Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel. Nadine Erdmann
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Читать онлайн книгу Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel - Nadine Erdmann страница 47
»Deshalb hebe ich diese Versammlung nun auf, würde es aber begrüßen, wenn ihr denjenigen, die noch Fragen haben, weiter zur Verfügung steht.«
»Natürlich«, versicherte Anya sofort. Sie bedachte Sally, Sarah und Bethany mit einem Lächeln. »Wir können uns gerne zusammensetzen und ihr fragt alles, was ihr wissen wollt.«
Eifrig nickten die drei.
»Sehr schön.« Carlton erhob sich. »Geht zum Unterricht in eure Klassen oder bleibt hier, wenn ihr noch Redebedarf mit Anya und Drew habt«, sagte er dann an seine Schüler gewandt. »Auch ich werde mit einigen von euch noch ein persönliches Gespräch führen.«
Er nahm Jaz ins Visier und sein Blick wurde deutlich härter, während seine Stimme pure Freundlichkeit blieb.
»Jazlin, du kommst bitte als Erste mit in mein Büro.«
Jaz presste die Kiefer aufeinander. »Natürlich, Master Carlton.«
Allgemeine Aufbruchsstimmung setzte ein und Jessica warf Jaz einen mitleidigen Blick zu, als sie sich mit David hinter Blaine, Asha und Leroy Richtung Klassenzimmertrakt aufmachte. Sarah, Bethany und Sally rückten dagegen in kleiner vertrauter Runde mit Anya und Drew zusammen.
Jaz seufzte und hatte ein ganz mieses Bauchgefühl, als sie ihrem Schulleiter folgte und den Versammlungssaal verließ.
Kapitel 2
Eine halbe Stunde später schloss Jaz die Tür zu ihrem Zimmer, lehnte sich dagegen und schloss die Augen. Ihr Kopf pochte und sie fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Schlag in den Magen verpasst.
Was irgendwie sogar stimmte, wenn auch nicht mit Fäusten. Körperliche Gewalt gab es in der Akademie nicht. Nicht mehr. Zumindest nicht von Lehrerseite. Psychischer Zwang und Erwartungsdruck waren allerdings eine ganz andere Geschichte.
Jaz atmete tief durch und öffnete die Augen wieder.
Das Zimmer vor ihr war zweigeteilt. Sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite gab es ein Bett, einen schmalen Kleiderschrank, eine Kommode, einen Schreibtisch und an jeder Wand zwei Regalbretter. Trotz der gleichen Möbel sahen beide Zimmerhälften allerdings grundverschieden aus. Die rechte Seite wartete mit so ziemlich jeder Schattierung auf, die Pastellfarben hergaben, und es gab kaum ein Fleckchen Wand, an dem nicht Poster von Fantasylandschaften und entsprechenden Fantasykerlen oder Bilder von Pferden und Einhörnern hingen. Die Bettwäsche mit rosa Herzchen war selbstgekauft und auf den Regalen standen Liebesromane neben kleinen Vasen mit getrockneten Rosen und Figuren aus Glas und Porzellan, die verliebte Pärchen darstellten. An der Wand am Schreibtisch hingen ein Stundenplan sowie die Pläne der Trainingseinheiten und der zugeteilten Akademiepflichten. Außerdem gab es eine Pinnwand, die zugeheftet war mit selbstgeschossenen Fotos, alten Kinotickets und Theaterkarten, Modeschmuck, Coupons für Make-up-Proben, ein paar Nicht-vergessen!-Zetteln und anderem Schnickschnack.
Die linke Zimmerseite wirkte dagegen ziemlich clean. Die Wand war einfach nur weiß, es gab keine Poster und die Bettwäsche war in schlichtem Grau und aus dem Bestand der Akademie. An der Pinnwand hing nichts außer den Plänen von Schulstunden, Training und Pflichten und auf dem Schreibtisch lagen nur ein Laptop und ein paar Schulsachen. Die einzige persönliche Note fand sich auf den Regalen. Dort stapelten sich Bücher und Comichefte.
Jaz ging zu ihrem Bett, warf sich auf die Matratze und starrte an die Decke.
Eigentlich hätte sie in den Matheunterricht gehen sollen, aber sie brauchte jetzt einfach noch einen Moment für sich.
Das Vier-Augen-Gespräch mit Master Carlton war noch ätzender gewesen, als sie befürchtet hatte. Zuerst hatte er ihr bloß den gleichen Sermon gepredigt, den auch Anya und Drew von sich gegeben hatten, und wenn sie die Worte Gemeinschaft und wertvoller Beitrag noch einmal mehr hätte hören müssen, hätte sie vermutlich geschrien. Doch im Vergleich zu dem Tiefschlag, den ihr Schulleiter ihr danach verpasst hatte, war das Gemeinschaftsgelaber absolut harmlos gewesen.
Master Carlton hatte angeordnet, dass sie heute Abend ihre Sachen packen sollte, weil sie morgen mit den anderen nach Newfield gehen würde.
Jaz hing nicht sonderlich an der Akademie. Sie hatte hier keine besonders engen Freunde.
Aber sie wollte nicht weg aus London.
Und sie kochte vor Wut, weil all ihre eigenen Wünsche und Pläne einfach abgetan und mit Füßen getreten wurden.
Weil sie Dankbarkeit gegenüber der Gemeinschaft zeigen sollte, die sie siebzehn Jahre lang beschützt, versorgt, gefördert und ausgebildet hatte.
Weil es jetzt an der Zeit war, dafür etwas zurückzugeben und einen wertvollen Beitrag zu leisten.
Jaz war kotzübel.
Wegen der Worte.
Wegen Hass und Wut, die in ihrem Inneren brodelten.
Wegen der Machtlosigkeit, weil man ihr, seit sie denken konnte, immer wieder Dinge aufzwang, die nicht ihrem eigenen Denken entsprachen, gegen die sie aber nichts machen konnte.
Weil sie keine Familie hatte.
Weil sie abhängig von der verdammten Akademie war.
Weil sie nirgendwo anders hinkonnte.
Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.
Aber das musste sie. Sie musste irgendwo anders hin, weil sie auf keinen Fall nach Newfield gehen würde. Bei der Vorstellung auf dieser Farm leben zu müssen, schnürte sich ihr die Kehle zu.
Sie wollte nicht weg aus London. Die Stadt war ihr Zuhause. Sie wollte hierbleiben, ihren Abschluss machen, zur Polizeischule gehen und eine Spuk werden.
War das echt zu viel verlangt?
War sie wirklich undankbar, wenn sie eigene Wünsche hatte und sich nicht in den Dienst der Akademie oder Newfield stellen wollte?
Ihre Fingernägel gruben sich in die Haut ihrer Handflächen, so fest ballte sie ihre Fäuste.
Vielleicht war sie egoistisch, aber sie konnte das einfach nicht. Sie würde sich ihr Leben und ihre Träume nicht wegnehmen lassen. Sie wollte selbst bestimmen, wer sie war und was sie machte.
Deswegen blieb ihr keine andere Wahl.
Ruckartig setzte sie sich auf und zog ihren Rucksack unter dem Bett hervor.
Mehr als ein paar Klamotten würde sie nicht mitnehmen können. Aber das war okay. Kramsammeln war noch nie ihr Ding gewesen.
Sie öffnete den Kleiderschrank und packte zwei Jeanshosen, ein paar Shirts, ihre beiden Lieblingshoodies, ein bisschen Unterwäsche und ihre Jeansjacke ein. Mit etwas Mühe schaffte sie es auch noch, ihre Regenjacke in den Rucksack zu stopfen.
Das war es.
Jaz zog den Rucksack zu. Sie hatte zwar noch keine Ahnung, wohin sie gehen wollte,