Toxische Männlichkeit. Sebastian Tippe
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Es wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob es eine nicht toxische Männlichkeit überhaupt geben kann. Das grundsätzliche Problem besteht vor allem darin, dass bestimme Fähigkeiten nur dem einen oder nur dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden. Durchsetzungsfähigkeit ist beispielsweise zunächst keine problematische Eigenschaft, doch durch die Zuschreibung an Männer wird sie Frauen abgesprochen, beziehungsweise werden durchsetzungsstarke Frauen als unangenehm und hysterisch bewertet, Männer hingegen als selbstsicher und zielorientiert. Toxisch wird das Verhalten, wenn beispielsweise Durchsetzungsfähigkeit als Mittel eingesetzt wird, durch welches andere Menschen oder der Mann selber kurz-, mittel- oder langfristig zu Schaden kommen, andere benachteiligt oder patriarchale Strukturen (re)produziert werden.
2. Wo zeigt sich toxische Männlichkeit?
Toxische Männlichkeit zeigt sich in allen Lebensbereichen – individuell sowie strukturell. Damit einzelne Aspekte im vorliegenden Buch schneller gefunden werden können, sind die Bereiche untergliedert in:
•Männer als Gewalttäter
•Männer im öffentlichen Raum
•Männer am Arbeitsplatz
•Männer und Sexualität
•Männer in der Familie und Partnerschaft
•Männer und ihre Gesundheit
Diese Einteilung wird auch im Kapitel mit den Lösungsansätzen für den eigenen Umgang mit toxischer Männlichkeit für eine einfachere Orientierung beibehalten.
2.1 MÄNNER ALS GEWALTTÄTER
Gewalt ist ein männliches Phänomen. Bedingt durch die männliche Sozialisation und patriarchale Strukturen sind es fast ausschließlich Männer, die gewalttätig werden – gegenüber anderen Männern, gegenüber allen marginalisierten Menschen und gegenüber Frauen. Zu beachten ist, dass sich das Risiko, Gewalt zu erfahren, erhöht, wenn sich unterschiedliche Diskriminierungsformen miteinander verschränken und somit potenzieren (Intersektionalität1). Beispielsweise potenziert sich das Risiko einer Frau, Gewalt zu erleben, wenn sie zudem Schwarz und lesbisch ist und eine Beeinträchtigung hat.
Häusliche Gewalt und Femizide
Die Zahlen der kriminalstatistischen Auswertung des Bundeskriminalamts (vgl. 2018) zur Gewalt in Partnerschaften sind erschreckend: 2017 wurden 138.893 Menschen statistisch erfasst, die in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner misshandelt, gestalkt, bedroht oder getötet wurden. Darunter waren 113.965 Frauen (82 %). Im Jahr 2018 stieg diese Zahl auf 114.393 an (vgl. Suhr 2019). Die Dunkelziffer wird laut ExpertInnen um einiges höher sein.
Die Bundesfamilienministerin Giffey verwies zudem auf die hohe Zahl an getöteten Frauen: 147 Frauen sind 2017 von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018b), also an ca. jedem zweiten bis dritten Tag eine Frau. 2018 ermordeten Partner oder Ex-Partner 122 Frauen (vgl. Suhr 2019). 2019 starben durch männliche (Ex-)Partner 135 Frauen (vgl. One Billion Rising 2019). Die Zahl der Femizide sowie häuslicher Gewalt ist Anfang 2020 noch einmal im Kontext der Ausgangsbeschränkungen aufgrund des Corona-Virus gestiegen. Es ist wichtig zu benennen, dass die Gewalt sich nicht nur auf die Partnerin erstreckt, sondern meist auch Kinder mit einschließt – selbst beim Femizid töten die mordenden Männer oftmals auch ihre Kinder oder versuchen dies. Es ist davon auszugehen, dass die tatsächlichen Zahlen viel höher sind. Wenn Totschlag dazu gerechnet wird, dann tötet allein in Deutschland jeden Tag ein Mann eine Frau.
Anmerkung: Viele Männer ermorden ihre Ex-Partnerin, da sie es nicht ertragen, dass sich ihre ehemalige Partnerin von ihnen getrennt hat – nach der Devise: „Es wird sich nicht von Männern getrennt, sondern Männer trennen sich von Frauen.“ Männliche Geschlechtervorstellungen spielen hierbei eine große Rolle: Männer müssen die Macht in allen Lebensbereichen, so auch in der Partnerschaft und Familie innehaben. Sie entscheiden, ob und wann eine Beziehung vorbei ist. Trennen sich Frauen von ihrem Partner, kollidiert dies mit dem „männlichen Kontrollanspruch“, was in den schlimmsten Fällen darin endet, dass Männer ihre Ex-Partnerin ermorden – nach dem Motto: „Wenn ich sie nicht haben kann, dann darf sie auch niemand anderes haben.“
All dies sind dann Fälle, die in der Presse als Familiendrama oder Beziehungstat deklariert werden, um patriarchale Strukturen und Gewalt an Frauen zu verschleiern und zu verharmlosen. Im Januar 2020 wurde verkündet, dass die Deutsche Presse-Agentur (DPA) verharmlosende Begriffe, die den Opfern eine Mitschuld suggerieren, nicht mehr verwenden wird: Darunter fallen die Begriffe Beziehungsdrama, Familientragödie, Familiendrama und Ehetragödie. Froben Homburger (DPA-Nachrichtenchef) twitterte (Frauensicht.CH 2020): „Drama und Tragödie rücken Mord und Totschlag in die Nähe eines schicksalhaften Geschehens, in dem Opfer- und Täterrolle zu verschwimmen scheinen: Ist der Täter nicht auch irgendwie Opfer (etwa einer zerrütteten Beziehung) – und hat das Opfer daher nicht auch Anteil an der Tat?“ Auch Begriffe wie Sex-Täter oder Sex-Attacken werden verboten, da durch die Verwendung dieser Begriffe vermittelt wird, dass sexualisierte Gewalt etwas mit Sex und natürlichen Bedürfnissen zu tun habe, wodurch verschleiert wird, dass es sich dabei um Gewalt handelt. Es stellt sich die Frage, was ein „Sextäter“ getan hat? Hat er Sex gehabt? Es wird deutlich, dass die Gewalt an Frauen durch derartige Formulierungen unsichtbar gemacht wird.
Ein weiterer Aspekt, der die Täter bei Gewalt gegen Frauen unsichtbar macht, ist die Verwendung des Passivs: Es wird in den Medien geschrieben, dass Frauen von Männern getötet, angegriffen oder vergewaltigt werden – jedoch nicht, dass Männer Frauen getötet, angegriffen oder vergewaltigt haben. Die Täterschaft wird durch das Passiv relativiert und heruntergespielt – die Wirkung auf Lesende ist eine andere als bei der Verwendung des Aktivs.
Sexuelle Gewalt
Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (vgl. 2004, S. 29) wurde fast jede siebte Frau (13 %) in Deutschland bereits vergewaltigt, hat eine versuchte Vergewaltigung erlebt oder sexuelle Nötigung – einige davon mehrfach. 40 % der befragten Frauen gaben an, sexuelle oder körperliche Gewalt seit ihrem 16. Lebensjahr erfahren zu haben, 58 % sexuelle Belästigung, 42 % psychische Gewalt und 25 % körperliche oder sexuelle Gewalt (oder beides) durch den aktuellen oder Ex-Partner. Täter bei sexueller Gewalt sind bis zu 99 % männlich und weniger als 1 % weiblich, bei sexueller Belästigung sind 97 % männlich und 2 % weiblich (vgl. TERRE DES FEMMES b). 94 % aller Vergewaltigungsopfer sind Mädchen oder Frauen (vgl. Britzelmeier 2016). Die vermeintlich hohen Zahlen von Falschbeschuldigungen liegen gerade einmal bei 3 % (vgl. TERRE DES FEMMES b).
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (vgl. 2018a) konstatiert, dass bei Vergewaltigungen und sexueller Nötigung in Partnerschaften die Opfer zu fast 100 % Frauen sind. Amnesty International kommt zu dem Ergebnis, dass jede fünfte Frau körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt hat (vgl. Van Aaken 2001). Davon angezeigt wird aber laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (vgl. 2004, S. 19) nur ein Bruchteil – in Deutschland beträgt die Zahl der Anzeigen gerade einmal 8 %. Da viele Frauen mehrfach vergewaltigt werden, bedeutet dies, dass weniger als 5 % aller Sexualstraftaten überhaupt angezeigt werden, nur jede 13. der überhaupt bekannten und angezeigten Vergewaltigungen endet mit einer Verurteilung (vgl. TERRE DES FEMMES b). Das sind weniger