Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel. Nadine Erdmann
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Читать онлайн книгу Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel - Nadine Erdmann страница 49
Die riss ihre Hände hoch und ließ ihren eigenen Silbernebel wie eine Peitschensehne Blaines zur Seite fegen.
»Rühr mich an und ich schwöre dir –«
»Guten Morgen, alle miteinander«, fiel Ms Green ihr ins Wort, als sie mit dem Läuten der Schulglocke das Klassenzimmer betrat. »Was ist hier los?«, verlangte sie sofort zu wissen, als sie die angespannte Haltung bemerkte, mit der Jaz und Blaine sich gegenüberstanden. Ein Rest von Silberdunst hing noch zwischen ihnen. »Klärt eure Meinungsverschiedenheiten während der Pausen und nicht in meinem Klassenzimmer. Jazlin, ich weiß, heute ist dein letzter Tag bei uns, und wir sind sehr stolz auf dich, dass du unsere Brüder und Schwestern in Newfield unterstützen wirst. Ich möchte dich daher nur ungern für deine letzten Stunden hier in der Akademie in die Arrestzelle sperren.«
Jaz presste so fest ihre Zähne aufeinander, dass ihre Kiefer schmerzten.
Klar, dass nur ihr Arrest angedroht wurde. Der Kronprinz war wie immer unantastbar. Voller Hass bohrte sie ihren Blick in Blaine, der jedoch nur süffisant lächelte.
Sie spürte ihre Energie in ihren Händen kribbeln.
Am liebsten hätte sie …
Doch sie musste sich zusammenreißen.
Durfte jetzt nicht die Kontrolle verlieren.
»Das möchte ich auch nicht, Ms Green«, quetschte sie deshalb mit so viel Demut wie sie zustande brachte hervor.
»Gut, dann setzt euch. Ich will mit dem Unterricht beginnen.«
»Eigentlich hatten Jaz und ich etwas ganz anderes vor«, unterbrach Blaine das Vorhaben seiner Lehrerin. »Ich habe ihr angeboten, meinen Nachwuchs zu gebären.«
Stirnrunzelnd wandte Ms Green sich um. »Ausgerechnet ihr zwei? Es gibt doch kaum einen Tag, an dem ihr nicht aneinandergeratet.«
Blaine hob die Schultern. »Das stimmt. Aber für das gesunde Wachstum unserer Gemeinschaft muss man eben Opfer bringen«, seufzte er schicksalsergeben. »Jaz und ich, wir können einander zwar nicht besonders gut leiden, aber ich erkenne die Macht ihrer Kräfte und Fähigkeiten an. Die gepaart mit meinen eigenen – das Potenzial, das unser Nachwuchs mit sich bringen würde, wäre unschätzbar wertvoll.«
Ein unschuldiges Lächeln umspielte seine Lippen, als er wieder zu Jaz blickte.
Sie hätte ihm am liebsten vor die Füße gekotzt.
»Das ist in der Tat eine gute Überlegung. Und ein sehr großzügiges Angebot.« Ms Green blickte von ihm zu Jaz. »Wenn du es annehmen möchtest, stelle ich euch beide bis zum Mittagessen frei.«
Schon zum zweiten Mal an diesem Vormittag musste Jaz ihre Fingernägel fest in ihre Handflächen bohren, um nicht vor Wut zu schreien.
Verdammt, sie musste ruhig bleiben und einen kühlen Kopf bewahren. Wenn sie jetzt die Beherrschung verlor, war es vorbei und sie konnte ihren Fluchtplan vergessen. Also zwang sie sich zu einem kühlen Lächeln, anstatt Blaine mit ihren Kräften zu durchbohren und ihm seine komplette Lebensenergie zu rauben.
»Danke für das Angebot. Ich möchte mich zunächst allerdings erst mal ganz auf meine neuen Aufgaben in Newfield konzentrieren. Aber vielleicht komme ich in ein paar Jahren darauf zurück.«
Ms Green nickte knapp. »Das ist natürlich nachvollziehbar.« Sie schritt zu ihrem Pult. »Dann setzt euch jetzt.«
Jaz tat, wie ihr geheißen, und ignorierte Blaine. Um sich nicht von ihm provozieren zu lassen, kramte sie zur Ablenkung ihr Buch aus der Schultasche und tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie den Mistkerl nur noch bis zum Mittagessen ertragen musste – und danach nie wieder.
»Schlagt eure Bücher auf Seite 53 auf. Wir beginnen heute mit einem Sonett. Wer kann mir die typischen Merkmale dieser Gedichtform nennen?«
Kapitel 4
Jaz dankte allen guten Sternen, als die Glocke zur Mittagspause läutete. Ms Green entließ die anderen in den Speisesaal, Jaz dagegen hielt sie zurück, um ihr einen Schnellhefter mit ihren Leistungsplänen sowie eine Lektüreliste für die nächsten Wochen zu geben und beides kurz mit ihr durchzusprechen.
»Bis gleich! Wir warten im Speisesaal auf dich.« Jessica verzog mitleidig das Gesicht, als sie zusammen mit David das Klassenzimmer verließ.
Doch Jaz kam es eigentlich ganz gelegen, dass Ms Green sie aufhielt. So würden die anderen vielleicht erst in einer Stunde misstrauisch werden, wenn Jaz nicht zum Nachmittagsunterricht erschien. Sie hoffte nur, dass Ms Green sie nicht wirklich so lange zutextete.
Tatsächlich dauerte das gesamte Gespräch dann nicht länger als fünf Minuten, da Ms Green wegen einer Besprechung ins Lehrerzimmer musste. Erleichtert darüber, endlich wegzukönnen, wandte Jaz sich Richtung Speisesaal.
Die Gänge waren leer. Alle Schüler befanden sich mittlerweile beim Essen und der Duft von Sheppard’s Pie hing in der Luft. Jaz fand vieles in der Akademie ziemlich übel – das Essen zählte allerdings nicht dazu. Glenda und Rosie waren tolle Köchinnen und liebe Menschen. Nur wer in der Akademie Dienste leistete, bekam Taschengeld, und Jaz hatte sich ihres bei den beiden in der Küche immer gerne verdient.
Sie ließ den Gang zum Speisesaal links liegen und bog in den Korridor ab, der zur Bibliothek führte. Die alte Eichentür knarzte, als sie sie aufzog. Ähnlich wie der Versammlungssaal war auch die Bibliothek mit dunklem Holz vertäfelt. Mannshohe Regale standen an den Wänden und in Reihen in den Raum hinein und es roch nach Büchern und Papier. Vor den großen Fenstern reihten sich Lesetische nebeneinander und direkt am Eingang befand sich ein kleiner abgetrennter Bereich, der als Ausleihe diente.
Der Raum war leer. Es gab keine Angestellten, die sich um die Organisation kümmerten. Die oblag den Schülerinnen und Schülern der zehnten Klasse der Akademie. Jaz hatte diese Arbeit vor zwei Jahren sehr gemocht, auch wenn sie komplett an ihr, Jessica und David hängen geblieben war. Kronprinz Blaine und seine Lakaien sahen es grundsätzlich unter ihrer Würde, Pflichten in der Akademie zu übernehmen. Das schien auch für alle okay zu sein – außer für Jaz. Sie hasste dieses Standesdenken.
Am äußersten Ende der Bibliothek lag halb verborgen hinter einem Regal mit längst überholten Naturwissenschaftsbüchern eine Tür, die in ein kleines separates Studierzimmer führte. Jaz hatte keine Ahnung, ob außer ihr jemals irgendjemand dieses Zimmer genutzt hatte. Die meisten setzten sich an die Fenster im Lesesaal, nahmen die Bücher mit in die Klassenräume oder auf ihre Zimmer. Jaz hatte das kleine Studierzimmer daher oft als eine Art Geheimversteck benutzt, wenn sie allein sein wollte, aber nicht aus der Akademie herauskam, weil es zu dunkel oder neblig war oder es wie aus Eimern geschüttet hatte.
Sie zwängte sich an einem Regal mit Geschichtsbüchern vorbei, als ihr Blick auf den kleinen silbernen Briefbeschwerer fiel, der auf einem der Tische in der Ausleihe lag. Er war geformt wie eine Walnusshälfte und ein Stapel Zettel lag darunter. Ausleihnotizen, die von der neuen zehnten Klasse noch in den Computer eingearbeitet werden mussten.
Während ihrer Bibliotheksdienste hatte Jaz den Briefbeschwerer etliche Male in der Hand gehabt. Für seine recht überschaubare