Auf phantastischen Pfaden. Группа авторов
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Keine Lüge, Effendi, keine Lüge, wenngleich mir bewusst ist, dass es an der Oberfläche wie eine aussehen könnte.
An der Oberfläche, sagst du? Da bin ich ja gespannt. Aber fasse dich kurz. Meine Ohren sind langes Zuhören nicht mehr gewohnt.
Suchend sah sich Halef nach etwas um, das ihm in dem dämmrigen Grün eine Hilfe sein könnte. Dann hatte er einen Einfall.
Es ist wie der Schott el Dscherid, o Effendi, fuhr er fort. Von Weitem betrachtet sieht er aus wie ein großer, flacher und ausgetrockneter See. Eine Kruste aus Salz glitzert in der Sonne, der Wanderer macht sich dafür bereit, Schrunden an den nackten Füßen zu bekommen, sich vielleicht die Zehen aufzuschürfen …
Du sollst dich kurz fassen, habe ich gesagt. Ich bin nicht von gestern. Er rieb sich die Ohrmuscheln, als schmerzten sie von Halefs Rede.
Halef nickte eifrig.
Unter diesem See, dem Schott, verbirgt sich eine ganze Welt, er beschrieb mit dem Arm einen Bogen, diese, deine Welt. Es ist ganz anders hier unten, als man sich das oben jemals vorstellen könnte. Genauso, mein Herr, verhält es sich mit meiner Pilgerfahrt.
Der Wächter rollte mit den Augen und steckte sich einen Finger in das Ohr. Nachdem er ihn ein paar Mal hin- und hergedreht hatte, forderte er Halef auf, weiterzusprechen.
Du bist doch hier schon eine Ewigkeit, Herr?
Vom Anbeginn der Zeiten bis zu deren Ende.
Es gibt also keine Zukunft und keine Vergangenheit wie für uns Sünder, habe ich Recht?
Da magst du richtig liegen.
Siehst du, so ist es mit meiner Pilgerreise. Es ist nicht so, dass ich sie nicht gemacht hätte.
Sofort verfinsterte sich das Gesicht des Wächters. Willst du mich zum Narren halten? Komm zur Sache!
Nein, o Herr, selbstverständlich nicht. Deine Weisheit ist unermesslich. Aber ich habe die Hadsch gemacht – in der Zukunft. Ich habe die Pilgerreise schon so oft in Gedanken durchgeführt, dass es mir zur Gewissheit wurde. Ich habe die Wahrheit gesagt, aber eine Wahrheit, die in der Zukunft spielt. Wenn du aber, o weiser, gnädiger, geduldiger Wächter dieser Tore, mich jetzt schon dieser Bestie zum Fraß vorwirfst, muss der Eintrag ins Kitab, das Buch der guten und bösen Taten, gestrichen werden. Wenn du mich jetzt meines Lebens beraubst, dann bist du es, der mich zum Lügner macht. Denn erst am Ende meiner Tage, am Ende eines vollen Lebens wird sich zeigen, ob ich gelogen habe. Du bist also derjenige, der das, was schon ins Kitab eingetragen war, mein Lobpreisen zu Ehren Allahs, zunichte macht. Das kannst du doch nicht wollen?
Doch der Wächter hörte gar nicht hin, sondern hielt sich die Ohren zu.
Wäre es nicht gerechter, mich zurückzuschicken, damit ich die Zukunft erfülle, die Gewissheit gewiss werden lasse, statt mich hier unten verrotten zu lassen?, fuhr Halef fort.
Oh, verflucht, unterbrach ihn da der Wächter, schlimm genug, dass ich dir in deinem Kopf zuhören muss. Aber du bist auch in dem meinen. Hör auf damit und mach, dass du davonkommst. Das Höllentor fiel mit einem lauten Krachen zu.
So lässt du mich also in das Paradies eintreten?
Nein, du Dummkopf, ich schicke dich wieder nach oben, damit du deine Zukunft erfüllen kannst.
In dem Moment schloss sich auch das Tor zum Paradies wieder.
Halef warf sich zu Boden. Hamdulillah, Preis sei Allah, rief er wieder und wieder.
Sei endlich still!, rief der Wächter und legte den Arm über den Kopf, um seine Ohren zu schützen.
Für eine Weile hing unser aller Schicksal in der Schwebe. Jeden Moment konnten wir einbrechen. Schritt für Schritt tasteten wir uns vor, bis wir wieder festen Untergrund unter den Füßen spürten. Dennoch fühlte ich keine Erleichterung. Im Gegenteil, ich hatte meinen treuen Diener im Stich gelassen und nun auch meine Reisegefährten mit in den Tod gerissen, denn wir hatten jegliche Orientierung verloren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir in der glühenden Sonne eines qualvollen Todes starben.
Der Korbhändler drehte sich im Kreis und faselte von seinem Traum, nach dem nur ein Baum uns retten könne. „Mitten auf dem Schott“, rief ich, „denk doch mal nach: Wo soll denn hier ein Baum herkommen?“
Omar schirmte mit der Hand die Augen ab und suchte den Horizont nach Markierungen oder anderen Reisenden ab. Nichts. Nichts außer Salz und Sonne.
Nur noch eine Frage, sagte Halef, der Morgenluft witterte.
Du versprichst: eine und keine mehr?, fragte der Wächter gequält. Halef nickte.
Der Effendi und seine Gefährten haben womöglich den Weg aus den Augen verloren…
Die Frage!
Wie finden wir sicher über den Schott?
Weiter nichts?
Jetzt war es an Halef, den Kopf zu schütteln.
Nicht grundlos heißt der Schott ‚See der Markierungen‘, erklärte der Hüne. Du folgst den Baumstämmen. Vier einzelnen Baumstämmen folgt ein Paar von Baumstümpfen, dann wieder vier einzelne im Abstand von 60 Schritt.
Allah segne dich, o Herr, in deiner Güte und Weisheit … Mach, dass du verschwindest!
Der Hüne packte Halef am Burnus und schleuderte ihn nach oben.
Und in diesem Moment schoss Halefs Kopf durch das krustige Salz nach oben. Grelles Licht blendete seine Augen und für einen Augenblick glaubte er sich im Paradies oder doch zumindest auf dem Weg dorthin, als er eine rettende Hand spürte.
Da entdeckte der Korbhändler einen Baumstumpf und lief ohne darüber nachzudenken darauf zu.
Omar folgte ihm vorsichtig. „Sihdi, eine alte Wegmarkierung“, rief er, als er ihn erreichte.
Keine zwei Armlängen von mir entfernt begann das Salzwasser zu brodeln, und ein Kopf schoss in die Höhe. Halef! Mein lieber kleiner, treuer, mutiger, tapferer Halef! Sogleich lief ich auf ihn zu und streckte beide Hände nach ihm aus.
Ich glaube, in diesem Moment wäre es mir egal gewesen, wenn ich mit ihm versunken wäre. Ich zog ihn heraus, auf den festen Boden direkt neben dem Baumstamm.
Halef prustete und hustete, und als er wieder sprechen konnte, deutete er auf die Markierung und sagte: „Wahrhaft, Effendi, du bist der größte Weise unter der Sonne Allahs, des Allmächtigen. Woher hast du von dieser Markierung gewusst?“
Der Händler kniete fassungslos neben dem Baumstamm und betastete ihn, um sicherzugehen, dass es sich nicht um eine Fata Morgana handelte.
Wir sollten noch einige Abenteuer durchstehen, bevor wir uns auf den Weg nach Mekka machten. Die Reise über den Schott jedoch verlief ohne weitere erwähnenswerte Ereignisse.
Hans-Dieter Furrer
Fata Morgana
Um die Mittagszeit rasteten wir im Wadi Tarfaui im Schatten eines mächtigen Felsbrockens.