Einführung in die Systemtheorie. Niklas Luhmann
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Abbildung 4 verdeutlicht, in welchem Feld wir uns inzwischen bewegen.4
Abbildung 4: Das soziale System im Handlungssystem des »General Paradigm of the Human Condition«. A = Adaptation, G = Goal Attainment, I = Integration, L = Latent Pattern Maintenance
Ich hatte bereits angedeutet, dass das adaptive Subsystem des sozialen Systems – oder, anders gesagt, das adaptive Subsystem des integrativen Subsystems des Handlungssystems – als Wirtschaft bezeichnet wird. Es kommt zur Ausdifferenzierung dieses Komplexes immer dann, wenn langfristiSge Adaptierung des Handlungssystems an Umweltsituationen eine Rolle spielt, also, grob gesagt, wenn es zu Kapitalbildungen kommt, das heißt, wenn ein Geldmechanismus eingeführt wird, der dafür sorgt, dass man immer auf noch unvorhergesehene Umweltsituationen reagieren kann, indem man Kapital einsetzt, sei es, um zu produzieren, sei es, um zu kaufen, sei es, um Ressourcen aus der Umwelt zu entnehmen, sei es, heute, um Abfall zu beseitigen. Der Realismus dieser Konzeption steckt, wie mir scheint, darin, dass der Geldmechanismus die entscheidende Rolle für die Ausdifferenzierung des Systems spielt, das heißt, dass die evolutionäre Errungenschaft Geld (Parsons spricht von einem symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium) überhaupt erst dazu geführt hat, dass sich Wirtschaft als Teilsystem ausdifferenziert hat und dass dadurch die Anpassungsbedingungen an die Umwelt verbessert, also die Langfristigkeit der Sicherung der Kontinuität des Handlungssystems garantiert werden kann.
Die »goal attainment«-Funktion wird bei Parsons im Bereich des sozialen Systems als Politik definiert. Auch das hat zu Kontroversen geführt, die in sich selbst sehr interessant sind, die ich aber hier nicht ausreichend behandeln kann. Das waren Kontroversen über den Kontrast, sei es mit klassischen, also aristotelischen, alteuropäischen und so weiter Politikvorstellungen, die in der Politik die Funktion der Realisierung des eigentlich Menschlichen erwarten, sei es mit kritischen Theorien, die Politik nur als Annex von Wirtschaft sehen. Für Parsons ist das politische System ein eigenständiges System im sozialen System des Handlungssystems. Die Besonderheit der Politik liegt in der Sicherung konsumatorischer, also in sich gegenwärtig befriedigender Zustände. Auch das kontrastiert auf eigentümliche Weise mit einem Politikbegriff, der für uns normal ist und in dem die Politik als eine instrumentelle Einrichtung gesehen wird, die immer bessere Leistungen, immer bessere Sozialzustände zu erreichen versucht. Für Parsons stellt sich die Frage, ob das wirklich der Sinn von Politik ist. Parsons formuliert, dass er die Funktion für Politik im spezifischen Sinne als »collectively binding decision making« beschreibt. Das heißt, die Politik muss in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen, die, wie ich sagen möchte, im Moment der Entscheidung kollektiv binden, die also anerkannt werden, die Unterstützung finden, die insofern befriedigen, die auch auf Vertrauen in die Fähigkeit und in die Richtigkeit von Entscheidungen, vielleicht auch in die Autorität des Politikers beruhen und die in diesem Sinne konsumatorisch sind, obwohl es immer, das ist die zweite Komponente, um externe Funktionen, also um das Verhältnis System und Umwelt geht.
Während diese beiden nach außen gerichteten Funktionskomplexe »adaption« und »goal attainment« sozusagen bekannte Namen haben und dadurch Parsons in Kontroversen mit üblichen Vorstellungen in der Wirtschaftstheorie oder in der Politiktheorie verstrickt haben, sind die beiden anderen Kästchen mit innovativen und relativ unsicheren Bezeichnungen formuliert. Warum hier terminologische Defizienzen auftreten, ist schwer zu sagen. Vielleicht liegt das an der Einseitigkeit der Perspektive der modernen Sozialwissenschaften oder generell der modernen Gesellschaftstheorie, die immer sehr stark auf die Unterscheidung von Staat und Wirtschaft oder Staat und Gesellschaft, wie man im 19. Jahrhundert gesagt hat, Wert legte und die anderer Bereiche demgegenüber vernachlässigt hat, also nicht zusätzlich noch auf Wissenschaft, Kunst, Erziehung, Recht und so weiter in der gleichen Ranglage Wert gelegt hat. Parsons jedenfalls steht vor der Notwendigkeit, diese Dichotomie von Politik und Wirtschaft, Staat und Gesellschaft durch zwei verschiedene weitere Funktionen zu ergänzen, und mehr darf es dann auch nicht geben.
Die Integrationsfunktion wird für den Bereich des sozialen Systems durch das erfüllt, was Parsons »Gemeinschaft« nennt oder mit Ausdrücken wie »communal system«, mit affektiv-emotional ansprechenden Ausdrücken, besetzt, ohne dass diese Komponente theoretisch wirklich herausgearbeitet und stark gemacht wird. Man muss sehen, dass hier die merkwürdige Komposition auftritt, dass es sich um die Integrationsfunktion innerhalb der Integrationsfunktion handelt. Das soziale System dient ja schon der Integration des Handlungssystems, und jetzt wiederholt sich diese Funktion in dieser Funktion. Dies ergibt sich aus der Frage, wie das soziale System selber integriert wird, das heißt, wie das soziale System für sich selbst dazu kommt, für rein soziale Funktionen Handlungen zu motivieren – und dies, obwohl Personen beteiligt sind, die lieber im eigenen Namen oder auf eigene Rechnung handeln möchten, oder obwohl Kultur beteiligt ist, die unter eigenen Konsistenzproblemen, unter eigenen Konsequenzen bestimmter semantischer Schemata operieren möchte und auf die sozialen Konsequenzen gar keine Rücksicht nimmt. Man denke an die theologischen Streitigkeiten des Mittelalters, die zur Reformation geführt haben und die, als der Buchdruck hinzukam, sozial nicht mehr aufgefangen werden konnten.
Im sozialen System wird demnach einerseits die Integration für das Handlungssystem geleistet, aber andererseits muss das soziale System dann auch selber Integrationsfunktionen leisten können, das heißt innerhalb der sozialen Komponenten wie Wirtschaft, Politik und so weiter wiederum Integrationsfunktionen erfüllen können. Dies wird durch den Ausdruck »social community«, soziale Gemeinschaft und dergleichen besetzt.
Schließlich gibt es den vierten Fall, dass innerhalb des sozialen Systems wiederum »latent pattern maintenance functions« zu erfüllen sind. Auch in der sozialen Ordnung stellt sich das Problem der Erhaltung von Strukturmustern in ihrer Latenzphase. Parsons nennt diesen Bereich »Treuhandsystem« (»fiduciary system«) in dem Sinne, dass er sich eine Kultur vorstellt, die eigendynamisch ist, die sich zum Beispiel in sehr viel längeren Wellen – oder vielleicht auch in kürzeren Wellen, wenn es um Mode geht – ändert, als dies im sozialen System kopiert werden kann, sodass es im sozialen System Beziehungen zur Kultur gibt, die auf Umformulierung, auf Internalisierung von Kultur in soziale Muster, auf Einbau von Kultur in soziale Muster abgestimmt sind.
An dieser Stelle taucht die Frage auf, welchen Sinn es überhaupt haben kann, zwischen Kultur und sozialen Systemen zu unterscheiden. Dies ist eine eher unübliche Unterscheidung, da man sich kaum soziale Operationen vorstellen kann, die präzise auf rein kulturelle Aspekte gerichtet sind, und andererseits auch kaum soziale Handlungen vorstellen kann, die ganz ohne diese Funktion der »latent pattern maintenance« auskommen. Dennoch hat Parsons die Möglichkeit im Blick, dass so etwas geschieht, dass eine Spezialisierung von sozialen Funktionen und sozialen Handlungsbereichen für Treuhandfunktionen in Richtung auf die Kultur möglich ist. Er hat ein ganzes Buch über die amerikanische Universität primär unter diesem Gesichtspunkt geschrieben. Das heißt, es gibt soziale Systeme, die die Kultur, was immer der Rest dieser Kultur dann noch sein mag, für soziale Funktionen aufbereiten, akzeptierbar machen. Eine der interessanten Versionen dieses Konzeptes ist es, dass es offenbar »Intellektuelle« gibt, die sich der Aufgabe annehmen, Kultur sozial zu vertreten.
Ich möchte es bei diesen beiden Analysen des Handlungssystems im Allgemeinen und des sozialen Systems im Besonderen belassen. Es kommt hier nur darauf an, Ihnen die Argumentationskapazität einer solchen Theorie vorzuführen: zu zeigen, in welche selbst verursachten Schwierigkeiten sie gerät und wie das Nachdenken, die Auseinandersetzung mit den selbst geschaffenen Schwierigkeiten auf innovative Wege führt, jedenfalls wenn man ein Theoretiker von der Kreativität ist, wie es Parsons gewesen ist. Zugleich zeigt sich damit jedoch eine gewisse Hermetik des Theoriekonzeptes. Die Begriffe werden immer