Gesammelte Beiträge von Max Weber. Max Weber
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Auch in Athen ist diese Entwicklung nur stoßweise vollzogen worden, zuerst auf der Basis der Bildung von Neugeschlechtern. Ob die Frage nach ihrer Teilnahme an dem gentilizischen Kult des Ζεῦς ἑρκαῖος und Ἀπόλλων πατρῷος, die an die antretenden Archonten gerichtet wurde (Angabe des Ortes war dabei gefordert: es entspricht dies Qualifikationserfordernis etwa dem »Hantgemal« unseres Mittelalters) nach der kleisthenischen Reform mehr bedeutete als das Erfordernis für den amerikanischen Präsidenten, geborener Amerikaner zu sein, steht dahin. Die erbliche Zuschreibung aller Adligen und aller Neubürger je zu einem bestimmten Demos durch Kleisthenes wird auch der Beseitigung der Bedeutung gerade dieser Frage gedient haben: er »macht alle Athener adlig«, heißt es daher von ihm: jeder hatte eben jetzt seine »Heimatsgemeinde«. Für die Zeit vor Kleisthenes beweist jene Frage aber, daß die Umgestaltung der Verfassung seit der Zeit, daß die Ratsgeschlechter, die aus ihren Burgen (Dekeleia z.B. war eine solche Geschlechterburg) synoikisiert waren, aus ihrer Mitte die Archonten wählten, bis zu dieser Umgestaltung des Kleisthenes sich im Rahmen der Gentilverfassung bewegte. Die sog. »solonischen« Klassen sind wohl sicher älter als Solon: sie dienten der Abstufung der Bürgerfron-, Abgabe- und Wehrlasten wie in der Frühzeit Roms. Wenn Drakon alle ökonomisch Waffenfähigen, Solon auch die unterhalb des Zeugitenzensus Stehenden, zum aktiven Bürgerrecht zuließ, und dabei die Amtsqualifikation lediglich an jenen Klassenzensus knüpfte, so müssen die außerhalb des alten Stadtadels (ἀστοί) der Eupatriden stehenden Bürger, um z.B. Archonten werden zu können, jedenfalls künstlich als Neugeschlechter (gentes minores) organisiert worden sein, – wie dies das bald nach Solon folgende, allerdings halbrevolutionäre Kompromiß-Archontat von zwei Demiurgen (angesichts jenes Erfordernisses der Teilhaberschaft am Kult des Zeus Herkaios), unbedingt voraussetzt. Geschlechtszugehörigkeit aber bedeutete unter allen Umständen vor Kleisthenes auch die Bodensässigkeit als Amtsqualifikation, denn ohne Bodenbesitz ist ein »Geschlecht« nicht denkbar. Aber im Gegensatz zu Elis finden wir noch nicht die »Demoi« als unterste Einheit. Die vom Adel beherrschte Phratrie, nicht wie in Elis, der Demos, behält damit in Athen die praktisch so wichtige Führung der Bürgerliste. Noch fehlt das »Dorf«: die »Naukrarien« bedeuten keine eigentlichen Gemeindeeinheiten, sondern Lastenrepartition auf lokaler Basis. Die Exportpolitik zugunsten des Oelbaus und der Töpferei und die Währungsreform zugunsten des Handels zeigen ja, mit dem Getreideausfuhrverbot zusammen, deutlich genug, daß Solons Reform keineswegs etwa primär: Bauernpolitik war.
Die Uebermacht des alten Adels in den Phratrien blieb also nach Solon ungebrochen. Daher begann die Verschuldung, der Kampf des rentelosen gegen den rentegebenden Boden (wie man es ausdrücken könnte) in Gestalt des Gegensatzes des Pedia (Adel und neue Grundrentner) gegen die Bauern, der Küstenbevölkerung gegen die binnenländischen Agrarier, von neuem. Die peisistrateische Politik warf die alten Geschlechter zu Boden und stützte sich auf die Bauern. Ihre Maßregeln gegen den Adel (außer: Konfiskationen) sind im einzelnen nicht bekannt (Cauer baut hier auf etwas unsicherem Boden). Die kleisthenische Politik endlich suchte umfassende Eingemeindung von vermögenden Neubürgern (Metoiken, auch Freigelassenen) im Interesse der politischen Machtstellung mit Vernichtung der gentilizischen Gliederung des Staates zu verbinden. Die Eingemeindung des Adels in die Dörfer einerseits, Einfluß auch der Nichtadligen in den Phratrien andererseits sollen erzwungen werden. Zu diesem Zweck wird eine ganz neue, die Geschlechtsverbände absichtlich zerschneidende, rein lokale Einteilung des Staates vorgenommen. Jedermann, auch der Städter, erhält seinen lokalen »Demos«, dem er staatsrechtlich dauernd und erblich angehört. Die Begründung des Staates auf diese »Demoi«, in Verbindung mit der Berufung an die Volksgerichtsbarkeit und dem Ostrakismus, nannte man damals »Demokratie«. Sie war noch nicht identisch mit »Volkssouveränität« in irgendeinem Sinn. Zwar der Areiopag, der sich selbst ergänzende Ausschuß der Geschlechter, der ursprünglich (nach Aristoteles) die Beamten ernannte, später umgekehrt sich aus ihnen ergänzte, war aus seiner alten, die Beamten, speziell die Rechnungsführung, kontrollierenden Stellung teilweise schon vor Kleisthenes herausgedrängt: die Schaffung der gewählten Bule der Prytanen gehört schon der Zeit der Adelsherrschaft an. Eine Entwicklung der Stellung des Areiopags nach Art des römischen Senates, dem er entsprach, war schon damit erschwert. Aber der Areiopag bestand doch als Kassa tionsinstanz gegen gesetzwidrige (insbesondere: gegen das göttliche Recht verstoßende) Beschlüsse der Ekklesia fort, und erst der Gesetzgebung des Ephialtes und Perikles fiel er zum Opfer. Dieser Zustand entsprach dem endgültigen Begriff der radikalen »Demokratie«. Die »attische Demokratie« entspricht insofern der Souveränität des englischen Parlaments weniger als derjenigen der amerikanischen Union, als eine Rechtsänderung in Athen an bestimmte Formalien geknüpft ist, und jeder Bürger gegen einen rechtswidrigen Volksschluß Kassationsklage (beim Volksgericht!) erheben kann. Aber die Souveränität der attischen Ekklesia steht dennoch wesentlich über derjenigen der Komitien im römischen Staatsrecht, nach welchem nicht nur Verletzung des göttlichen Rechts einen Volksschluß