Toxische Männlichkeit. Sebastian Tippe
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Gewalt unter der Geburt
Die erste, oftmals traumatische Gewalterfahrung erleben Menschen bereits bei ihrer Geburt. Das freudige Erlebnis wird zu einem gewaltvollen. Die Soziologin und Feministin Mundlos hat dieses Thema, bei dem patriarchale Strukturen durch Gewalt an gebärenden Frauen überdeutlich sind und doch permanent unsichtbar gemacht werden, 2015 enttabuisiert und in die Öffentlichkeit gebracht. Es handelt sich dabei zum einen um strukturelle, aber auch um die individuell ausgeübte Gewalt des geburtshilflichen Personals. Es ist sehr bezeichnend, dass Krankenhäuser mit vaginalen Geburten ein Minusgeschäft machen, jedoch das in der Regel nicht notwendige Schneiden am Körper der Frau dazu führt, dass Krankenhäuser Geld verdienen.
Geburtshilfliches Personal verübt dabei an Frauen psychische Gewalt (die Gebärende wird angeschrien, ausgelacht, beleidigt, bedroht/unter Druck gesetzt) und physische Gewalt (Eingriffe ohne Aufklärung, ohne Einwilligung oder gegen den ausdrücklichen Willen der Gebärenden, medizinisch unnötige Interventionen, heimliche Gabe von Wehenmitteln ins Badewasser, Kneifen und Ohrfeigen der Gebärenden, gewaltsames Auseinanderdrücken der Beine, permanente vaginale Untersuchungen, Fixieren, falsches Kristellern und in dem Zusammenhang Springen auf den Bauch der Gebärenden (beispielsweise von einer Leiter) (vgl. Mundlos 2015)).
Die Soziologin geht von mindestens 40 – 50 % aller Geburten aus, bei denen Gewalt gegen die Gebärende angewendet wird. Das bedeutet, dass bei 1,6 Geburten pro Gebärende das Risiko für die einzelne Frau, Gewalt zu erleben, bei durchschnittlich 80 % liegt. Bei einer Online-Umfrage des Stern aus dem Jahr 2019, an der über 10.000 Frauen teilgenommen haben, gaben 56 % der befragten Frauen an, Gewalt unter der Geburt erlebt zu haben, 91 % gaben an, nicht oder nicht genügend über Eingriffe aufgeklärt worden zu sein (vgl. stern TV 2019). Dies stellt ebenfalls Gewalt dar. Würde eine medizinische Fachkraft bei einer Untersuchung jemanden, ohne die Erlaubnis der Patientin/des Patienten einzuholen und ohne sie/ihn aufzuklären, plötzlich ihr/sein Bein aufschneiden, dann erfüllte dies den Tatbestand der Körperverletzung. Unter der Geburt wird dieses Grundrecht täglich verletzt. Gewalt unter der Geburt ist eine der Säulen des Patriarchats: Gewalt gegen Frauen, gegen ihre Gebärfähigkeit, gegen ihren Körper und ihre Sexualität und gegen das Kind. Gebärende sind durch Gewalt unter der Geburt häufig traumatisiert. Aber auch die Kinder und Väter werden traumatisiert. Zudem tragen viele Frauen und Kinder körperliche, oft lebenslange Schädigungen davon. Dies bedeutet, dass mindestens jeder zweite Mensch bereits bei der eigenen Geburt patriarchaler Gewalt ausgesetzt gewesen ist, die ihn oftmals ein Leben lang prägt – und oftmals wissen die späteren Erwachsenen nicht einmal, dass sie eine traumatische Geburt erlebt haben und psychische Folgen ein Resultat von Gewalt unter der Geburt sind.
Mundlos hat am 25. 11. 2019, dem Tag gegen Gewalt an Frauen/Tag gegen Gewalt unter der Geburt (Roses Revolution Day), einen Brandbrief zum Thema Gewalt unter der Geburt an den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier gesendet. Unterschrieben haben: Der Bundesrat werdender Hebammen, die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen, die Gründerin & Vorstandsvorsitzende von Medica Mondiale e. V, (Mädchen-)Beratungsstellen, Hebammen, Hebammenschülerinnen, Doulas, TherapeutInnen, der Deutsche Fachverband der Hausgeburtshilfe, Vorstandsmitglieder von Greenbirth e. V., Polizeibeamte, die Geschäftsführerin des Institut für psychosoziale Gesundheit, Initiative gerechte Geburt und viele weitere Vereine und Personen (vgl. Mundlos 2019). Sie erläutert im Brandbrief unter anderem die Ursachen für Gewalt unter der Geburt, die Auswirkungen und die Häufigkeit sowie die Verantwortung, die Deutschland in Bezug auf die Durchsetzung „der Rechte von Frauen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt hat, die sich aus der Istanbul-Konvention, der CEDAW, der Resolution des Europarats vom 3.10.2019 und dem Nationalen Gesundheitsziel zwingend ergeben.“ (ebd.).
Sie nennt explizite Forderungen an die Bundesregierung:
•Anerkennung der Existenz von Gewalt gegen Gebärende seitens der Bundesregierung
•Bedarfsgerechte Vergütung in der Geburtshilfe statt Fallpauschalen – analog zur Pflege
•Einrichtung von Landespräventionsstellen „Gewaltfreie Geburtshilfe“ in jedem Bundesland
•Einrichtung einer koordinierenden Bundespräventionsstelle „Gewaltfreie Geburtshilfe“
•Bildung einer Bundeskommission zur Verhütung von Gewalt in der Geburtshilfe.
Im Brandbrief werden die umzusetzenden Ziele und die genauen Inhalte/Aufgaben differenziert erläutert. Auch die WHO sowie Human Rights in Childbirth weisen seit Jahren auf die Gewalt hin, die Frauen im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett erleben.
Genitalverstümmelungen von Mädchen
Eine weitere entsetzliche Form der Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist die Genitalverstümmelung, auch FGM (Female Genital Mutilation) genannt.
Dabei werden die weiblichen Geschlechtsteile verletzt, indem sie teilweise oder ganz entfernt werden, um die sexuelle Lust von Frauen zu verhindern (vgl. Desert Flower Foundation). Die Verstümmelung, meist ohne Betäubung und unter katastrophalen hygienischen Bedingungen, wird in der Regel vor der Pubertät bei Mädchen zwischen vier und acht Jahren mit einer Schere, Rasierklinge, einem Messer oder einer Glasscherbe (meist nicht desinfiziert) durchgeführt, aber auch vermehrt bei Säuglingen. Es gibt vier unterschiedliche Formen der Genitalverstümmelung: Bei Typ Drei wird den Mädchen die Klitoris und die Schamlippen herausgeschnitten, anschließend werden die Schamlippenstümpfe zusammengenäht, sodass nur ein kleines streichholzgroßes Loch zum Urinieren und für das Menstruationsblut gelassen wird (vgl. ebd.).
Zu den gesundheitlichen Schädigungen schreibt die Desert Flower Foundation (ebd.): „Weibliche Genitalverstümmelung hat gravierende gesundheitliche (physische und psychische!) Auswirkungen. Unmittelbar nach dem Eingriff kann es zu schweren Blutungen, Entzündungen, Tetanus, Blasenlähmung oder Blutvergiftung kommen – Folgen, die nicht selten tödlich enden. Auch HIV/AIDS kann über nicht gereinigte Instrumente übertragen werden. Neben dem psychischen Trauma, das der Eingriff hinterlässt, und dem Verlust sexueller Empfindung, klagen die Opfer langfristig oft über Schmerzen beim Urinieren und während der Menstruation. Das Sitzen oder Gehen kann durch das Scheuern der Kleidung an den Narben oder auftretende Druckstellen zur Qual werden. Zysten, Abszesse, Infektionen der Blase und Inkontinenz können auftreten. Auch Unfruchtbarkeit gehört zu den möglichen Langzeitfolgen. Der Geschlechtsverkehr wird häufig als schmerzhaft empfunden. Bei der Geburt eines Kindes kann es zu verstärkten Blutungen und Geweberissen kommen. Die Geburt kann länger dauern als üblich, Kaiserschnitte sind häufig.“
Laut der Desert Flower Foundation, bezugnehmend auf die WHO, sind weltweit 200 Millionen Mädchen und Frauen von FGM betroffen, in Europa leben eine Million betroffene Mädchen und Frauen. Vor allem werden Mädchen in Nordost-, Ost- und Westafrika beschnitten, sowie im Nahen Osten und in Südostasien. Die Praktik wird aber auch durch Menschen ausgeführt, die nach Europa, Kanada, Australien, Neuseeland und in die USA eingewandert sind und in derem Kulturraum FGM weiter verbreitet ist. Auf ihrer Homepage weist die Foundation darauf hin, dass alle 11 Sekunden ein Mädchen auf der Welt beschnitten wird und jedes dritte durch den Eingriff stirbt.
In Deutschland sind ca. 70.000 Mädchen – plus Dunkelziffer – von Genitalverstümmelung betroffen, in Somalia sind es laut TERRE DES FEMMES e. V. 98 % aller Mädchen, in Eritrea 83 % (vgl. Tagesspiegel 2019).
Brustbügeln
Eine weitere Perversion ist das sogenannte