bestrafen. Er hat Euch daher in Anbetracht Eurer Jahre die gesetzliche Strafe des Auspeitschens auf dem bloßen Rücken in Gnaden erlassen; da aber die Würde des Gesetzes eine offene Zurschaustellung der Folgen Eures Verbrechens fordert, so ist verordnet worden, daß Ihr von diesem Zimmer aus nach dem öffentlichen Stock geführt und daselbst auf eine Stunde eingesperrt werden sollt; daß Ihr eine Strafe von hundert Dollar bezahlt, daß Ihr in dem Gefängnis des Bezirks eine dreißigtägige Haft zu bestehen habt; und daß ferner die Zeit Eurer Haft nicht früher erloschen sein solle, bis die besagte Strafe bezahlt ist. Ich halte mich daher für verpflichtet, Nathanael Bumppo – –«
»Und wo sollte ich das Geld hernehmen?« fiel ihm Lederstrumpf hastig ins Wort, »wo soll ich das Geld hernehmen? Ihr zieht das Schußgeld für die Panther zurück, weil ich einem Hirsch den Hals abgeschnitten, und wie soll ein alter Mann soviel Gold oder Silber in den Wäldern finden? Nein, nein, Richter, bedenken Sie sich eines Besseren und reden Sie nicht davon, mich für den kurzen Rest meines Lebens in ein Gefängnis einzusperren.«
»Wenn Ihr etwas gegen den Urteilsspruch vorzubringen habt, so wird Euch der Gerichtshof anhören«, versetzte der Richter mit Milde.
»Ich habe genug dagegen vorzubringen«, rief Natty, während seine Finger, konvulsivisch zuckend, in die Schranken griffen. »Wo soll ich Geld hernehmen? Laßt mich in die Wälder und auf die Berge, deren reine Luft ich zu atmen gewöhnt bin, und trotz meiner siebzig Jahre will ich mich Tag und Nacht abmühen, bis ich die Summe abbezahlt habe, ehe noch der Herbst vorüber ist, wenn Ihr überhaupt noch genug Wild übriggelassen habt. Ja, ja, – Ihr seid wohl vernünftig genug, um einzusehen, wie schändlich es wäre, einen alten Mann einzusperren, der seine Tage dort zugebracht hat, wo er, sozusagen, immer in die Fenster des Himmels sehen konnte.«
»Ich muß mich durch das Gesetz leiten lassen – –«
»Reden Sie mir nicht von dem Gesetz, Marmaduke Temple«, unterbrach ihn der Jäger. »Kümmerte sich das Tier des Waldes auch um Eure Gesetze, als es nach dem Blut Ihres eigenen Kindes hungerte und dürstete? Sie kniete vor ihrem Gott um eine größere Gunst, als ich jetzt erbitte, und er erhörte sie; und wenn Sie jetzt zu meinem Flehen nein sagen, glauben Sie, Er werde es nicht mitanhören?«
»Meine persönlichen Gefühle dürfen nichts gemein haben mit –«
»Hören Sie mich, Marmaduke Temple«, fiel ihm der alte Mann mit wehmütigem Ernst ins Wort, »und Sie hören die Stimme der Vernunft. Ich habe diese Berge durchwandert, als Sie noch nicht Richter, sondern ein Kind in den Armen Ihrer Mutter waren; und ich fühle es, daß ich ein Recht habe, sie wieder zu durchstreifen, ehe ich sterbe. Haben Sie die Zeit vergessen, als Sie an das Seeufer kamen, wo noch kein Gefängnis da war, um ehrliche Leute hineinzusperren? Und habe ich Ihnen nicht meine eigene Bärenhaut zum Kissen überlassen und mit dem besten Stück eines edlen Bocks Ihren Hunger gestillt? Ja, ja, damals hielten Sie es für keine Sünde, einen Hirsch zu töten! Ich tat dies, obgleich ich keinen Grund hatte, Sie zu lieben; denn Sie haben denen, die mich liebten und schützten, nur Leid angetan. Und nun wollen Sie mir meine Freundlichkeit damit bezahlen, daß Sie mich in Ihre Kerker schließen? Hundert Dollar! Woher sollte ich das Geld nehmen? Nein, nein, man sagt Ihnen wohl Schlimmes nach, Marmaduke Temple, aber Sie können nicht so schlecht sein, um zu wünschen, daß ein alter Mann im Gefängnis sterbe, weil er sich um sein Recht wehrte. Kommt, guter Freund, laßt mich gehen; ich bin lange genug unter diesem Gedränge gewesen und sehne mich wieder nach den Wäldern. Sie haben nichts von mir zu besorgen, Richter, – gewiß, Sie haben nichts von mir zu besorgen; denn solange es noch Biber genug an den Strömen gibt oder die Hirschhaut noch einen Schilling gilt, soll die Strafe bis auf den letzten Penny bezahlt werden. Wo seid Ihr, Jungen, kommt, kommt, meine Hunde! Wir haben eine saure Arbeit für unsere Jahre; aber sie soll getan werden – ja, ja, ich habe es versprochen, und so soll es geschehen!«
Es ist unnötig, zu sagen, daß Lederstrumpfs Bewegung sogleich durch den Konstabler gehemmt wurde; aber ehe er noch Zeit hatte zu sprechen, zogen ein lebhaftes Geräusch und ein lautes »Hem!« alle Augen an das Ende des Saales.
Es war Benjamin gelungen, sich einen Weg durch die Volksmassen zu bohren, und man sah ihn jetzt seinen kurzen Körper mit einem Fuß in einem Fenster und mit dem anderen auf der Geschworenenloge balancieren. Zum Erstaunen des Gerichtshofes schickte sich der Hausmeister augenscheinlich an zu sprechen. Nach einigen vergeblichen Anstrengungen brachte er aus seiner Tasche einen kleinen Beutel zum Vorschein, und nun erst fand er Laute.
»Wenn es Euer Gnaden genehm ist«, begann er, »dem armen Teufel einen neuen Kreuzzug gegen die Bestien zu gestatten, so ist hier eine Kleinigkeit, welche die Gefahr desselben ein bißchen vermindern wird; denn es sind gerade fünfunddreißig spanische Taler darin, und ich wünschte aus dem Grunde meines Herzens, um des alten Knaben willen, daß es echte und gerechte britische Guineen wären. Das ist aber leider nicht der Fall, und wenn Squire Dickens so gut sein will, dieses Stückchen Rechenholz zu überzählen und soviel aus dem Beutel zu nehmen, als zur Tilgung der Striche erforderlich ist, so mag er den Rest aufbewahren, bis Lederstrumpf mit besagten Bibern handgemein wird, oder meinetwegen auch für immer, – er braucht mir keinen Dank dafür zu sagen.«
Nach diesen Worten streckte Benjamin mit der einen Hand das Kerbholz hinaus, auf dem sein Schuldregister im ›Kühnen Dragoner‹ verzeichnet war, während er mit der anderen seinen Beutel mit Dollars anbot. Das Erstaunen über diese sonderbare Unterbrechung veranlaßte ein tiefes Schweigen im Saal, welches nur durch den Sheriff unterbrochen wurde, der mit seinem Schwert auf den Tisch schlug und rief:
»Stille!«
»Man muß der Sache ein Ende machen«, warf der