Gesammelte Beiträge von Max Weber. Max Weber
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Die Motive und meist auch die Mittel waren analog denjenigen, welche schon in den Inschriften der Sumererkönige und in dem ältesten israelitischen Gesetz zutage traten. Die ökonomisch waffenfähige Bauern-und Kleinbürgerschaft, welche militärisch jetzt nicht mehr zu entbehren war, verlangte (wie die Kleinbürger und Bauern des Orients) Beseitigung der Reste der privaten Selbsthilfe (des »Fehderechts«, könnte man sagen), der rein mit Traditionen und Präjudizien arbeitenden Rechtsprechung und der Gerichtsklientel, durch Kodifikation und bürgerliche Rechtspflege. Sie verlangte Beseitigung der persönlichen Schuldver knechtung, speziell aber des Druckes der Geldschulden und ihrer Wirkung: der Besitzdeklassierung der kleinen Besitzer, durch Beseitigung der Schuldsklaverei, Zinsschranken, Kommassationsschranken. – Die radikalen Vertreter der Deklassierten verlangten: Neuverteilung des Landes und Schulderlaß: da die große Masse des Landes durch Verpfändung in die Hände des Adels gelangt war, war die erstere im Grunde nur eine schärfere Form der letzteren7. Die »Aisymneten« suchten Kompromisse zu schaffen. Neben der Fixierung der Bußsätze, Beseitigung oder Milderung der Schuldhaft geht das Bestreben einher, die Angriffe auf den bestehenden Besitz zu paralysieren und die Quellen der Differenzierung zu verstopfen. Am weitgehendsten ist in Solons revolutionärer Maßregel der Seisachthie – Erlaß aller auf dem Boden und der Person ruhenden Pfandschulden – den Bauern entgegengekommen worden. Verbunden mit dem Freikauf der nach auswärts veräußerten attischen Schuldknechte entsprach sie dem politischen Sinn des Vorgangs: Erhaltung des Hoplitenheeres, auf dem von nun an die militärische Macht des Staates allein ruht. – Natürlich ist diese Tendenz keine ungebrochene, überall gleichmäßig wirkende. Die Tyrannis vor allem ist natürlich, so fest sie sich zunächst auf die »entrechteten« Klassen stützt, doch in erster Linie politische Usurpation und arbeitet als solche mit mannigfachen Mitteln. Unverkennbar ist in Althellas ein theokratischer Einschlag; wie die Orakel später auf seiten der Perser stehen, so finden sich – ganz wie im Orient – zwar nicht die alten aristokratischen Priestergeschlechter, wohl aber allerhand Propheten mit den »Tyrannen« zusammen. Die sizilische Tyrannis wiederum hat in ihrer späteren Zeit, einen von der althellenischen stark abweichenden Charakter. Sie geht damals Hand in Hand mit der vielfach sicher zugewanderten Geldaristokratie. Aber auch die politischen Mittel der älteren Tyrannengenerationen in Sizilien: Eingemeindung ganzer Stadtgemeinden und sogar landfremder Söldner in die eigene Polis, sind orientalischen Charakters, waren auf Kolonialboden, nicht in Althellas, möglich. – Allein durchweg zeigen die sachlichen Neuerungen, und zwar diejenigen der »Gesetzgeber« ebenso wie der »Tyrannen«, ein doppeltes Gesicht. Einerseits vertreten beide die »Stadtwirtschaft« und ihre Interessen gegen die Monopolisierung der politischen Macht seitens der alten »Geschlechter«, der ökonomischen Macht seitens der (alten und neuen) Geld- und Menschenbesitzer. Das Bündnis mit den Bauern, auf dem der Grundsatz, daß »ganz Attika eine Stadt« sei, beruhte, bringt dies politisch zum Ausdruck. Die Rechtssicherheit und die Unabhängigkeit des Rechts von der Traditionen- und Präjudizienjustiz der patrimonial-sakralen Gerichte des Adels wird, neben der Kodifikation, auch – so von Peisistratos – durch Sicherung einer rein amtlichen Rechtspflege in den Dörfern geboten (Peisistratos reiste selbst auf die Dörfer zur Rechtsprechung, später finden sich wenigstens für Bagatellsachen reisende δικασταὶ κατὰ δήμους): ebenfalls eine Analogie zur deuteronomischen Gesetzgebung. Wir finden auch unter den wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Tyrannen Periandros, Theagenes, Kleisthenes, Peisistratos, ebenso wie in den Gesetzgebungen des Zaleukos und Solon, eine ganze Anzahl solcher, welche dieser Tendenz angehören. Die strenge Kontrolle des »Luxus«, welche oft bis zu sehr eingreifenden Luxusverboten geht, richtet sich teils vom ständischen, teils vom kleinbürgerlichen Standpunkte gegen die Differenzierung der Lebenshaltung als Bedrohung der bürgerlichen Gleichheit. Das Verbot des Sklavenerwerbs durch Periandros und in anderen Staaten – in Phokis und Lokris bis in die klassische Zeit bestehend – und die versuchten Einschränkungen der Bodenakkumulation durch Solon suchten ökonomisch die Besitzverschiebung an der Wurzel zu treffen. Aber: die Beseitigung der Schuldhaft und die Austilgung der ständischen Differenzen zwischen den bodenbesitzenden Bürgern (politische »Bauernbefreiung«) einerseits, das Verbot der Zuwanderung der Bauern in die Stadt andererseits, sind Korrelate. Mehrfach ist der Versuch gemacht worden, die Bauernschaft durch staatliche Bindung des Bodens zu sichern: so in dem Verbot des Verkaufes an die Stadt (πρὸς τὸ ἄστυ) d.h. damals: an den Adel. Das häufige Verbot des Auf- und Vorkaufs, des Zwischenhandels (Zaleukos) und der Getreideausfuhr gehört in die gleiche Kategorie, wie die entsprechenden Maßnahmen der mittelalterlichen Stadtpolitik, nicht minder die Bestrafung des Müßiggangs und der Bettelei. Man erstrebt durch diese typisch wiederkehrenden – und vermutlich eine Reihe in den gleichen Zusammenhang gehöriger – Maßregeln eine Stabilisierung der kleinbürgerlichen »Nahrungen«. – Schließlich aber bedeuteten, wenigstens in den großen Seestädten, die Maßregeln der Gesetzgeber ebenso wie die Politik der Tyrannen im Erfolg doch wesentlich die Koordination des neuen, auf Handel und Geldbesitz in erster Linie, beruhenden, spezifisch städtischen Reichtums mit den alten Geschlechtern. Die solonische Gesetzgebung hat wahrscheinlich (wennschon Br. Keils Argumente vielleicht nicht absolut zwingend sind) bereits die Zulassung zu den Klassen auf Geldschätzung des Einkommens gegründet, also den Boden der bäuerlichen Hoplitenpolis bereits verlassen. Und die merkantilistische Begünstigung der gewerbetreibenden Metoiken, welchen – im Gegensatz zu der Politik der späteren Demokratie – durch die Erleichterung des Zutritts zum Bürgerrecht zugleich der Bodenerwerb in Attika ermöglicht und damit die Erhaltung ihres Vermögens für Athen begünstigt wird, kennzeichnen die Rücksichtnahme auf das Bündnis der Geld (und deshalb: Menschen) besitzenden Klassen. Die Zulassung der Oelausfuhr bei Verbot der Ausfuhr anderer Bodenprodukte entspricht dem antiken agrarischen (Plantagen-)Merkantilismus. Die Bauernfreundlichkeit ist also nur Mittel zum politischen Zweck: – der gleiche Zug tritt in Periandros Gebot für die Bauern, sich der städtischen Tracht zu enthalten – um ihnen den Stadtaufenthalt zu verleiden – und in den erwähnten Bauernzuwanderungsverboten hervor. – Die verschuldete, depossedierte und in die Stadt gedrängte Landbevölkerung wurde zugleich, wie in Rom, nach außen abzulenken gesucht: Die attischen Kleruchien auf Salamis mit ihrem Rückenbesitzzwang und Verpachtungsverbot – solche Auflagen sind auch bei politisch motivierten Kolonien später noch vorgekommen, die letztere aber nicht ausnahmslos – hatten neben dem unmittelbar militärischen wohl auch diesen bevölkerungsentlastenden Zweck; sicherlich hatten ihn die Koloniegründungen der Tyrannen, welchen als »Arbeitslosenbeschäftigung« im Innern Staatsbauten entsprechen. – Stabilisierung der Nahrungen zur Vermeidung des Entstehens sozial deklassierter Bürgerschichten, daher Reglementierung des Verkehrs ohne zu starke Schädigung der Erwerbschancen ist die typische Parole dieser Epoche. –
Der Ständekampf hat daher keineswegs nur zu so relativ »klaren« Typen, wie etwa: Thessalien, Sparta, Athen, sondern naturgemäß zu den allerverschiedensten Kompromissen und Kombinationen geführt, von deren Inhalt die sozialen Gemeinschaften des platten Landes stark beeinflußt wurden. Leider ist wenig ganz Sicheres feststellbar. Ziel der »demokratischen« Bewegung war vor allem: Zertrümmerung des festen, auf der Bindung des Bodens in der (erweitert gedachten) Hauskommunion beruhenden, Zusammenhangs der »Geschlechter« und Brechung ihres übermächtigen Einflusses in den lokalen und personalen Verbänden: Dorf und Phratrie. Das »Dorf« (κώμη, später: δῆμος) hat als Wirtschaftsgemeinschaft natürlich immer fortbestanden. Aber der Geschlechterstaat ignoriert es politisch und die Geschlechter mit ihrem Besitz standen zweifellos (wie unsere Rittergutsbesitzer) de facto außerhalb der Dorfverbände, schufen oft