Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel. Nadine Erdmann

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Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel - Nadine Erdmann Die Totenbändiger - Die gesamte Staffel

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war gut im Energierauben. Verdammt gut. Wenn man mit einem Mistkerl wie Blaine hatte trainieren müssen, wurde man unweigerlich zum Ass.

      Sie spürte ein warmes Prickeln in ihren Fingerspitzen, als sie Kens Lebensenergie durch ihren Silberfaden in sich sog. Der Tag war anstrengend gewesen und der Boost, den sie durch die zusätzliche Energie bekam, gab ihr neue Kräfte. Machte sie wieder munterer, aufmerksamer, schneller. Wie ein extra starker Kaffee kombiniert mit einem Energiedrink, der instantan wirkte.

      Behutsam leitete sie noch mehr von Kens Energie in sich.

      Der schob der Mutter die Papiere zum Unterschreiben hin und ließ sich von ihr auf einen niedrigeren Pfandkredit runterhandeln. Vermutlich, um sie schneller wieder loszuwerden. Er nahm ihr Geld, zählte es kurz durch und drückte ihr dann ein kleines Plastiktütchen mit ihrem Ring in die Hand.

      »Nächstes Mal gibt’s keinen Nachlass, klar? Und diesmal gab’s ihn nur, weil Stan und ich alte Kumpel sind. Auch klar?«

      »Ja sicher«, war die genervte Antwort. »Nächstes Mal soll Stan den Scheiß hier sowieso selbst machen. Los, Kinder. Macht die Tür auf und dann raus hier. Und kein Quengeln oder Plärren! Sonst bleibt ihr heute Nacht draußen bei den Geistern. Kapiert?« Sie manövrierte den Kinderwagen zur Tür und wuchtete ihn über die Schwelle.

      Kaum hatten Mutter und Kinder ihnen den Rücken zugekehrt, wollte Ken wieder nach seiner Pistole greifen, doch es war zu spät.

      Jaz beschränkte sich nicht mehr auf sanftes Rauben, sondern riss mit aller Kraft an seiner Lebensenergie. Entsetzen trat in sein Gesicht, als er plötzlich zu schwach war, um sich auf den Beinen zu halten, und keuchend zu Boden ging. Jaz entzog ihm noch mehr Energie, bis er sich nicht mehr rühren konnte, dann trat sie um den Tresen herum und kniete sich neben ihn.

      Panik lag in seinem Blick. Seine Augen waren das Einzige, das er noch bewegen konnte. Selbst Sprechen ging nicht mehr.

      »Keine Sorge. Ich töte dich nicht.« Jaz trennte die Verbindung zu ihm. »Ich nehme mir nur das zurück, was mir gehört.« Sie fasste in seine Hosentasche und zog den Briefbeschwerer heraus. »Und eine kleine Entschädigung dafür, dass du mich bestehlen wolltest und mich mit einer Pistole bedroht hast.«

      Sie richtete sich wieder auf und nahm das Pfandgeld vom Tresen. Siebenunddreißig Pfund. Mehr war der Ring von Stans Mutter anscheinend nicht wert. Oder Ken hatte die Mutter und seinen Kumpel übers Ohr gehauen.

      Jaz steckte das Geld ein und blickte hinunter zu ihm. Ken starrte hasserfüllt zurück, war sonst aber zu geschwächt, um irgendeinen Muskel zu rühren.

      »War nett, mit dir Geschäfte zu machen«, meinte sie ironisch. »Ich glaube allerdings, wir sehen uns trotzdem nie wieder. Schlaf am besten. So regenerierst du dich am schnellsten. Und wenn du nach dem Aufwachen die übelsten Kopf- und Gliederschmerzen deines Lebens hast, denk daran, zu Totenbändigern in Zukunft netter zu sein. Wir stehen nämlich nicht so darauf, wenn man uns verarschen will oder Waffen auf uns richtet. Schönes Leben noch, Ken!«

      Sie schenkte ihm ein letztes, zuckersüßes Grinsen, dann lief sie zur Ladentür. Dort drehte sie das Öffnungsschild auf Closed, schlüpfte ins Freie und verschwand zügig zwischen den Leuten, die auf dem Brixton Market noch schnell ein paar letzte Einkäufe erledigen wollten, bevor die Dämmerung einbrach. Adrenalin und gestohlene Energie pulsierten durch ihren Körper und sie fühlte sich, als könnte sie Bäume ausreißen. Oder einen Marathon quer durch sie Stadt laufen. In Rekordzeit.

      Doch Jaz wusste, dass sie diesem Hochgefühl nicht trauen durfte. Gestohlene Energie war wie ein Rausch, doch wenn man sich mit ihr verausgabte, musste man dafür teuer bezahlen. Wäre sie wirklich quer durch die Stadt gerannt, weil sie sich gerade vorkam wie Supergirl, würde sie sich morgen wie durchgekaut und ausgespuckt fühlen. Und das konnte sie sich nicht leisten.

      Deshalb lief sie bloß bis zur Bahnstation, flitzte drei Stufen auf einmal nehmend die Treppe zu den Bahnsteigen hinauf und erwischte mit einem Sprint noch einen Zug, der sie Richtung Norden über die Themse bringen würde. Dort wollte sie sich ein Versteck für die Nacht suchen und überlegen, wie es ab morgen mit ihr weitergehen sollte.

      Charing Cross Station war laut und bunt und eins der Tore zum Vergnügungsviertel des West Ends. Plakate machten Werbung für Theaterstücke, Clubs, Discos und Bars, Leute in Kostümen verteilten Werbeflyer und Gutscheine, Musik plärrte, auf zwei großen Leinwänden liefen Kinotrailer und blinkende Neonpfeile mit Adults only wiesen den Weg zur Rotlichtmeile.

      Doch man wurde nicht nur mit akustischen und visuellen Eindrücken erschlagen, sobald man in Charing Cross aus dem Zug stieg. Der Bahnhof war auch voller Essensgerüche in allen Variationen von herzhaft bis süß. Nicht alles war ihr Fall, trotzdem lief Jaz das Wasser im Mund zusammen und ihr Magen knurrte so heftig, dass es schon fast wehtat. Trotzdem war sie nicht bereit, die überteuerten Preise der Imbissbuden in der Bahnhofshalle zu zahlen.

      Sie verließ das Gebäude und ignorierte die Hinweisschilder, die zu den typischen Touristenzielen wie Trafalgar Square, Covent Garden, den Museen und Galerien, Theatern oder Multiplexkinos führten. Stattdessen nahm sie die kleineren Seitengassen Richtung Themse und fand einen Sandwichladen, der in einem Kühlregal reduzierte Waren anbot, die kurz vor dem Verfallsdatum standen. Jaz kaufte zwei Sandwiches und zwei Wasserflaschen und lief damit hinunter zum Victoria Embankment. Dort gab es einen kleinen Park am Fluss, in dem es ruhiger war.

      Sie wollte jetzt keinen Trubel, keine Musik oder blinkendes Neonlicht. Auch keine anderen Menschen, die sie entweder schräg anguckten, weil sie eine Totenbändigerin war, oder weil es zu dämmern begann und Jugendliche dann gefälligst zu Hause zu sein hatten. Die Sperrstunde für alle unter achtzehn begann um zweiundzwanzig Uhr. In der dunklen Jahreszeit sogar noch früher. Nach der Sperrstunde durften Minderjährige sich nur noch in Begleitung von Erwachsenen in öffentlichen Bereichen aufhalten.

      Jaz hatte keine Ahnung, ob diese Regel auch für jugendliche Totenbändiger galt, denn immerhin konnte sie sich gegen Geister deutlich besser zur Wehr setzen als irgendein Erwachsener ohne Totenbändigerkräfte. In der Akademie galten aber dieselben Sperrzeiten und auch wenn Jaz keinem Streit, der nötig war, aus dem Weg ging, vermied sie Ärger, der sich nicht lohnte. Gegen Sperrzeiten zu rebellieren, war ihr nie sonderlich lohnenswert erschienen.

      Wie erhofft war im Park nichts los. An einem Montagabend trieben sich vermutlich nur Touristen im West End herum und die zog es in die Restaurants, Bars, Kinos oder Theater. Vielleicht lag es aber auch daran, dass die Menschen verinnerlicht hatten, Parks zu Dämmerzeiten zu meiden, weil sie in der Stadt oft die einzigen Orte waren, an denen Geister sich tagsüber verstecken konnten.

      Allerdings nicht hier im West End. Hier gab es so viele Magnesiumlaternen, eiserne Zäune und ebensolche Skulpturen und Verzierungen, dass sich kein einziger Geist auch nur in die Nähe wagte. Für den Schutz der Touristen, der Stars und der Schönen und Reichen scheute der Stadtrat keine Kosten und Mühen, damit Theater- und Filmpremieren oder Besuche in Edelrestaurants nicht in einem Fiasko endeten.

      Jaz suchte sich eine Bank und verschlang das erste Sandwich so hastig, dass sie kaum schmeckte, was darauf war. Beim zweiten ließ sie sich mehr Zeit und sah hinaus auf den Fluss.

      Was zum Teufel sollte sie jetzt machen?

      Den ganzen Tag über hatte sie die Frage verdrängt. Zuerst war die Flucht aus der Akademie wichtiger gewesen, dann hatte sie die ersten Pfandleiher abgeklappert,

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